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20.12.08 / In der Krise: Was wir uns noch selber wert sind

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-08 vom 20. Dezember 2008

Gegen den Zeitgeist:
In der Krise: Was wir uns noch selber wert sind
von Hans-Jürgen Mahlitz

Frei nach Brecht: Stellt euch vor, es ist Krise, und niemand geht hin! Der sozialismusbewegte Dichter war seinerzeit so frei, es mit dem Recht am geistigen Eigentum nicht so genau zu nehmen – den bis heute in Pazifistenkreisen überaus beliebten Satz hat er geklaut, von dem deutsch-amerikanischen Bühnenautor Carl Sandburg, der 1936 geschrieben hatte: „Sometimes they’ll give a war, and nobody will come.“ Brecht übersetzte halbwegs korrekt, fügte seinem „Es ist Krieg und keiner geht hin“ aber den entscheidenden, von Pazifisten bewußt unterschlagenen Nachsatz hinzu: „Dann kommt der Krieg zu euch!“ Krieg oder Krise – so groß ist der Unterschied vielleicht ja gar nicht. Krieg ist eben nicht mehr „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, sondern die bittere Folge des Versagens der Politik. Als Waffen dienen nicht mehr nur Kanonen oder Raketen, Schlachtschiffe oder Kampfjets – die Machtpolitik moderner Staaten bedient sich des Kapitals, der Rohstoffe, des globalisierten Handels, der Verfügung über Energiequellen. Ob Soldaten heute Uniform oder Nadelstreifen tragen, hängt davon ab, an welcher Front sie eingesetzt werden.

Die Krise ist derzeit allgegenwärtig, in den Medien, in Gutachten, in den Reden und – seltener – Taten der Politiker. Es scheint geradezu ein Wettlauf ausgebrochen zu sein: Was ist schon die gestern angekündigte Katastrophe gegen die Katastrophe von heute und morgen? Es ist noch nicht lange her, da erregten sich bundesweit die Gemüter, wenn öffentliche Hände ein paar tausend Mark verplempert hatten. Dann stritt man erbittert um Millionen, erst ein-, dann zwei-, schließlich dreistellig. Heute müssen es schon Milliarden sein, möglichst einige hundert, und natürlich in Euro. Während die reale Inflation, die diesen Namen eigentlich nicht verdient, also der Anstieg der Verbraucherpreise, sich im moderaten Zwei-Prozent-Bereich hält, erleben wir eine galoppierende Inflation des Krisenvokabulars. Vor kurzem drohte noch die größte Krise seit zehn Jahren, inzwischen sind wir schon beim Jahrhundertrekord angekommen. Aufgeregte Fernsehmoderatoren haben sich derweilen über die Superkrise zur Megakrise vorgearbeitet; man darf gespannt sein, was ihnen als nächstes einfällt.

Kein Zweifel, die Krise ist da, sie droht uns rund um die Uhr auf allen Kanälen, in allen Blättern. Vorgestern hieß sie noch Rezession, gestern schon Totalcrash, heute dann Super-Mega-GAU. Aber staunend sehen wir: Es ist Krise, und keiner geht hin. Statt dessen gehen die Menschen dahin, wo es etwas zu kaufen gibt. Der Einzelhandel meldet von Adventwochenende zu Adventwochenende neue Umsatzrekorde. Ob in Hamburg oder München, in Berlin oder Düsseldorf: In den Geschäftsstraßen der Innenstädte trifft man kaum einen, der keine Einkaufstüte in der Hand hat. Es wird gekauft wie lange nicht mehr, und das sind keine Panik- und Hamsterkäufe. Da werden nicht etwa Kartoffeln, Mehl und sonstige Grundnahrungsmittel gebunkert für die schlechten Zeiten, die demnächst über uns hereinbrechen. Nein, da wird munter alles gekauft, was man sich versagt hat, solange bei fünf Millionen Erwerbslosen die Angst um den Arbeitsplatz etwas ganz Reales war. Heute wundern wir uns nicht einmal darüber, daß trotz „Mega-Krise“ die Arbeitslosenzahl per Anfang Dezember um ein paar tausend gesunken ist.

Aktuelle Umfragen zeigen: Eine breite Mehrheit der Deutschen hat Angst vor einer Wirtschaftsflaute, aber nur eine Minderheit sieht auch die eigenen Perspektiven eher negativ. Haben wir es also nur mit einer „gefühlten“ Krise zu tun? Geht uns das alles nichts an? Gibt es die Probleme wirklich nur „fern in der Türkei“, sprich im noch ferneren Amerika?

Vorsicht: Auch wenn wir unsere Volkswirtschaft von schlimmen Einschnitten bislang verschont blieb, sollten wir uns des Brecht’schen Gedichts erinnern – „dann kommt die Krise zu euch!“ Dann aber kommt auch die wahre Bewährungsprobe. Dann werden wir zeigen müssen, ob wir – wie schon so oft in unserer stolzen Geschichte – die Kraft haben, zu bestehen.

Das ist nur vordergründig eine Frage der richtigen oder falschen Konjunkturprogramme. Die Zukunft Deutschlands als Wohlstandsinsel, aber auch als Kulturnation hängt nicht davon ab, ob Seehofer und Glos oder Merkel und Steinbrück recht haben. Auch nicht davon, mit wieviel Zigmilliarden diese Bank oder jener Autokonzern vor der Insolvenz gerettet werden soll.

Es geht um viel mehr. Auch hier können wir – bei allem sozialistischen Unsinn, den er ansonsten zu Papier gebracht hat – von Brecht lernen, wenn er schreibt: „Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt / und läßt andere kämpfen für seine Sache, / der muß sich vorsehen; / denn wer den Kampf nicht geteilt hat, / der wird teilen die Niederlage ... / Denn er wird kämpfen für die Sache des Feindes, / wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“ Diese unsere „eigene Sache“, das ist nicht nur das Bruttosozialprodukt, die Außenhandelsbilanz, das Pro-Kopf-Einkommen, die Sparquote oder die Engmaschigkeit des sozialen Netzes. Unser Platz in der Völkergemeinschaft, als eine Nation, die nicht besser, aber auch nicht schlechter als andere Nationen ist, darf nicht nur in Euro und Cent definiert werden. Was wir uns als Volk selber wert sind, das ist unsere „eigene Sache“, für die wir, wenn nötig, zu kämpfen haben.

Was wir uns wert sind, ist letztlich eine Frage der Werte, die uns wichtig sind. Natürlich darf man auch die materiellen Werte nicht gering achten; ohne sie kann eine Volksgemeinschaft nicht funktionieren. Hier leiden wir Deutschen heute unter schweren Defiziten. Unter dem unsäglichen Motto „Geiz ist geil“ haben wir Waren und Dienstleistungen systematisch ihres angemessenen Wertes beraubt. Alles muß nur noch billig sein, unter welch menschenunwürdigen Bedingungen Güter produziert, auf welch umweltbelastenden Wegen sie um den halben Erdball transportiert werden, interessiert uns nicht. Hauptsache billig, den Deutschen, diesem „einig Volk von Schnäppchenjägern“, kann man nichts mehr zu einem angemessenen, dem Wert entsprechenden Preis verkaufen.

Noch krasser aber sind die Defizite bei den immateriellen, den geistigen und moralischen Werten. Gesellschaftliche Strukturen, die jahrhunderte-, oft jahrtausendelang sich bewährt haben, meinen wir, erst „auf den Prüfstand stellen“ und sodann, wie programmiert, auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgen zu müssen. Die angeblich so moderne Single-Gesellschaft maßt sich an, ohne traditionelle Familienbande leben zu können, ohne Treue zwischen den Partnern, ohne Respekt der Jüngeren gegenüber den Älteren, ohne liebende Fürsorge der Älteren für die Jüngeren. Diese Gesellschaft ist auf ihrem Weg in den blanken Egoismus gefährlich weit fortgeschritten, hat sich schon weitgehend von Verantwortungsgefühl und vom gesunden Bewußtsein für Recht und Unrecht verabschiedet. Wenn wir auf diesem Irrweg der totalen – materiellen wie moralischen – Ent-Wertung nicht bald umkehren, werden wir in der Konfrontation mit anderen Völkern und Religionen, die sehr wohl für ihre „eigene Sache“ kämpfen, untergehen.

Die Krise, die wohl mehr oder minder heftig kommt, und zu der dann keiner hingehen will, sollte zumindest zum Anlaß genommen werden, uns die wirklich wichtigen Werte wieder bewußt zu machen. Mit Gottvertrauen und dem Wiedererstarken bewährter Tugenden wie Ehrlichkeit, Fleiß und Verantwortungsbewußtsein können wir die geistige – und auch die materielle – Krise meistern. Das ist die Weihnachtsbotschaft 2008.


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