19.04.2024

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20.12.08 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-08 vom 20. Dezember 2008

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,

liebe Familienfreunde,

„Es ist eine Zeit angekommen, die bringt uns eine große Freud …“, haben wir auf den Adventsfeiern gesungen, die wir in diesen Wochen im vertraut-heimatlichen Kreis überall begingen. Und es ist nur natürlich, daß sich, wenn die alten schönen Weihnachtslieder erklangen, in die Freudentränen auch ein paar Wermutstrophen mischten, denn viele Plätze, die wir in Gedanken frei gehalten hatten, blieben leer. Die Zeit fordert eben ihren Tribut, und das spüren wir auch allwöchentlich in unserer Ostpreußischen Familie, und jetzt in der traditionellen Jahresrückblende noch viel mehr. Es hat viel gebracht, dieses Jahr 2008, auch für unsere Familie, ihre Fragen, Wünsche und Hoffnungen. Aber die großen Wunder, das unerwartete Auffinden von Menschen, nach denen ein halbes Jahrhundert und länger vergeblich gesucht wurde, sind weniger geworden. Vielleicht liegt es auch daran, daß unsere Kolumne eben der letzte Hoffnungsträger ist, weil alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden.

Und trotzdem haben wir erstaunlich viel erreicht, und manchmal kann man doch das Wort „Wunder“ anklingen lassen. Ich denke da an Frau Christa Möller aus Bienenbüttel, deren Name sehr oft in diesem Jahr auf unserer Familienseite erschienen ist. Und das hatte eben seine Gründe, denn Frau Möller war, als sie mit ihrer Großmutter von Sensburg aus auf die Flucht ging, erst acht Jahre alt und hatte nun viele Fragen, die ihren – leider vergeb­lichen – Fluchtweg betrafen, denn die kleine Christa Koller und ihre Großmutter Elly Borowski fielen in die Hände der Russen und erlebten noch drei furchtbare Jahre, in denen das Kind für die kranke Großmutter betteln gehen mußte, weil sie von den Besatzern keinerlei Nahrungsmittel bekamen. Als sie dann im Oktober 1948 ausgewiesen wurden, mußte Christa ihre Großmutter zum Transportzug schleifen. Narben blieben zurück, körperliche wie seelische, bis heute. Wie bei so vielen Leserinnen und Lesern, die ähnliches erlebt hatten und die durch die Spielfilme und Dokumentationen, die endlich einmal das Thema „Flucht und Vertreibung“ behandelten – wie auch immer! – mit ihren Aufzeichnungen zur Aufarbeitung dieses für sie noch immer gravierenden Problems beitragen wollten. Es wurde zum Hauptthema unserer Ostpreußischen Familie in diesem Jahr und wird es auch weiter bleiben.

Aber wie war das denn mit dem Wunder? Frau Möller hatte eine ostpreußische Treckfamilie gesucht, die ihr und ihrer Großmutter auf der Flucht im Februar 1945 über das Eis des Frischen Haffes geholfen hatte. Aber sie wußte nicht mehr, wo und wann das geschehen war, noch den Namen der Familie, von der sie vermutete, daß sie „Meyer“ gehießen hätte. Stimmte aber nicht, denn es handelte sich um die Familie Kalweit, die den zu Fuß Flüchtenden half. Es meldete sich nämlich bei Frau Möller die – damals 13jährige – Inge Kalweit, die sich genau an die Mitgenommenen erinnerte. Auch ihr jüngerer Bruder Gerhard erinnerte sich an diesen Teil ihrer Flucht, der ja nur wenige Stunden gedauert hatte, denn auf der Frischen Nehrung nahmen sie Abschied, weil sich ihre Fluchtwege trennten. So fanden sich die damaligen Kinder nun im Seniorenalter nach über 60 Jahren zusammen – für Frau Möller und die Kalweit-Geschwister war das schon ein Wunder, und wir wollen es auch so ruhig stehen lassen. Frau Möllers – vorerst – letzte Zeilen zu diesem Ereignis beweisen, daß sich die Verbindung gefestigt hat, denn sie lauten: „Mit Herrn Gerhard Kalweit telefonierte ich heute. Inzwischen haben wir beide in unserm Hinterköpfchen gekramt und brachten erstaunlicherweise wieder tatsächliche Ereignisse in Übereinstimmung zusammen – und das für die kurzen Stunden und in dem Alter! Was vage war, hat nun Hand und Fuß!“

Eines der wirklichen Wunder hat in diesem Jahr seinen krönenden Abschluß gefunden. Es ist nicht überraschend gekommen sondern hat sich in zwölf langen Jahren ergeben, eine lange Spanne Zeit im Leben eines Kindes, in der es sich vom Dreijährigen zum Teenager entwickelte – zu einem jungen Menschen, der jetzt wie andere Gleichaltrige leben kann. Viele Leserinnen und Leser werden wissen, wen ich meine: Mantas aus Litauen, „unser Christkind“, wie wir ihn nannten, weil wir in jeder Weihnachtsausgabe von ihm und den Menschen, die ihm geholfen haben, berichteten. Heute wird es nun zum letzten Mal geschehen, denn Mantas kann nach der in diesem Sommer stattgefundenen Enduntersuchung in Hamburg-Harburg aus medizinischer Sicht ein normales Leben führen. Das sah damals anders aus, als im September 1996 der heute in Hamburg lebende Königsberger Dr. Detlef Arntzen auf einer Heimatreise in Ruß von einer älteren Frau angesprochen wurde. Auf deutsch, denn die dort lebende Ursula Jakumeit war in der Heimat geblieben und führte dort ein Leben voller Entbehrungen. Und deshalb war auch ihre Bitte sehr bescheiden: Sie wünschte sich für ihren kleinen Urenkel „ein paar alte Koddern, weil dem Jungchen immer das Wasser aus dem Bauch läuft, und wir haben doch nuscht!“ Es blieb Herrn Dr. Arntzen nicht viel Zeit, um zu erkunden, was die Urgroßmutter damit meinte, aber soviel stand fest: Dem Kind fehlten verschiedene Organe oder sie hatten eine Fehllage, damit erschien die Lebenserwartung des Dreijährigen nur begrenzt, denn eine Operation in Litauen war nicht möglich. Unser Königsberger Landsmann beschloß, Frau Jakumeit nicht nur Windeln und Leibbinden für den Jungen zu schicken, sondern er bemühte sich auch nach seiner Rückkehr in Hamburg um medizinische Beratung und um Spenden für eine von ihm geplante Hilfsaktion.

Was dann geschah, klingt kaum glaubhaft: Es fanden sich viele Menschen, die sich bereit erklärten, dem Kind zu helfen, vor allem Fachärzte, die zuerst einmal eine gründliche Untersuchung vornehmen wollten. Die konkrete Hilfe begann im August 1997, als nach verschiedenen Fernsehberichten des Landesfunkhauses Kiel, in denen um Spenden gebeten worden war, genügend Geld auf dem inzwischen eingerichteten Sonderkonto des Diakonischen Werks vorhanden war, um eine erste, sehr schwierige Operation durch Prof. Stöckle in Kiel zu ermöglichen, deren Ergebnis befriedigend war. Ein Jahr später kam Mantas mit Urgroßmutter Ursula und Mutter Raßa wieder nach Kiel, sein Zustand hatte sich sehr gebessert, Nachuntersuchungen in den folgenden Jahren erbrachten das gleiche Ergebnis. Im Juli 2003 konnte die zweite notwendige Operation erfolgen, die von Frau Dr. Fisch in Hamburg-Harburg durchgeführt wurde. Auch die Nachuntersuchung im folgenden Jahr war sehr erfreulich. Sie ergab, daß aus dem todkranken Kind ein lebensfroher, aufgeweckter Junge geworden war, der ein weitgehend normales Leben führen konnte. Er besuchte bereits das Gymnasium, galt als aufgeweckt und lernbegierig und hatte auch schon einen Berufswunsch: Schiffsingenieur. Dazu hatten ihn wohl die Seereisen nach Kiel angeregt. Diesen Wunsch äußerte er auch in diesem Sommer, als er zur letzten Nachuntersuchung in die Bundesrepublik Deutschland kam. Der damalige Chefredakteur der PAZ, Herr Klaus D. Voss, und ich besuchten Mantas und seine Mutter Raßa in Neumünster, wo ihn ein Arztehepaar betreute, das dieses Hilfsprojekt von Beginn an begleitet hatte, und fanden einen hoch aufgeschossenen Jungen, dem äußerlich von den schweren Operationen und Behandlungen nichts anzumerken war. Da er auch Sport treiben kann, schenkten wir ihm zum Abschied einen Weltmeisterschaftshandball – die strahlenden Augen Mantas verrieten, wie er sich darüber freute. So nahm auch Dr. Arntzen Abschied von seinem Schützling, der ihm und den vielen aktiven Helfern und Spendern sein Leben verdankte – und da kann man wirklich schon von Wunder sprechen. Mögen andere es Schick­salsfügung nennen, wir empfinden es so, und weil unsere Ostpreußische Familie dazu beigetragen hat – denn auch aus unserem Leserkreis kamen im Laufe der Jahre viele Spenden –, haben wir Mantas wundersame Geschichte hier noch einmal ausführlich erzählt. Vielleicht werden wir später einmal über seinen weiteren Lebensweg berichten, denn das Spendenkonto ist noch gut gefüllt, es soll zur Finanzierung seiner Berufsausbildung beitragen. „Unser Christkind“ wird Mantas dann allerdings nicht mehr sein. Von diesem nehmen wir heute Abschied.

Eine besonders breite Resonanz haben meine Erinnerungen „Die Heimat ist mitgewandert“ in unserem Leserkreis gefunden und damit auch in unserer Ostpreußischen Familie. Und so will ich einige Zuschriften herausgreifen, die meine Erinnerungen ergänzen und Namen betreffen, die zur ostpreußischen Nachkriegsgeschichte gehören und vielen Leserinnen und Lesern vertraut sind. So schreibt Frau Ilse Conrad-Kowalski aus Lübeck:

„Zusammen mit der Baracke taucht vor meinem inneren Auge der weiße Hochbunker am Bahnhof Berliner Tor in Hamburg auf, von dem aus ich die Baracke erreichte. Sie haben im Zusammenhang mit der Kulturarbeit der ersten Stunde viele bekannte Namen genannt. Einer aber fehlt, eine Lücke, die ich in diesem Sinne jetzt schließen möchte: Hanna Wangerin, Herz und Seele der Baracke. Unermüdlich hat sie daran gearbeitet, den Gruppen Material für die Kulturarbeit zur Verfügung zu stellen, Seiten auf Seiten auf ihrer alten Schreibmaschine heruntergeklappert, um die vielen Anfragen zu beantworten und Texte auf Wachsmatrizen zu bannen, hat Noten gestochen und Bastelanleitungen gezeichnet – für uns, die wir noch kaum Zugang zu Büchern und Liedersammlungen hatten. In meinem Besitz sind noch eine ganze Reihe dieser mit großer Mühe hergestellten, hektographierten Blätter. Ob bei persönlichen Besuchen, in der Baracke, ob auf musischen Lehrgängen und Begegnungen – was habe ich nicht alles bei Hannchen gelernt. Sie war es auch, die mit Lieselotte Trunt zusammen die ostpreußische Jugendarbeit anschob und begleitete. Und so gebührt ihr in einer Rückschau auf die Anfänge der Landsmannschaft Ostpreußen (LO) in der Baracke unbedingt ein Ehrenplatz auf der Liste der ,Beweger der ersten Stunde‘.“

Und nicht nur hier und heute, liebe Frau Conrad-Kowalski. Denn über diese frühe Jugendarbeit nach Krieg und Flucht habe ich noch mehr Berichte erhalten mit vielen alten Aufnahmen sogar, eine wahre Fundgrube, so daß ich im neuen Jahr einen größeren Bericht über dieses so wichtige Kapitel unserer LO-Geschichte bringen will. Und da wird es nicht bei unserm „Hannchen“ bleiben, obgleich sie einer der wichtigsten Fundamentsteine für den Aufbau der ostpreußischen Kulturarbeit war. Vorab danke ich aber schon einmal Frau Karin von Seggern Lange von der Insel Helgoland, die uns ihre Erinnerungen an den Komponisten Herbert Brust zusandte. Er war ihr Musiklehrer an der Humboldtschule in Bremerhaven gewesen, und sie weiß noch viel Interessantes und Vergnügliches aus jener Nachkriegszeit zu berichten. Und sie mit Fotos zu belegen.

Ganz besonders herzlich aber danke ich Frau Anna-Luise Lucke aus Lüneburg, die mir ein Buch ihres Vaters Hans Lucke zusandte und mich an unsere damaligen Begegnungen erinnerte. Und eine Besprechung seines Buches „Der Leuchtturmwächter und andere Ostpreußen“ beilegte, die ich damals geschrieben hatte. Die Vergangenheit ist eben nicht vergangen, das spüren wir Ostpreußen immer wieder. Liebe Frau Lucke, ich freue mich sehr über die Zusendung des Buches „Und die Meere rauschen“ und werde es in meiner Bibliothek dem für mich liebsten Buch Ihres Vaters, „Der leichte Stein“, zugesellen.

