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20.12.08 / Das Loch im Herzen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-08 vom 20. Dezember 2008

Das Loch im Herzen von Berlin
Ex-Senatsbaudirektor Stimmann fordert: Baut das Marienviertel beim Schloß wieder auf!

Das Berliner Schloß kommt, soviel ist entscheiden. Wie aber sieht es mit seiner weiträumig entstellten Umgebung aus? Berlin müsse seine historische Mitte zurückbekommen, fordert Architekt und Ex-Senatsbaudirektor Hans Stimmann.

Kaum ist die Entscheidung für den Neubau des Berliner Stadtschlosses durch den italienischen Architekten Franco Stella gefallen, debattieren Medien und Fachöffentlichkeit intensiv über die geplante spätere Nutzung der Räume. Diese Diskussion wurde offenbar erst möglich, nachdem mit dem Wiederaufbaubeschluß ein verbindlicher Rahmen gesetzt wurde.

Weitaus wichtiger als die Frage, welche Sammlungen oder Institutionen dereinst im Schloß untergebracht werden, sind aber die städtebaulichen Folgen der Wiedererrichtung der Schloßfigur. Der Bau könnte – wie die Frauenkirche in Dresden – zur Initialzündung werden: zum Wiederaufbau von Teilen des historischen Stadtkerns. Betroffen wäre vor allem die Grünfläche  östlich des Schlosses, auf der anderen Seite der Spree. Hier befand sich das älteste Viertel Berlins. Heute erinnert daran  nur noch die schräg zur Straßenflucht stehende Marienkirche.

Einstmals imposant im Berliner Altstadtviertel thronend ist sie heute optisch „tiefergelegt“, einige Meter unterhalb der Karl-Liebknecht-Straße, die noch bis 1947 nach Kaiser Wilhelm benannt war. Ursache dafür ist die Umgestaltung des historischen Stadtkerns durch die Machthaber der DDR. Obgleich große Teile des Berliner Altstadtviertels den Krieg überstanden hatten, ließ die SED in den 60er Jahren sämtlichen Häuser abreißen. Der Schutt wurde seitlich abgelagert, so daß das Kirchenumfeld immer höher wurde.

Die Ausradierung der Altstadt zugunsten des „Marx-Engels-Forums“ war ein bewußter politischer und städtebaulicher Akt, mit dem der „Stadtraum in einen Staatsraum transformiert“ wurde, so der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Nicht zufällig hat er sich jetzt zu Wort gemeldet, zeichnete er doch nach der deutschen Vereinigung verantwortlich für die Rückgewinnung von Berlins städtebaulichen Strukturen. Jetzt bekannte er im „Tagesspiegel“, er glaube „nicht, daß das Schloß vor dem Marx-Engels-Forum stehen kann. Das ergibt keinen Sinn aus der Geschichte“.

Heute steht das Denkmal vom „Rentnerpaar“ Marx und Engels allein auf grüner Flur, gleichsam obdachlos. Gleichwohl besitzt ihr Standort eine offizielle Adresse: Heiliggeiststraße 16. Diese Gasse aus vergangenen Zeiten verlief einst mitten durch das geschichtsträchtige Altstadtviertel: In der Spandauer Straße 33 etwa stand das Wohnhaus von Moses Mendelssohn, nebenan wohnte Gotthold Ephraim Lessing. In der Burgstraße befand sich das Hotel König von Portugal, in welchem sein Stück „Minna von Barnhelm“ spielte. In der vormaligen Königs-, und heutigen Rathausstraße befand sich älteste Haus der Mark Brandenburg.

Wie schwierig es aber sein wird, die Öffentlichkeit für die Wiederbebauung des Stadtkerns zu begeistern, klang in Stimmanns Vortrag an, den er in Anwesenheit des Architekten Franco Stella vergangene Woche in der Marienkirche hielt. Noch vor Jahren, bekannte Stimmann, hätte er sich nicht vorstellen können, einst hier über das Thema zu sprechen. Doch daß mit der Zeit sich auch die Ansichten ändern, wußte schon der Schloßstreiter Wilhelm von Boddien mit seinem inzwischen legendären Diktum: „Wer nicht hören will, muß sehen.“ Nach diesem Prinzip überzeugte er viele, die das Schloßprojekt anfangs ablehnten.

Noch ungleich schwieriger gestaltet sich die Situation beim Marienviertel. Denn hier ist eine ganze Nation „Auf der Suche nach einem verlorenen Zentrum“, wie der Publizist Klaus Hartung unlängst schrieb. Die schwerste Hürde ist demnach die „Erinnerungslosigkeit“. Beispielhaft dafür sei, so Stimmann, daß selbst bei den Architekten „keine Bilder“ von der verlorenen Stadt mehr existierten. Geradezu als Ironie der Geschichte erscheine es da, daß ausgerechnet der abgetragene „Palast der Republik“ als Bild überdauern werde. Die „Inszenierung“ seines Abrisses, so Stimmann, sei – gemessen an der Dauer, der begleitenden Dokumentation und der öffentlichen Anteilnahme – ein „einmaliger Vorgang“. Genauso einmalig, wie die nun entstandene freie Sicht von 900 Metern quer durch die Altstadt. Sarkastisch wäre diese „weltweit einmalige Situation“ ein möglicher „Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde“.

Ernsthaft gesprochen aber gehe es hier „um den Geburtsort der Stadt“, der sich unter dem Rasen des Marx-Engels-Forums verberge. Eine erste Annäherung wird es bereits vor der Schloßfertigstellung geben. Denn ein Teil des Platzes wird für die Baustelleneinrichtung der geplanten Verlängerung der U-Bahnlinie 5 und die damit einhergehenden Ausgrabungen benötigt. So wird Berlin zwangsläufig auf sein städtebauliches Erbe gestoßen. Neben dem kitschigen, noch zu DDR-Zeiten rekonstruierten Nikolaiviertel, wird das Modell der „europäischen Stadt“ auch an anderen Stellen wiederhergestellt: um die Klosterstraße, den Hausvogteiplatz, die Fried­richwerdersche Kirche oder aktuell mit dem geplanten Neubau am Molkemarkt. Das „spektakuläre“ Bauprojekt der teilweisen Wiederherstellung des Marienviertels müßte laut Stimmann eigentlich die Feuilletons, Tageszeitungen und Architekturzeitschriften dominieren. Doch es passiert nichts, denn: „Die Bildlosigkeit ist grenzenlos.“           Peter Westphal

Foto: Das Denkmal der Ahnen des Kommunismus verliert sich in sozialistischer Tristesse: Wo einst in den Gassen der Altstadt das Leben pulsierte, gähnt heute die öde Weite des „Marx-Engels-Forums“. Nur die Marienkirche (links) und das Rote Rathaus (rechts) überlebten den Krieg und die Abrißwut der SED.


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