29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.11.08 / Ost-Deutsch (92): spazieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-08 vom 22. November 2008

Ost-Deutsch (92):
spazieren
von Wolf Oschlies

Das Wort habe ich noch von meinen ostpreußischen Eltern im Ohr: „schettern“ – im Sinne von spazieren, müßig herumgehen. Erstaunt war ich erst, als ich bei Südslawen die Verben „setati“ (serbisch) und „seta“ (mazedonisch) fand, beide mit „sch“ gesprochen, die „reisen, spazieren“ bedeuten. Woher die Ähnlichkeit? Keine Ahnung!

Umgekehrt ist mir klar, daß „spazieren“ – von lateinisch „spatiare“ (lustwandeln) und mittelhochdeutsch „spacieren“ – auch bei Slawen frequent ist, zum Beispiel polnisch „spacerujemy po lesie“ (wir spazieren durch den Wald). Ähnlich klingt es bei Tschechen, wenn die „spaciruji lehkym krokem“ – mit leichtem Schritt spazieren. Oder: „Budeme si deset minuty spacirovat a potem pujdeme na obed“ – Wir gehen zehn Minuten spazieren und dann zum Mittagessen.

Auch die Ukrainer halten es ganz deutsch: „Pidem razom na spacer – ja prijsov, tebe nema“ (Wir gingen zusammen spazieren – ich war da, du nicht). Oder etwas stärker im Jugendjargon von Kiew: „Chodjat’ na spacer i robljat’ frizuri“ (Bummeln gehen und mit Frisuren angeben).

Am schönsten spaziert sich’s jedoch im nordkroatischen Varazdin, wo Ende August 2008 zum zehnten Mal das lokale „spancirfest“ stattfand. Vor Zeiten gehörte die Stadt zu Ungarn, woran 1924 Emmerich Kálmáns ohrwurmige Operette „Gräfin Mariza“ erinnerte, etwa mit dem Duett „Komm’ mit nach Varazdin / so lange noch die Rosen blüh’n“. Heute lädt Bürgermeister Ivan Cehok lieber zum „Spancirfest“ ein, wenn das architektonische Juwel Varazdin von zahlreichen Künstlern, Clowns, Akrobaten, Schaustellern, Verkäufern etc. bevölkert und von mindestens 200000 Gästen aus aller Welt besucht wird. 

Das S im Spancirfest trägt ein Häkchen, wird also Sch ausgesprochen; das eingefügte n diente wohl der leichteren Aussprache des Wortes, das völlig deutsch ist. Kein Wunder: Varazdin war drei Jahrhunderte lang Kernstück der österreichisch-ungarischen Militärgrenze, die Europa vor den Türken schützte. Wörter wie „spancirfest“ künden noch vom vergangenen deutschen Einfluß dort. Der findet sich auch im ganzen Osten, er sollte im Spaziergang wieder entdeckt werden!


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren