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13.12.08 / In den Sand gesetzt / Die Paradestrecke der Bahn Berlin–Hamburg hat nur vier Jahre gehalten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-08 vom 13. Dezember 2008

In den Sand gesetzt
Die Paradestrecke der Bahn Berlin–Hamburg hat nur vier Jahre gehalten

Immer Ärger mit der Bahn: Verspätungen und Zugausfälle, steigende Fahrpreise, schlechter Kundendienst – Bahnchef Hartmut Mehdorn ist und bleibt, trotz Bankenkrise, Deutschlands unbeliebtester Manager.

Es sollte die Paradestrecke der Deutschen Bahn werden, die schnelle Verbindung zwischen den Millionenstädten Hamburg und Berlin. Mit dem Transrapid wären die etwa 280 Kilometer in einer knappen Stunde zu schaffen gewesen, konkurrenzlos gegenüber Auto und Flugzeug. Doch mit dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung nahte das vorzeitige Ende eines umweltfreundlichen Zukunftsprojektes. Ende 1999 ließ Basta-Kanzler Gerhard Schröder mit Bahnchef Johannes Ludewig eine der letzten personellen Altlasten Helmut Kohls „entsorgen“ und durch seinen getreuen Gefolgsmann Hartmut Mehdorn ersetzen. Eine seiner ersten Amtshandlungen: Der neue DB-Vorstandsvorsitzende schaltete die Transrapid-Signale auf Rot und stellte damit die Weichen: weg von der Paradestrecke zum Paradebeispiel verfehlter Verkehrspolitik.

Nun rächte sich, daß man die konventionelle Eisenbahnstrecke Berlin–Hamburg bewußt auf Tempo 160 begrenzt hatte, um der Magnetbahn keine Konkurrenz zu machen. Mehdorn ordnete an, binnen drei bis vier Jahren die Strecke für Tempo 230 auszulegen, eine Zielvorgabe, die viele Fachleute für zu ehrgeizig hielten. Die Schwellen, so warnten sie, seien den stärkeren Belastungen durch schnellen ICE-Verkehr nicht gewachsen.

In der Tat stellten die DB-Techniker fest, daß 20 Prozent der gerade erst verbauten Betonschwellen Risse aufwiesen. Sie wurden mit roter Farbe markiert und sollten eigentlich vor Aufnahme des fahrplanmäßigen Schnellverkehrs ausgetauscht werden. Warum aber die DB-Tochter „Deutsche Gleis- und Tiefbau GmbH“ erst 2003 ans Werk gehen konnte, zudem auch noch mit weitgehend untauglichem Gerät, darüber schweigen sich Mehdorns Mannen aus. Immerhin zitiert die Fachzeitschrift „Bahn-Report“ hochrangige Bahnmitarbeiter, die bei einer Ortsbesichtigung den längst als sinnlos erkannten Austausch einzelner Schwellen damit rechtfertigten, man habe kein Geld für eine „große Lösung“. Zudem stehe man mit dem Hersteller der Brösel-Schwellen im mecklenburgischen Möllenhagen gerade vor einem außergerichtlichen Vergleich. Auch lasse der – angeblich unaufschiebbare – Termin für die Aufnahme des ICE-Verkehrs keine andere Wahl.

Also wurden unverdrossen hier ein paar Schwellen, da ein paar Schwellen ersetzt. Warnungen wurden nicht gehört. Daß der Beton inzwischen auch da bröselte, wo man ihn ein Jahr zuvor noch als intakt bewertet hatte, wurde geflissentlich übersehen – Hauptsache, Bahnchef Mehdorn und Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe konnten zum Fahrplanwechsel im Dezember 2004 wie vorgesehen – also ausnahmsweise pünktlich – den ICE-Verkehr zwischen Hamburg und Berlin eröffnen.

Schon zwei Jahre später mußten aus Sicherheitsgründen erneut einzelne Schwellen ausgetauscht werden. Die Fahrgäste, die sich gerade an knapp 90 Minuten Fahrzeit zwischen den Hauptbahnhöfen der beiden größten deutschen Städte gewöhnt hatten, durften sich wieder auf Verspätungen einstellen.

