29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.11.08 / Geschäfte mit Leichenteilen / Problematische »Gewebespende« – Angehörige sind oft kaum informiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-08 vom 22. November 2008

Geschäfte mit Leichenteilen
Problematische »Gewebespende« – Angehörige sind oft kaum informiert

Die Organspende kann Leben retten und ist seit Jahren etabliert. Mit der sogenannten „Gewebespende“ von Toten werden dagegen meist nur kleinere Probleme gelöst. Sie ist ethisch äußerst heikel.

Wenn Angehörige eines kürzlich verstorbenen Menschen um die Erlaubnis für eine Gewebespende gebeten werden, wissen die wenigsten damit etwas anzufangen. In der Hoffnung, einem Kranken helfen zu können, geben sie vielleicht die Erlaubnis. Sie ahnen dabei nicht, daß sie damit die komplette „Ausschlachtung“ des Toten veranlaßt haben. Fast alles läßt sich – auch bei über 80jährigen – noch verwenden. Vorausgesetzt der Verstorbene litt nicht an Krebs, Hepatitis oder Aids, können gespendete Hornhäute die Sehkraft erhalten oder mit der Haut von Toten großflächige Brandwunden versorgt werden. Manch ein Fußballspieler kickt bereits mit der Sehne eines Verstorbenen.

Ein höchst lukratives Geschäft. Denn ein ganzer Industriezweig verdient an der Gewebespende Millionensummen. Anders als bei Organen, deren Handel weltweit geächtet ist, kann die Leiche eines gesunden Menschen 100000 Dollar und mehr erbringen, wie die amerikanische Autorin Annie Cheney in ihrem Buch „Body Brokers“ herausfand. Während in den USA bereits über eine Million Patienten von Implantaten von Verstorbenen profitieren, sind es in Deutschland erst einige Zehntausend.

Möglich wird dies durch die Fortschritte der sogenannten Tissue Engineering Industrie, die menschliche Leichenteile zu High-Tech-Produkten veredelt und für ein kleines Knochenstückchen 400 bis 500 Euro verlangt. Nicht nur Knochen werden zu Blöcken, Stiften oder Nägeln zurecht gefräst, auch Augenhornhäute, Gehörknöchelchen, Herzklappen, Gefäße, Sehnen und Hautstücke finden bei zahlungskräftigen Patienten dankbare Abnahme.

Voraussetzung für den Gewebehandel ist jedoch die Zustimmung des Verstorbenen beziehungsweise der Angehörigen. Hier stoßen die Interessen der trauernden Angehörigen mit denen der Industrie oft hart aufeinander. Die Hamburger Wissenschaftsjournalistin Martina Keller enthüllt in ihrem neuen Buch „Ausgeschlachtet“ die makabre Praxis dieses Geschäfts. Da zu wenig Menschen – aus kulturellen und religiösen Motiven – zu einer Gewebespende bereit sind, versuchen rechtsmedizinische Institute auf anderen Wegen an „frische“ Leichen heranzukommen.

Über eine Grauzone und gemeinnützige Einrichtungen umgehen Firmen das Verbot des Handels mit menschlichen Geweben. Die Recherchen Kellers zeigen, wie in Deutschland über ansehnliche „Aufwandsentschädigungen“ für die rechtsmedizinischen Institute die industriellen Verwerter dennoch an die begehrten Rohstoffe herankommen. Mit der Ahnungslosigkeit der Angehörigen beginnt der Handel mit den Geweben.

