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13.12.08 / Merkel als Getriebene / Die Kanzlerin kann die Konjunkturdebatte nicht mehr bremsen – Mittelschicht wird übergangen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-08 vom 13. Dezember 2008

Merkel als Getriebene
Die Kanzlerin kann die Konjunkturdebatte nicht mehr bremsen – Mittelschicht wird übergangen

Die Rezession und die möglichen Gegenmaßnahmen überschatten derzeit jede Diskussion in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel wirkt wie beinahe siamesisch mit Finanzminister Peer Steinbrück verbunden und erscheint dabei eher wie eine Getriebene denn wie eine Antreiberin.

Derzeit treiben Hinterbänkler im Tagesrhythmus die sprichwörtlichen Säue durchs publizistische Dorf und versuchen sich einander mit Ideen zur Konjunkturbelebung zu übertrumpfen: Gutscheine hier, Mehrwertsteuer da, Vermögensteuer rauf, Einkommensteuer runter. Die Kakophonie ist schrill – zumal die meisten der Ideen vom Bürger schon auf den ersten Blick als unrealistisch und unfinanzierbar durchschaut werden: Die berühmten 500-Euro-Gutscheine etwa – praktisch mit Steuermitteln finanzierte Aufbauhilfe für Flachbildfernseher-Fabriken in China – werden von 74 Prozent der Bürger und sogar 66 Prozent der SPD-Anhänger abgelehnt.

Doch auch eher vernunftgeleitete Forderungen wie eine gründliche Steuerreform mit Tarifsenkungen auf breiter Front – und damit Entlastung vor allem der bürgerlichen Mittelschicht – schienen lange Zeit an der Kanzlerin abzuprallen. So nötigte sie den CDU-Parteitag in Stuttgart vor zwei Wochen zu einem eher widersinnigen Beschluß: Steuern runter, aber erst 2010. So läßt sich keine Konjunkturschwäche bekämpfen, die 2009 durchzuschlagen droht.

Zur Erinnerung einmal die bayerische Sicht: Die CSU hat ihr Steuerkonzept „Mehr Netto für alle“, das genau diese Erleichterungen auf breiter Front vorsieht, im Frühsommer 2008 vorgelegt, die Kanzlerin hat es im Vorfeld der Bayernwahl brüsk abgelehnt. Zehn Tage nach der Wahl aber beschloß die Koalitionsrunde einen Teil der darin enthaltenen Erleichterungen – zu spät, wie die CSU wütend feststellt, die Rückenwind aus Berlin hätte brauchen können. Anfang Dezember 2008 dann beschließt die CDU ein praktisch deckungsgleiches Steuerkonzept, aber eben mit zeitlicher Verzögerung – und die CDU-Vorsitzende muß sich wiederum aus München den Vorwurf anhören: zu spät, zu wenig, zu zögerlich. In der Tat ist all das kein parteistrategisches Ruhmesblatt für Angela Merkel – bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 wird sie ja doch wieder auf ein CSU-Ergebnis 50+ angewiesen sein, damit Schwarz-Gelb funktionieren kannn.

Das 31-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket der Bundesregierung genüge nicht, werfen Kritiker der Kanzlerin und ihrem Finanzminister vor, zumal darin bereits Leistungen eingerechnet sind, die vor Aufkommen der momentanen Krise festgezurrt waren. Die CSU – in ungewohntem Schulterschluß mit der FDP – fordert eine gründliche Steuerreform, die CDU gibt bislang den Bremser. SPD-Linke träumen davon, „Staatsknete“ mittels Gießkanne unters Volk zu streuen, auf daß der Konsum blühe – und bedenken nicht, daß diese Schulden mittels höherer Steuern dann doch wieder vom Bürger bezahlt werden müssen. Auch wegen dieses Drucks von allen Zeiten mag die Kanzlerin nun nicht mehr auf den nachweihnachtlichen „Punschplausch“ (Zitat Peter Ramsauer) am 5. Januar warten, um mögliche neue Maßnahmen auszubaldowern – oder erneut abzulehnen. Sondern sie beruft schon für den morgigen Sonntag einen „Wirtschaftsgipfel“ ein: Sie will mit Ministern, Wirtschaftsforschern und Bankern die Situation analysieren und Auswege diskutieren. Doch auch dieser nationale Wirtschaftsgipfel im Umfeld des EU-Gipfels, auf dem Frankreichs Präsident Sarkozy und Britanniens Premier Brown mit ihren Konjunkturpaketen brillieren, wird Merkels momentanes Zauder-Image kaum übertünchen können.

Auffällig ist, daß in der ganzen derzeitigen Debatte Deutschland vor allem aus Hartz-IV-Empfängern („Arme“) einerseits und Millionären („Reiche“) andererseits zu bestehen scheint. So zumindest wird es medial zugespitzt, mit der anschließenden Feststellung: Diese und jene Maßnahme helfe ja doch nur den „Reichen“. Ganz übersehen wird dabei der klassische Mittelstandsbürger und damit der eigentliche Leistungsträger der Gesellschaft, zu „reich“ für Sozialleistungen, mit Steuern und Abgaben maximal belastet, aber wirtschaftlich noch lang nicht aus dem Schneider. Beispiel: Ein Angestellter mit 4300 Euro brutto monatlich, damit bereits Spitzensteuersatz-Zahler (!), verheiratet, zwei Kinder, Pendler, und hat gleichzeitig ein Haus abzuzahlen. Der hat wenig Geld übrig für große Weih-nachtsgeschenke. Dieser Durchschnittsbürger kommt in der momentanen Diskussion kaum vor.

Ganz vom Tisch verschwunden ist die dringend nötige Reform der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern, genannt „Föderalismusreform 2“. Von ihr hört man ausschließlich etwas, wenn wieder einmal einer der Beteiligten eines der einst einmütig festgelegten Ziele über Bord kippt; so wie vorvergangene Woche SPD-Fraktionschef Peter Struck sich vom bitter nötigen Ziel eines generellen Schuldenverbots als „mittlerweile völlig überholt und angesichts der momentanen Situation als geradezu absurd“ distanzierte. Dabei sollte das Schuldenverbot ja gerade langfristig angelegt sein: In Krisen wie derzeit sollten Schulden durchaus erlaubt sein, die müßten aber in einem geregelten Zeitraum wieder zurückgezahlt werden. Doch all das bleibt Zukunftsmusik. Nachhaltigkeitspolitik hat es schwer derzeit.

Auf den Plätzen Berlins riecht es momentan nach Glühwein und Lebkuchen, in den Arbeitsräumen der Politiker indes nach Testosteron und Adrenalin: Schnelle und kurzfristige Krisenbewältigung ist angesagt, ohne viel Konzept, Maß und Ziel, wobei ein leicht angebranntes G’schmäckle von Wahlkampf durchdringt. Vielleicht ist es da sogar besser, wenn so wichtige Dinge wie die „Föderalismusreform II“ erst kommende Legislaturperiode angepackt werden.     Anton Heinrich

Foto: Die Nachfrage stärken: Politiker streiten, wie man den Konsum dauerhaft ankurbeln kann.


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