Zum „Normalfall“ werden die Verspätungen im Frühjahr 2009. Für drei bis vier Monate, von März bis Juni, wird die gerade erst vier Jahre alte Strecke ganz gesperrt. Die Fernzüge werden umgeleitet und brauchen mindestens eine halbe Stunde länger. Auf den zum Teil eingleisigen Umleitungsstrecken werden zahlreiche Regionalzüge ausfallen; außerdem drohen dem überregionalen Güterverkehr zu den Seehäfen Rostock und Wismar teure zeitraubende Umwege. Die Kosten dieser Aktion werden im dreistelligen Millionenbereich liegen.

Die naheliegende Frage, warum da in so gigantischem Maße Volksvermögen in den Sand der märkischen Heide gesetzt wurde, beantwortet die Bahn auf geradezu realsatirische Weise: Der verwendete Sand vertrage sich nicht mit anderen Materialkomponenten des Betons. Ein öffentlicher Diskurs im zeitnahen Umfeld der jüngsten Fahrpreiserhöhungen scheint unerwünscht – schließlich hofft der Bahnchef immer noch, sein Lieblingsprojekt namens Börsengang retten zu können. Und vielleicht kann man dem finanzkrisengebeutelten Volk die Bröselbeton-Pleite als Konjunkturprogramm verkaufen. Da wäre man dann endlich mal ganz aktuell, ohne jede Verspätung.    Hans-Jürgen Mahlitz

Foto: Von wegen Schnellstrecke: Ab März bessert die Bahn wieder aus.

 

Zeitzeugen

Hartmut Mehdorn – Der am 31. Juli 1942 in Warschau geborene Maschinenbauingenieur war bis 1995 in der Flugzeugindustrie tätig, wo er im Streit ausschied. Ende 1999 machte Bundeskanzler Gerhard Schröder ihn zum Bahn-Chef, mit dem klaren Auftrag, die Privatisierung des Staatsunternehmens durchzuboxen.

 

Heinz Dürr – Von 1991 bis Mitte 1997 war Dürr Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bundesbahn/Deutschen Reichsbahn beziehungsweise der Deutschen Bahn AG. Anschließend war er deren Aufsichtsratsvorsitzender. Diesen Posten gab der 1933 Geborene Heinz Dürr im Jahr 1999 auf, als die rot-grüne Bundesregierung den 1997 von Helmut Kohl zu seinem Nachfolger ernannten Johannes Ludewig durch Hartmut Mehdorn ersetzte – nicht zuletzt, weil er die Pläne der Schröder-Regierung zur Privatisierung der Bahn nicht mittragen wollte.

 

John Major – Was unter Margaret Thatcher begann, setzte ihr Nachfolger fort: die Privatisierung der British Rail. Doch die Bahn, die in der Amtszeit des britischen Premiers (1990–1997) in private Hände gegeben wurde, mußte bereits 2003 in Teilen vom Staat wieder zurückgenommen werden. Die privaten Investoren hatten viel zu wenig in die Sicherheit und Pünktlichkeit investiert, stattdessen Gewinne abgezogen, so daß immer häufiger Unfälle passierten und die Pleite drohte. Eine vollständige Rücknahme der Bahn-Privatisierung ist jedoch nicht möglich, da mehrere Privatanbieter einzelne Strecken für sich mit Beschlag belegt haben. Ein zentral koordinierter Bahnbetrieb ist also nicht mehr möglich.

 

Friedrich List – Der am 6. August 1789 in Reutlingen geborene Wissenschaftler wurde mit 28 Jahren Professor für Staatswissenschaften in Tübingen; zwei Jahre später wurde er in den württembergischen Landtag gewählt. Der Wirtschaftstheoretiker, der als Mitbegründer der modernen Nationalökonomie gilt, verfügte auch über großes technisches Verständnis, so daß er zum deutschen Eisenbahnpionier wurde. Zu Lebzeiten fand List, übrigens ein glühender Anhänger der deutschen Einheit und ein Vordenker der Einigung Europas, nicht die ihm gebührende Anerkennung; 1846 nahm er sich in Kufstein das Leben.


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