Wenn kein Spenderausweis vorhanden ist, müssen Angehörige innerhalb von 36 Stunden nach dem Todesfall ihre Zustimmung geben; sonst sind die Leichenteile nicht mehr verwendbar. Nach den Enthüllungen Kellers werden sich Angehörige fragen, ob sie einer Gewebespende zustimmen oder eine Leiche verbrennen lassen sollen. Sobald der Kommerz mit den Gewebeteilen bekannter wird, entsteht die Frage, ob nicht Angehörige profitieren sollten? In ersten Kommentaren zu Kellers Recherchen klingen solche Gedanken an. Einfach „widerlich“ finden die einen die Vorstellung, daß der Mensch nur noch „Nutzvieh“ ist. Andere äußern offen den materialistischen Gedanken: „Dem Toten ist es eh wurscht, Hauptsache wir Lebenden profitieren davon.“ Dritte fordern bereits, daß auch die Angehörigen „etwas“ davon haben sollten. Damit rückt nicht nur Omas Häuschen, sondern auch noch ihr Körper in den Blickpunkt der Begehrlichkeiten. Auch die Politik hat den toten menschlichen Körper entdeckt. Angesichts des Mangels an menschlichen „Rohstoffen“ hat die EU eine „Sensibilisierungskampagne“ unter dem Motto gestartet: „Wir sind alle potentielle Spender.“

Wer sich einer Gewebespende verweigert, hat dazu ein gutes Recht. Dies stellte die Juristin Brigitte Tag, die im Arbeitskreis Autopsie der Bundesärztekammer mitarbeitet, fest. Da die Zustimmung des Verstorbenen beziehungsweise der Angehörigen bei Gewebe- oder Organentnahmen grundgesetzlich vorgeschrieben ist, kann umgekehrt auch jeder einer Organ- oder Gewebespende widersprechen. Wenn Lebende lauter auf ihr „Recht“ auf die Organe eines Verstorbenen pochen, gelte es hier die Rechtsgüter abzuwägen, so die Juristin.      Hinrich E. Bues

Foto: Gefährdete Pietät: Verstorbene könnten zu Ersatzteillagern werden, mit denen viel Geld verdient werden kann.

 

Zeitzeugen

Christiaan Barnard – Der Sohn einer mittellosen burischen Predigerfamilie war 45 Jahre alt, als er 1967 Medizingeschichte schrieb. Mit einem 30köpfigen Team setzte der Südafrikaner einem 54jährigen als erstem Menschen das Herz eines Toten ein. Doch das transplantierte Herz einer verunglückten 25jährigen schlug nicht lange in der fremden Brust: Schon nach 18 Tagen verstarb der Patient an einer Lugenentzündung. Der Leistung Barnards tat das keinen Abbruch, er wurde nach Nelson Mandela zum zweitberühmtesten Südafrikaner. Der 2001 – übrigens inzwischen österreichischer Staatsbürger – Verstorbene liebte den neuen Ruhm und vollbrachte weitere Pionierleistungen in der Transplantationsmedizin.

 

Peter Singer – „Das Leben eines neugeborenen Kindes ist weniger wert als das eines ausgewachsenen Schweins“, dieser Satz stammt nicht etwa von Hitler, Stalin oder einem Kannibalen, sondern von einem der berühmtesten Bioethiker und Philosophen der Gegenwart. Der 46jährige Peter Singer sorgt mit seiner kühl-rationalen Lebensdefinition nicht nur bei Behindertenverbänden für Widerspruch. Nur wer Glück, Schmerz und Befriedigung empfinden könne, könne Interessen haben, meint der Australier, der auch zu den Vordenkern der  „Tierrechtsbewegung“ gehört.

 

Manfred Spieker – Der in Osnabrück lehrende Sozialwissenschaftler gilt als einer der herausragenden Kämpfer für eine „Kultur des Lebens“. Der Katholik und Vater von sechs Kindern setzt sich für die Rechte von Ungeborenen, Behinderten und Alten ein. Kritisch sieht er die Aushöhlung unveräußerlicher Persönlichkeitsrechte durch Patientenverfügungen und Biomedizin. Spieker leitet die Internationale Gesellschaft für christliche Soziallehre.

 

Roger Kusch – Der ehemalige Hamburger Justizsenator (*1954) schockierte Anfang dieses Jahres, als er der Öffentlichkeit eine Tötungsmaschine vorstellte. Im Juni, nur wenige Wochen nach Bekanntgabe seiner Bereitschaft zur Sterbehilfe, kam die Suizid-Maschine bei einer 79jährigen zum Einsatz. Inzwischen hat der ehemalige CDU-Politiker, der bei der Hamburgwahl in diesem Jahr mit einer eigenen Partei antrat, bereits einer zweiten Frau beim Suizid assistiert.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren