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06.12.08 / Einmaliges Ermittlungsverfahren / Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt wegen Massenmord an Deutschen im April 1945

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-08 vom 06. Dezember 2008

Einmaliges Ermittlungsverfahren
Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt wegen Massenmord an Deutschen im April 1945

Ein dunkles Geheimnis lastet auf dem Ort Treuenbrietzen. Doch Stück für Stück lüftet sich der Nebel der Vergangenheit, die Staatsanwaltschaft Potsdam hat ein Auskunftsersuchen an die russische Generalstaatsanwaltschaft gestellt und nennt den Tod von bis zu 1000 Männern, Frauen und Kindern am 23. April 1945 offiziell das, was er war: ein Massaker von Rotarmisten an deutschen Zivilisten.

Zu verdanken ist das wohl einmalige Ermittlungsverfahren dem 1956 geborenen Heimatforscher Wolfgang Uksche und dem „Forum zur Aufklärung und Erneuerung“, das sich eigentlich mit den Folgen der DDR-Diktatur beschäftigt. Doch die Morde in Treuenbrietzen haben auch mit der DDR-Geschichte zu tun, auch wenn es 1945 die DDR noch nicht gab. „In meiner Schulzeit wurde uns immer erzählt, daß die russischen Soldaten 1945 die absolut Guten gewesen seien“, erinnert sich Uksche. Das Massaker vom April 1945 paßte jedoch nicht in das Sowjetbild der DDR, also wurde die Geschichte umgeschrieben: Angeblich seien die Opfer bei einem alliierten Bombenangriff getötet worden oder Seuchen zum Opfer gefallen. Um die Vertuschung perfekt zu machen, wurde zu DDR-Zeiten regelmäßig am 23. April der Opfer des „Bombenangriffes“ gedacht. Doch da fast jede Familie im damals 7000 Einwohner beherbergenden Treuenbrietzen Tote zu beklagen hatte, gab es zu viele Zeugen, und hinter vorgehaltener Hand redeten sie auch. So wurde das Wissen weitergeben, wenn auch manchmal mit persönlichen Konsequenzen: Ein Treuenbrietzener erzählte 1960 seinen Kameraden von der NVA von dem Verbrechen und kam daraufhin ins Stasigefängnis Hohenschönhausen, „bis er ,einsah‘, daß die Treuenbrietzener Zivilisten durch Krankheit gestorben seien“, so Uksche. Daß sie es nicht sind, weiß die 83jährige Ingeborg Grabow. „Alle Zivilisten, die das Stadtgebiet während der Kampfhandlungen nicht verließen, galten als Partisanen und konnten erschossen werden ... Selbst wenn sie, wie meine Großtante, 93 Jahre alt waren, wurden sie getötet“, erinnert sich Zeitzeugin. Doch die Zeugen sterben und mit ihnen die Erinnerung. Uksche will das nicht hinnehmen. „Das gehört zu unserer Geschichte“, betont der 52jährige. Mit seinen Nachforschungen will er niemanden an den Pranger stellen, aber aufklären. Zumindest Aufklärung haben die Opfer verdient, so lautet auch die Devise des „Forums zur Aufklärung und Erneuerung“, das 1992 mit hehren Zielen und prominenter Unterstützung gegründet wurde. Die DDR-Bürger sollten beginnen, einander ihre Geschichten zu erzählen und so Wege zur Versöhnung und zu einem Neuanfang finden. Doch das öffentliche Interesse an der Initiative ebbte ab, das Forum tritt immer seltener in Erscheinung. 2006 hat es schließlich bei der Staatsanwaltschaft Potsdam Anzeige wegen der Morde in Treuenbrietzen gestellt.

Daß man die Täter 63 Jahre noch vor Gericht stellen könnte, erwartet keiner, doch Einblicke in die sowjetischen Archive könnten Täternamen und weitere Aufschlüsse über den Ablauf der Ereignisse bringen. Die Ermittlungen könnten beispielsweise zeigen, ob das Massaker ein Racheakt der Rotarmisten auf ein NS-Massaker an 127 italienischen Militärinternierten nahe Treuenbrietzen am selben Tage, eine Reaktion auf die Ermordung eines russischen Offiziers durch einen fanatischen Nazi oder einfach übliche sowjetische Kriegsführung war, zu der damals Geiselnahmen und Erschießungen von Zivilisten gehörten.             R. Bellano


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