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20.12.08 / Europas Bürgerkrieg / 1914 bis 1945 als Ganzes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-08 vom 20. Dezember 2008

Europas Bürgerkrieg
1914 bis 1945 als Ganzes

Der Autor, der in Paris lebt und in der trotzkistischen „Ligue Communiste Revolutionnaire“ engagiert ist, stammt aus Gavi in Piemont. Dort hat er die Erinnerung an viele Elemente des von ihm analysierten „europäischen Bürgerkrieges“ von 1914 bis 1945 aufgenommen: Die Auseinandersetzungen zwischen der deutschen Besatzung (ab September 1943), den Anhängern der „Republik von Salo“ und italienischen Partisanen, die Kollaboration der Einheimischen mit der einen oder anderen Seite, die sinnlosen alliierten Luftangriffe mit vielen zivilen Toten aber auch das summarische Wüten der siegreichen Partisanen am Ende des Krieges.

Der Autor stellt die unerhörte Phase der Gewalt, die Europa von 1914 bis 1945 durchlitten hat, in einen größeren Zusammenhang, bekennt allerdings, daß auch er keine definitiven Erklärungen anzubieten hat. So referiert er die diesem Zeitalter gemeinsamen Phänomene in übersichtlicher Gliederung. Dabei ist sein extremlinkes Engagement nicht unbedingt hinderlich. Sein trotzkistischer Standpunkt bewirkt vielmehr positiv, daß sein – übrigens differenziert analysierter – „Antifaschismus“ frei ist von Sympathien für den bürokratisierten Sowjetkommunismus.

Traverso wirbt, entgegen Francois Furet, dafür, daß die Überwindung der totalitären Ideologien der Vergangenheit nicht einfach den „unausweichlichen Weg der westlichen Zivilisation zum demokratischen Liberalismus“ geebnet habe. Denn auch dieser sei ein dem historischen Wandel unterworfenes Phänomen, und die totalitären Ideologien hätten nicht für einige Jahrzehnte so erfolgreich sein können, wenn die Demokratie keine Angriffsflächen geboten hätte. Damit reiht sich der Autor unter diejenigen ein, die vertreten, daß die Geschichte auch nach dem Ende der totalitären Ideologien noch nicht ans Ende all ihrer Konflikte gelangt sei.

Das ist mittlerweile nicht mehr originell, zumal Traverso auch sonst allerlei Material aus der „Bürgerkriegszeit“ Europas ansammelt, das anderswo schon ausgedeutet wurde. Für den deutschen Leser ist interessant, wie er aus dem totalen Vernichtungswillen der Gegner des Zweiten Weltkrieges heraus, als zwischen Soldaten und Zivilisten oft nicht mehr unterschieden wurde, den Bombenkrieg gegen Deutschland ohne weiteres als von Kriegsverbrechen gekennzeichnet darstellt. Dabei weist er auch auf das sogenannte „cultural bombing“ hin, die von beiden Kriegsparteien geübten, bewußte Zerstörung von Kulturdenkmälern, um auch die Traditionen des Feindes zu vernichten. Die Raserei der Rotarmisten beim Vormarsch nach Deutschland und die Vertreibung der Deutschen werden beim Namen genannt. Der umstrittenen These von Ernst Nolte, daß der Holocaust als Reaktion auf die Schreckensherrschaft der Bolschewisten zu deuten sei, nimmt der Autor die Spitze, indem er ihn, ohne dessen Fürchterlichkeit zu relativieren, ebenfalls in die allgemeine Atmosphäre des Vernichtungswillens der „Bürgerkriegsparteien“ einordnet.

Wie sich ab 1914 die Brutalität der europäischen Konflikte allmählich entfaltet hat, das kann man allerdings eher beschreiben als „erklären“, und so geht der Autor auch vor. Der zeitliche Abstand zum Jahr 1945 ist mittlerweile aber ohnehin schon so groß, daß selbst eine Erklärung nicht mehr als Entschuldigung im Sinne eines der damaligen Parteistandpunkte mißverstanden werden sollte.   Bernd Rill

Enzo Traverso: „Im Bann der Gewalt – Der europäische Bürgerkrieg 1914–1945“, Siedler-Verlag, München 2008, 24,95 Euro


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