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20.12.08 / »Schutzengel der Armenier« / Vor 150 Jahren kam der evangelische Theologe, Orientalist und Humanist Johannes Lepsius in Berlin zur Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-08 vom 20. Dezember 2008

»Schutzengel der Armenier«
Vor 150 Jahren kam der evangelische Theologe, Orientalist und Humanist Johannes Lepsius in Berlin zur Welt

Die guten deutsch-armenischen Beziehungen gründen ganz wesentlich auf der Erinnerung an die Leistungen eines einzigen Mannes: Johannes Lepsius. Am 15. Dezember wäre der evangelische Berliner Theologe, Doktor der Philosophie und Orientalist 150 Jahre alt geworden. Der Schriftsteller Franz Werfel, dessen Werk „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ ebenfalls in erheblichem Maße zur Bekanntmachung der türkischen Armenierpogrome im Ersten Weltkrieg beigetragen hat, nannte ihn den „Schutzengel der Armenier“.

Johannes Lepsius war der jüngste Sohn des Begründers der Ägyptologie in Deutschland, Carl Richard Lepsius, und dessen Frau Elisabeth, einer Urenkelin des Aufklärers Friedrich Nicolai. Umfassende Bildung, ein weiter Horizont und intellektuell anregende Kontakte waren ihm und seinen fünf Geschwistern in die Wiege gelegt. Mit der Armenierfrage im Osmanischen Reich kam Lepsius erstmals in Berührung, als er von 1884 bis 1886 im Vorstand eines syrischen Waisenhauses in Jerusalem arbeitete, das nach Massakern an der einheimischen christlichen Bevölkerung im Jahre 1860 entstanden war.

Unmittelbar nach den verheerenden türkischen Armenierpogromen der Jahre 1894 bis 1896 gründete Johannes Lepsius im Zuge einer großen deutschlandweiten humanitären Werbekampagne sein „Armenisches Hilfswerk“, das über Jahrzehnte hinweg weitreichende internationale Aktivitäten entfaltete. 1914 gehörte er zu den Berliner Initiatoren der „Deutsch-Armenischen Gesellschaft“. Eine zentrale Veröffentlichung war die Dokumentation des Völkermords an den Armeniern von 1915/16, die den Titel „Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“ trug und im August 1916 von der deutschen Zensur verboten wurde. Zuvor konnten jedoch immerhin 20000 Exemplare an protestantische Pfarrämter verschickt werden, die ihre Wirkung nicht völlig verfehlten, auch wenn Kritik am Waffenbruder Türkei in den Kriegsjahren nicht opportun war.

Lepsius hat die Massenmorde, die er frühzeitig kommen sah, trotz energischer eigener Versuche (so traf er 1915 sogar mit Kriegsminister Enver Pascha zusammen) nicht verhindern können. Auch mußte er angesichts drohender strafrechtlicher Verfolgung im Zusammenhang mit der deutschen Militärzensur seine Aktivitäten ins benachbarte Holland verlagern. Dennoch leistete er den etlichen hunderttausenden beziehungsweise nach armenischen Angaben über eineinhalb Millionen Toten unter den auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches zwangsumgesiedelten Armeniern und dem armenischen Volk insgesamt einen unvergeßlichen Dienst: Er dokumentierte die Leiden und sorgte dafür, daß diese nicht im Dunkel der Geschichte der Vergessenheit anheimfielen, sondern als nationaler Mythos der Armenier für die Gegenwart und Zukunft von ungeheurer Bedeutung sind. Das wohl wichtigste Werk von Johannes Lepsius ist deshalb seine 1919 veröffentlichte Schrift „Deutschland und Armenien 1914–1918: Sammlung diplomatischer Aktenstücke“ (die sogenannten Lepsiusdokumente). Diese hatte das Berliner Auswärtige Amt noch kurz nach der Kapitulation Ende 1918 bei ihm in Auftrag gegeben, um über die differenziert zu betrachtende Haltung der deutschen Reichsregierung in der Armenierfrage Zeugnis abzulegen.

Lepsius selbst nannte seine Zusammenfassung zahlreicher, häufig sehr präziser Augenzeugenberichte deutscher Diplomaten und Militärs eine „gut abschneidende Ehrenrettung Deutschlands“. Obwohl die Sammlung manche quellenkritische Mängel aufweist und es offenbar einige Verkürzungen seitens des Auswärtigen Amtes gab, um Einzelfälle einer Beteiligung deutscher Militärberater an antiarmenischen Repressionen zu vertuschen. Im Gesamtzusammenhang handelt es sich jedoch um eher unbedeutende Manipulationen, so daß zwar nicht von einem neutralen Forschungsbeitrag Lepsius’, wohl aber von einer gründlichen, als zeithistorisches Dokument einzigartigen Veröffentlichung gesprochen werden kann.

Behauptungen einer deutschen Mitverantwortung an den Massenverbrechen im Osmanischen Reich blenden die Tatsache aus, daß die Führung in Berlin mitten im Krieg selbstverständlich nicht offen gegen den türkischen Bundesgenossen Stellung beziehen konnte, auch wenn das genozidartige Ausmaß der Pogrome bereits 1915/16 teilweise bekannt war. Lepsius selbst schrieb später über die schwierige Ausgangslage bei der Erstellung seiner Quellensammlung: „Es war eine Kunst zwischen den vier Fronten, Entlastung Deutschlands, Belastung der Türkei, Reservebedürftigkeit des Amtes und Vertrauensgewinnung der Armenier“.

 Johannes Lepsius starb am 3. Februar 1926 in Meran in Südtirol. Sein Lebenswerk sorgt auch heute noch für Kontroversen. So kam es 2001/02 zum Streit mit der türkischen Botschaft, als in Potsdam der Ausbau des „Lepsius-Hauses“ (dort hatte der Orientalist von 1908 bis 1925 gewohnt und gearbeitet) auch mit Steuermitteln zur Debatte stand. Im einzelnen ging es damals um die Verlagerung des Lepsius-Archivs, das sich in Räumen der Universität Halle-Wittenberg befindet, nach Brandenburg. Darüber hinaus ist die Einrichtung einer Bibliothek, einer internationalen Forschungs- und Begegnungsstätte sowie die Wiederbelebung der bereits von Lepsius seit 1923 aufgebauten Deutsch-Armenischen Akademie vorgesehen. Die Stadt Potsdam und der Bund gaben damals den harschen Einwänden aus Ankara und der Flut an Protestbriefen hier lebender Türken nach und änderten auch in den Folgejahren ihre Haltung zum offiziellen Gedenken an Lepsius nicht grundlegend. Kritik an der fortgesetzten Leugnung der genozidartigen Massenmorde der Jahre 1915/16 wurde allenfalls mit größter Zurückhaltung vorgebracht. Und das, obwohl sich die Türkei trotz der von den USA aus außenpolitischen Erwägungen verlangten Gesprächsbereitschaft mit Armenien erst in jüngster Zeit zu ersten Zugeständnissen bereit­erklärte.        Martin Schmidt


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