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29.11.08 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-08 vom 29. November 2008

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,

liebe Familienfreunde,

wenn Ihr diese Zeilen lest, bin ich wohl in Bad Pyrmont und so mittenmang in unserem großen Familientreffen, das aber als Symposium mehr beinhaltet als ein gemeinsames Erinnern an die Heimat und Plachandern. Wir haben ein anspruchsvolles Thema gewählt „Flucht und Vertreibung im Spiegel der Medien“, und daß dieses auf großes Interesse stößt, haben wir bereits an den Anmeldungen gemerkt. Ich bin dafür dankbar und glücklich, denn solch eine Symposium verlangt eine vielfältige und sorgsame Vorbereitung, und da es zudem in eine für solche Veranstaltungen nicht gerade günstige Zeit fällt, muß man schon mit allerhand Unwegsamkeiten rechnen. Auch im wahrsten Sinne des Wortes: Hoffen wir, daß das Wetter mitspielt, die Erkältungen sich in Grenzen halten und diese Stunden im gemeinsamen Erleben und Erarbeiten der zur Diskussion gestellten Geschehnisse für uns alle zum Gewinn werden. Ich werde darüber berichten.

Vergangen ist viel, vergessen noch nichts. Das konnte ich den spontanen Zuschriften zu meinem Bericht über die Anfänge unseres Lebens fern der Heimat entnehmen – ich hatte ja schon beim Schreiben gemerkt, wie auch nach Jahr und Tag alles wieder lebendig werden kann. Ich habe viele Briefe bekommen von Landsleuten, denen es ähnlich erging. So wie Frau Sabine Czygan aus Lübeck, die schreibt, wie sehr sie meine Erinnerungen berührt haben. „Mir ist diese Zeit auch ohne Tagebuchnotizen unauslöschlich im Gedächtnis geblieben, denn nach meiner Rückkehr von den Russen im Jahr 1948 aus Königsberg fand ich, damals 17 Jahre alt, meine Eltern in Oldenburg i. O. wieder. Was waren die Zeiten schwierig, die räumlichen Verhältnisse mehr als dürftig, aber für meinen Vater war die Sammlung der Treuburger Landsleute ein wesentliches Anliegen, und in diese Arbeit wurde die ganze Familie eingespannt. Für mich kam dann noch die völlige Neuorientierung nach der Russenzeit hinzu.“ Wenn Frau Czygan auch keine Tagebuchnotizen gemacht hat, ihr Vater hat es getan, und als 1. Kreisvertreter für Treuburg die schwere Zeit der frühen landsmannschaftlichen Arbeit festgehalten. „Welche Hoffnungen hatten unsere Väter und welche Sorgen bewegten sie! … Es hat sich viel verändert, man kann wieder in die Heimat fahren, aber was ist aus ihr geworden! Und dann die vielen Toten, in meiner Zeit war das große Sterben in Königsberg an der Tagesordnung. Es sind Erfahrungen, die mich mein ganzes Lebens lang nicht losgelassen haben. Ich empfinde eine große Dankbarkeit, daß ich diese unmenschlichen Zeiten habe überleben dürfen.“ Und Sabine Czygan ist noch heute für die Heimat tätig. Das Engagement ihrer Eltern hatte dazu geführt, daß sie und ihr Bruder sich über lange Jahre in die Arbeit der Kreisgemeinschaft mit eingebracht haben, Sabine auch als Redakteurin des Treuburger Heimatbriefs. Lange Jahr kümmerte sich Frau Czygan um die Treuburg-Sammlung in der Patenstadt Opladen, und nun sind ihre Kenntnisse und Erfahrungen für die Vorbereitung einer Ausstellung gefragt, die zur 450 Jahrfeier in Treuburg (Olecko) im alten deutschen Rathaus eröffnet werden soll.

Ja, diese Arbeit „vor Ort“ – wenn sie mit so viel Engagement geleistet wird wie die von Frau Lilli Janßen in Iserlohn, dann trägt sie auch Früchte – und die können wir heute unseren Leserinnen und Leser in Wort und Bild servieren Und uns dabei gleichzeitig bei denen bedanken, die dem Aufruf in unserer Ostpreußischen Familien gefolgt sind und der Ostpreußenstube in Iserlohn-Letmathe einige sehr schöne Exponate überlassen haben, um die gebeten wurde. So konnte das zehnjährige Bestehen der Ostpreußenstube im Rahmen des vom BdV-Kreisverband Iserlohn veranstalteten „Tages der offenen Tür“ gebührend gefeiert werden, und das ist noch untertrieben, denn die Räume im Alten Rathaus platzten aus allen Nähten, so daß sogar das Treppenhaus im wahrsten Sinne des Wortes besetzt wurde. Mit solch einem Erfolg hatte wohl niemand gerechnet, und erst nicht mit einem hochrangigen Gast aus Königsberg: Der russische Philologe Prof. Dr. Wladimir Gilmanow, der in der Pregelstadt geboren wurde und heute an der „Kant-Universität Kaliningrad“ lehrt, besuchte die Ostpreußenstube und zeigte sich sehr beeindruckt von der sichtbaren Liebe zur verlassenen Heimat, die hier in vielen Exponaten bewahrt bleibt. So auch mit den von unseren Lesern gespendeten Erinnerungsstücken, zu denen ein Schultornister aus den 20er Jahren, ein Milchkännchen mit Königsberger Wappen und ein Gesangbuch von 1912 gehören. An einem Stück hängt Lilli Janßen besonders: Es ist ein alter und schon beschädigter Teller aus ihrem ostpreußischen Elternhaus. Die russische Familie, die heute dort wohnt, hat ihn benutzt und ihn einer Tochter mitgegeben, die es kürzlich nach Mainz verschlug. Von dort aus war es ja dann nur noch ein kurzer Weg für den Teller nach Iserlohn und zu Frau Janßen. Daß er für sie das wertvollste Stück in der Sammlung ist, das können wir wohl alle verstehen.

Und da sind es manchmal die kleinen Schritte, die weiterführen. Wie im Falle von Frau Ursula Wenner aus Dissen, die den Namen eines Försters aus dem masurischen Gedwangen suchte. Diese Kurznotiz veranlaßte unsern – ebenfalls aus dem Kreis Neidenburg stammenden – Leser Otto Meitza, sich sofort mit einem in Gedwangen beheimateten Bekannten in Verbindung zu setzen und siehe: Herr Heinz Hartwig konnte den Namen des Försters nennen. Nicht „Werner“, wie Frau Wenner meinte, sondern „Nether“. Herr Meitza teilte dies sofort der in einem Seniorenheim lebenden Frau mit und übersandte mir eine Kopie. Er schreibt dazu: „Mit der Durchschrift meines Schreibens möchte ich nur kundtun, daß unsere Ostpreußische Familie vielen Lesern und Interessenten in vielen Anfragen weitergeholfen hat. Ich selbst habe es in diesem Sinne auch getan.“ Vielen Dank, lieber Herr Meitza, aber die Mitteilung ist mehr als das: Wir können nämlich nun konkret mit Namen weiter forschen: Wer kannte Förster Nether und weiß, wo er nach dem Krieg in Westdeutschland beruflich tätig gewesen ist und wo seine Familie gewohnt hat oder wohnt? (Ursula Wenner, DRK-Seniorenheim, Kleine Heue 2-4 in 49201 Dissen.)

Und nun zu einer längeren Mitteilung über Resonanzen aus unserem Leserkreis. Verbuchen kann sie Frau Eve-Maria Ludwig aus Hamburg. Sie hatte im Winter 1945 als 20jährige Hilfsschwester in Königsberg auf dem Hauptverbandsplatz in der Hufenschlucht gearbeitet und suchte nun ehemalige Mitschwestern und Patienten, die zu jener Zeit dort gewesen waren. Die Spule konnte zurückgedreht werden. Sofort nach dem Erscheinen unserer Zeitung rief bei Frau Ludwig ein Herr Richter an, der – obwohl Jahrgang 1928 – sich als Kriegsfreiwilliger bei den Kämpfen bei Metgethen Erfrierungen zugezogen und als Patient im Palmensaal des Königsberger Tiergartens in einem der 200 dort aufgestellten Betten gelegen hatte. Dieses Lazarett war auch die Wirkungsstätte von Eve-Maria Ludwig und ihrer Freundin Dorothea Pahncke gewesen. Der Name der Freundin tauchte nun auch in dem Telefonat auf, denn im Verlauf des Gespräches kam man auf einen gemeinsamen Bekannten, Dr. Teichert, Patenonkel von Dorothea und Hausarzt der Familie Richter. Dieser, so wußte der Anrufer zu berichten, ist im Kampf um Königsberg gefallen wie auch einer seiner Söhne. „Der Anruf kam für mich derart überraschend“, so berichtet Frau Ludwig, „daß ich bei dem Erinnerungsaustausch vergaß, Herrn Richter zu fragen, wo er jetzt postalisch und telefonisch erreichbar sei.“ Ja, das können wir ja nun bereinigen, denn Herr Richter ist ja Leser unserer Zeitung und somit reichen wir Frau Ludwigs Bitte, ihr doch Anschrift und Telefonnummer mitzuteilen, an ihn weiter.

Aber das war noch nicht alles. Als Frau Ludwig, nachdem sie kurz nach dem Erscheinen ihres Suchwunsches verreist war, nach Hamburg zurückkehrte, fand sie eine Postkarte vor, mit der ihr eine Dame aus Reinbek erklärte, daß ihre Schwester vergeblich versucht hatte, sie zu erreichen. Und nun kommt’s: Diese Schwester ist genau wie Eve-Maria Jahrgang 1924 und hat während ihres Medizinstudiums als Rotkreuzhelferin Januar/Februar 1945 im Hauptlazarett Hufengymnasium gearbeitet. Sie war einem Zahnarzt zugeteilt, der im Keller des Schulgebäudes wirkte. Frau Ludwig hat sofort mit beiden Damen telefoniert, und es wurde ein Treffen im neuen Jahr verabredet, um Erinnerungen auszutauschen. Auch mit der Schwester, die mit ihrer Postkarte den Stein ins Rollen brachte, hat Frau Ludwig Gemeinsamkeiten: Sie waren beide nach der Flucht in Dänemark interniert. Nach der Kapitulation und dem danach folgenden Ausscheiden aus einem Viborger Kriegslazarett war Frau Ludwig im Lager Karup/Vallerbeck als Lagerschwester tätig, die damals 15jährige erlebte die schwere Zeit in dem großen Lager Klövermarken. Fazit von Eve-Maria Ludwig: „So knüpfen sich unerwartete Verbindungen nach mehr als sechs Jahrzehnten, wenn man sich bemerkbar macht!“

Bemerkbar machen – das ist es! Das konnten viele nicht, als noch der Eiserne Vorhang den Weg zum freien Westen versperrte, das wollten viele nicht, weil sie ihr Schicksal nicht veröffentlicht sehen wollte, obgleich wir doch sehr behutsam vorgehen, um nicht zu verletzen oder Unfrieden zu stiften. Aber auch diejenigen, die zur Lösung einer Suchfrage beitragen könnten, sind oft spät dran, manchmal auch zu spät. Ich hoffe, daß das nicht auf den Fall zutrifft, den ich schon längst zu den Akten gelegt hatte – aber nicht das Internet. Dort erscheinen nämlich auch ältere Ausgaben unserer Ostpreußischen Familie. Und so fand ein Rechtsanwältin aus Frankfurt beim „Googeln“ einen unserer Beiträge vom Frühjahr 2000, in dem ein in Australien wohnender Leser für eine dort ebenfalls lebende Ostpreußin Verwandte suchte. Die Frankfurterin gehört nun zu dieser Familie, ihre Mutter ist eine Halbschwester der damals Suchenden. Wenn sich da ein Finden acht Jahre nach der Veröffentlichung ergibt – das wäre schon eine Erfolgsgeschichte, wie sie selbst unsere Ostpreußische Familie, die ja immer für Überraschungen gut ist, bisher nicht erlebt hat. Ich hoffe, bald mehr darüber berichten zu können – natürlich Positives!

Und so wünsche ich Euch, lewe Landslied, liebe Familienfreunde, auch für die Adventszeit Erfreuliches und ein heimatliches Miteinander – wo auch immer.

Eure Ruth Geede

Foto: Zehn Jahre „Ostpreußenstube“ in Iserlohn-Letmathe: Anastasia Gilmanowa, die Bundestagsabgeordnete Dagmar Freitag (SPD), Lilli Janßen und Prof. Dr. Wladimir Gilmanow (v. l.)


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