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13.12.08 / Der Künstler als Regisseur / Hamburger Ausstellung zeigt Werke des Manierismus – Aufbruch in die Moderne

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-08 vom 13. Dezember 2008

Der Künstler als Regisseur
Hamburger Ausstellung zeigt Werke des Manierismus – Aufbruch in die Moderne

Mit der Ausstellung „Sturz in die Welt“ widmet sich das Bucerius Kunst Forum in Hamburg dem Manierismus, der ersten Kunstbewegung, die ganz Europa erfaßte. Zu sehen sind Gemälde, Druckgraphik und Skulpturen von Weltrang.

Die Ausstellung in den neuen, erweiterten Räumen am Hamburger Rathausmarkt präsentiert Meisterwerke des Manierismus zwischen 1520 und 1620, als Künstler in Florenz, Prag, Antwerpen und Madrid das harmonische Schönheitsideal der Hochrenaissance hinter sich ließen, um zu spannungsgeladenen Kompositionen überzugehen.

Als Raffael, der bedeutende Maler der Renaissance, 1520 in Rom starb, glaubte man, das Ende jeder Kunst sei gekommen. Der Maler, Baumeister und Kunsthistoriker Giorgio Vasari (1511–1574) schrieb in seiner Biographie über Raffael: „Mit gutem Grund hätte die Malerei, als dieser edle Künstler starb, gleich selbst mitsterben können, da sie, als er die Augen schloß, fast blind wurde.“

Natürlich erholte sich die Kunst nach dem Tod Raffaels bald. Die Künstler fanden neue Wege. Sie gingen „zu komplexen und spannungsgeladenen Kompositionen über“, erläutert Michael Philipp, Kurator des Bucerius Kunst Forums, im Katalog zur Ausstellung. „Sie setzten nicht länger auf den idealisierten ausgeglichenen Einklang von Mensch und Welt, sondern gaben ihren Werken eine willkürliche, kapriziöse Manier … Menschen wurden mit ausdrucksstarker Gestik, Landschaften mit phantastischen Elementen dargestellt. Grelle Farben, übersteigerte Raumkonstruktionen und schräge Perspektiven spiegelten die Brüche und Wandlungen der Zeit wider. Für Kunst und Künstler war der Manierismus ein Sturz in die Welt.“

Innerhalb kürzester Zeit verbreitete sich der manieristische Stil nicht zuletzt durch neue Drucktechniken in Europa – von Rom und Florenz nach Mantua und Venedig, nach Fontainebleau bei Paris, nach Antwerpen, Haarlem, Toledo, Prag, München und Nancy.

Die 120 Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik und Bronzeskulpturen aus dem Szépmüvészeti Múzeum, dem Museum der Schönen Künste in Budapest, ermöglichen einen Einblick in diese auch heute noch aufregende Epoche. Zu bewundern sind unter anderem Werke von Tintoretto, Giorgio Vasari, El Greco, Jan Breughel d. Ä. und Hans von Aachen.

Deutlich ist zu erkennen, daß viele der Motive inszeniert sind. Der Maler wurde zum Regisseur, das Bild wurde ihm zur Bühne – ein Schauplatz göttlicher Offenbarung oder irdischen Treibens. Und so sind vor allem biblische Motive zu entdecken, aber auch solche aus der griechischen und römischen Mythologie. Mancher Maler nutzte gar die Gelegenheit, nackte Körper darzustellen. „Beliebt sind etwa Darstellungen der drei Grazien, die eine Vielzahl von Körperansichten ermöglichen“, so Philipp. „Darin zeigt sich die Vitalität des Manierismus, der von Scham und Verlegenheit frei in einem Kult der Erotik die Schönheit feiert.“

Das manieristische Kunstwerk des 16. Jahrhunderts sei nicht mehr Ausdruck einer überpersönlichen Wahrheit, sondern ein Objekt der Wahrnehmung: Es thematisiere sich selbst und verlange nach bewußter Auseinandersetzung, betont Philipp.

Erstmals in der Geschichte der Kunst werde die künstlerische Strategie sichtbar gemacht, werde der Künstler als schöpferisches Individuum herausgestellt. Damit werde ein Kunstverständnis begründet, das auch die Moderne prägte.

„Der Triumph des Manierismus war auch ein Triumph des Künstlerischen und der Künstler. Indem die manieristischen Künstler Stilwollen und Stilbewußtsein zeigten, indem sie mit neuen Formen experimentierten ... und neue, extreme Lösungen und Aus-

drucksformen suchten, ihre Kunstwerke inszenierten, ... prägten sie ein Kunstverständnis der Subjektivität, wie es am Ende des 19. Jahrhunderts wieder wichtig wurde und wie es den Aufbruch der klassischen Moderne ausmachte.“   

Silke Osman

Die Ausstellung „Sturz in die Welt – Die Kunst des Manierismus in Europa“ ist bis zum 11. Januar 2009 im Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, Hamburg, täglich von 11 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr zu sehen. Der Katalog (Hirmer Verlag, München, 256 Seiten mit farbigen Abbildungen aller Exponate) kostet in der Ausstellung 24,80 Euro, Ladenpreis 37,90 Euro.

Foto: El Greco: Die Verkündigung Mariä (Öl, um 1600)


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