Es wäre noch so vieles über die Erfolge unserer Ostpreußischen Familie in diesem Jahr zu berichten, über die gewünschten aber auch unverhofften Begegnungen mit Freunden, Nachbarn, Schulkameraden, ja sogar Verwandten, aber das würde zu weit führen. Auch die Geschichte des Dessauer Hofes in Insterburg und der letzen Besitzerfamilie Pakleppa hat wieder viel Neues erbracht, es scheint eine unendliche Geschichte zu werden, und darüber werde ich in der nächsten Ausgabe berichten. Es geht vor allem um Familienforschung und die Frage: Woher kommt mein Name? Diese und ähnliche Fragen stehen auch weiterhin ganz oben auf unserer Wunschliste, und es ist erfreulich, daß sie zunehmend aus der Enkelgeneration kommen. Auch Familie Kukla in Melsbach beschäftigt sich mit Namensforschung, sie stammt aus Moschnen am Treuburger See. Auf die Nennung ihres Namens in unserer Kolumne erhielt sie etliche Anrufe, so auch den von einer Frau Schulze aus Berlin. Deren Anfrage könnten die Kuklas leicht beantworten, leider sind ihnen Telefonnummer und Anschrift abhanden gekommen, und sie bitten deshalb die Anruferin, sich noch einmal bei ihnen zu melden. „Wir haben neue Nachrichten“ verspricht Frau Kukla. Na, das hört sich doch gut an.

Ja, unsere Ostpreußische Familie wäre ja nicht die Ostpreußische Familie, wenn es nicht neue Fragen und Wünsche gäbe. Und wenigstens einen will ich noch bringen.

„Als regelmäßiger Leser der Seite ,Ostpreußische Familie‘ wundere ich mich immer wieder, daß noch nach 60 und mehr Jahren in Ihrer Rubrik Kriegsschicksale aufgeklärt werden“, schreibt Herr Harry Bendig aus Tostedt. Das wünsche ich auch in seinem Fall, denn Herr Bendig sucht noch immer, das Schicksal seines Bruders zu klären. Das stand für ihn bis zu diesem Frühjahr fest: Heinz-Gerhard Bendig, * 23. November 1920 in Sensburg, war am 23. März 1945 mit U-296 unter Kapitänleutnant Rasch im Nordkanal zwischen England und Irland untergegangen. Diese Auskunft erhielt Harry Bendig am 31. März 1982 vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). So hatte er sich also seit Jahrzehnten mit dem Tod seines Bruders in der letzten Phase des Krieges abgefunden. Bis Herr Bendig das U-Boot-Denkmal Möltenort besuchte und auf der Ehrentafel für die Gefallenen nicht den Namen seines Bruders fand. Seine daraufhin erfolgten Anfragen beim Deutschen U-Boot-Museum in Cuxhaven und bei der Deutschen Dienststelle (WASt) in Berlin ergaben, daß Heinz-Gerhard Bendig die letzte Fahrt von U-296 offensichtlich nicht mitgemacht hat, da sein Name nicht auf der Mannschaftsliste steht. Laut Auskunft wurde er nach Bergen (Norwegen) zur Personalreserve der dort stationierten 11. U-Flotille versetzt. Dann verliert sich seine Spur, und niemand weiß, wo und wie sein weiteres Schick­sal verlaufen ist. Vielleicht erinnern sich noch ehemalige Kameraden an Heinz-Gerhard Bendig, der als 19jähriger am 1. Januar 1940 zur Kriegsmarine eingezogen wurde, dann auf U-333 unter Kapitänleutnant Cremer und ab 3. November 1944 auf U-296 gefahren ist. Stationiert war er in Trondheim, Stavanger und Bergen. Durch die als sicher geglaubten Angaben über seinen Tod beim Untergang von U-296 haben sich die weiteren Forschungen verzögert, dadurch verringert sich auch die Möglichkeit einer Klärung durch ehemalige Kameraden. Wir hoffen also, daß es – wie so oft – zwar spät, aber nicht zu spät ist. (Harry Bendig, Huthscher Weg 12 in 21255 Tostedt-Land, Telefon 04180/365.)

So, das wäre unsere „Weihnachtsfamilie“ und zugleich die letzte Kolumne in diesem Jahr. Ich wünsche allen Landslied und Freunden ein friedliches, besinnliches Weihnachtsfest, und auch die Fröhlichkeit soll nicht fehlen. Und das gilt auch für einen guten Gang in das Neue Jahr (den „Rutsch“ lassen wir lieber bleiben!) Ich danke Ihnen für Ihre Treue und Ihr Mitdenken, Mithelfen, Mitgestalten unserer Ostpreußischen Familie und bleibe

Ihre Ruth Geede

Fotos: Mantas: „Unser Christkind“ ist mittlerweile zu einem Teenager geworden, der jetzt wie andere Gleichaltrige leben kann; Heinz-Gerhard Bendig (rechts) mit seiner Verlobten Hilde Kongel und deren Vater: Wer Näheres über das Schick­sal des Soldaten weiß, wende sich an Harry Bendig, Huthscher Weg 12 in 21255 Tostedt-Land, Telefon (04180) 365.


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