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13.12.08 / Man spielt Normalität / Das Weihnachtsgeschäft läuft – Doch vor sich sehen die Menschen ein »Schwarzes Loch«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-08 vom 13. Dezember 2008

Man spielt Normalität
Das Weihnachtsgeschäft läuft – Doch vor sich sehen die Menschen ein »Schwarzes Loch«

Wie tief wird die deutsche Wirtschaft fallen? Keine Prognose scheint mehr zu düster. Deutsche-Bank-Volkswirt Norbert Walter verbreitet Schrecken mit der Zahl von vier Prozent Minus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP). Andere Ökonomen sind kaum weniger pessimistisch.

Der Psychologe Stephan Grünewald vergleicht die derzeitige Stimmungslage in Deutschlands Straßen mit dem Karneval: die letzte Sause kurz vor dem Fasten. Die Szenerie auf den weihnachtsgeschmückten Einkaufsstraßen läßt von Krise in der Tat nichts spüren. Es wird eingekauft wie eh und je. Und das, obwohl die Medien seit Monaten voll sind von Wirtschaftsmeldungen, die von Woche zu Woche düsterer ausfallen.

Für Grünewald ist das kein Widerspruch; das eine sei sogar logisches Gegenstück des anderen, erläutert er in der „Frankfurter Allgemeinen“: Da niemand sagen könne, was kommt, weil Wissenschaftler, Politiker und Wirtschaftsführer so ratlos wirken wie nie, wähnten sich die Menschen vor einem „schwarzen Loch“ und reagierten mit einer Art Schockstarre. Die lasse sie einfach weitermachen wie gewohnt. Man spielt Normalität.

Das „Spiel“ könnte zumindest einem Teil der deutschen Fertigungsbetriebe noch eine Weile Luft verschaffen. Selbst im Horrormonat der Börsen, dem vergangenen Oktober, sank der Auftragseingang bei der Konsumgüterindustrie nur um 1,6 Prozent gegenüber dem Vormonat.

Da war der rasante Niedergang bei der Industrie als Ganzes schon lange angekommen. Nach einem Auftragsrückgang von dramatischen 8,3 Prozent im September hatten die Experten zumindest mit einer „technischen Erholung“ gerechnet. Soll heißen: Immer, wenn an den Märkten ein Wert besonders drastisch nach oben oder unten ausbricht, folgt danach für gewöhnlich eine Korrektur in die andere Richtung, ganz unabhängig vom langfristigen Auf- oder Abwärtstrend. Diesmal aber war es anders. Wie kürzlich bekanntgegeben wurde, sank der Auftragseingang im Ok­tober noch einmal um satte 6,1 Prozent.

Seitdem ist die Rede vom freien Fall, was schlimmste Befürchtungen ausgelöst hat. Den schwärzesten Ausblick lieferte Deutsche-Bank-Volkswirt Norbert Walter: Kommendes Jahr könnte die deutsche Wirtschaft um vier Prozent schrumpfen. Die Wahrscheinlichkeit für einen solch rapiden Niedergang bezifferte Walter mit „30 Prozent“.

Hinter der vermeintlich kleinen Zahl vier verbirgt sich ein brutaler Einbruch. Der Vergleich macht es sichtbar: In Folge des ersten Ölpreisschocks 1973 schrumpfte die bundesdeutsche Wirtschaft um „nur“ 0,9 Prozent. Das Resultat war, daß aus nahezu Vollbeschäftigung über eine Million Arbeitslose wurden. 1993 verringerte sich die deutsche Wirtschaftsleistung nach dem abrupten Ende des Vereinigungsbooms um 0,8 Prozent.

In den Folgejahren erreichte die Zahl der Erwerbslosen bis zu fünf Millionen. Bei der letzten Rezession 2003 schrumpfte die Wirtschaft um 0,2 Prozent – und es brauchte gewaltige Anstrengungen von Wirtschaft, Politik und Volk, um aus diesem Tal zum Aufschwung von 2006/07 zu gelangen.

Vier Prozent, das wäre der (in Friedenszeiten) härteste Wirtschaftseinbruch seit 1932, als das Bruttosozialprodukt in Deutschland um beinahe 18 Prozent einbrach. Weniger pessimistische Volkswirte schätzen zwei Prozent Schrumpfung für 2009, was immer noch deutlich schlimmer wäre als bei allen übrigen Nachkriegs-Rezessionen.

Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Hans-Werner Sinn, rechnet denn auch mit „sehr rasch steigenden“ Arbeitslosenzahlen im kommenden Jahr, Commerzbank-Experte Ralph Solveen meint, der Schlamassel sei längst da: „Deutschland befindet sich in der schlimmsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Das Ringen darum, mit welchen Mitteln dem Niedergang zu begegnen sei, gewinnt angesichts solcher Prognosen Tag für Tag an Hektik. Der Druck auf die Handelnden wächst, schnell, sehr schnell etwas zu unternehmen. Welchen Erfolg staatliche Eingriffe überhaupt haben, das bleibt dabei höchst umstritten.

Der US-Ökonom Paul Krugman, der dieser Tage den Nobelpreis für Ökonomie entgegennahm, hält den Untergang der US-Autoindustrie für unvermeidbar. Die Milliardenhilfen der US-Regierung für die drei wankenden Autogiganten GM, Chrysler und Ford zögerten deren Tod nur um ein paar Wochen hinaus.        Hans Heckel

Foto: Ernste Miene: Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn erklärt, er habe noch nie eine derartige Krise erlebt.


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