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20.12.08 / Halb Aufstand, halb militärische Intervention / Am 27. Dezember 1918 begann der Posener Aufstand – Von bundesdeutschen Historikern bis heute kaum beachtet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-08 vom 20. Dezember 2008

Halb Aufstand, halb militärische Intervention
Am 27. Dezember 1918 begann der Posener Aufstand – Von bundesdeutschen Historikern bis heute kaum beachtet

Nach dem Ersten Weltkrieg ging ein großer Teil der preußischen Provinzen Westpreußen und Posen an Polen verloren, Ostpreußen wurde vom Reich abgeschnitten. Nicht erst der Versailler Vertrag vom Juni 1919, sondern bereits der sogenannte Posener Aufstand bewirkte den faktischen Verlust der Masse der umstrittenen Gebiete. Er begann vor genau 90 Jahren.

Über zwei Millionen Deutsche kamen mit der Grenzziehung des Jahres 1919 an Polen. Sie wurden in den Folgejahren massiv diskriminiert und teilweise vertrieben, schwere Spannungen zwischen Warschau und Berlin waren die Folge. Im Vergleich mit der Bedeutung dieser Grenzverschiebung ist das Echo in der bundesrepublikanischen historischen Literatur gering, die Massenmedien ignorieren das Thema fast völlig. Dieses Mißverhältnis kann allerdings nur auf den ersten Blick verblüffen.

Denn die Novemberrevolution führte zwar mit der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik zu einem bürgerlichen Ergebnis, doch war die Revolution mit ihrer Räteherrschaft der Sozialdemokraten zumindest in ihren Anfängen sozialistisch. Mit ihrem proletarischen Internationalismus waren die deutschen Sozialisten an der Lage der fast 40 Prozent Deutschen in der Grenzprovinz Posen weitestgehend desinteressiert. Nicht erst heute, sondern bereits nach dem Ersten Weltkrieg gab es traditionelle Sympathien der deutschen Linken für die vermeintlich unterdrückten Polen. Neben der folgenschweren Ka­tastrophe von 1945 ist dies der zweite Grund, warum sich die Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland, die sich in der Tradition der Novemberrevolution sieht, bei der Behandlung dieses Kapitels der deutsch-polnischen Beziehungen extrem zu­rück­hält. Während über die Vorgänge in der Provinz Posen um die Jahreswende 1918/19 eine Fülle (überwiegend patriotisch eingefärbter) polnischer Literatur existiert, sind die damaligen Vorgänge für die bundesdeutsche Historiographie geradezu ein weißer Fleck.

Die Fakten: Schon frühzeitig bemühte sich der aus der Novemberrevolution hervorgegangene Rat der Volksbeauftragten mit seinen Unabhängigen und Mehrheitssozialdemokraten um gute Beziehungen zur Republik Polen. Die deutsche Regierung war die erste, die den neuen polnischen Staat anerkannte. Sie schickte noch im November 1918 mit Harry Graf Kessler einen Gesandten nach Warschau und ließ Bereitschaft zur Abtretung des größten Teils der Provinz Posen erkennen. Die Bereitschaft Berlins, den betroffenen Deutschen beim Posener Aufstand beizustehen, hielt sich in entsprechend engen Grenzen.

Die in Posen wie im übrigen Deutschen Reich gebildeten Arbeiter- und Soldatenräte waren marxistisch geprägt und sahen deswegen ihren Gegner ganz überwiegend nicht außerhalb der Nation, sondern als sogenannten „Klassenfeind“ im eigenen Staate. Eine weitere Schwächung erlitt die Sache der Deutschen in Posen durch die allgemeine Kriegsmüdigkeit, die sich nach vier Jahren Erster Weltkrieg breitgemacht hatte und auf Seiten der Mittelmächte am größten war.

Sehr viel günstiger war es um die polnische Sache bestellt. Die polnische Nationalbewegung in Posen wurde von genau den gehobenen sozialen Kreisen dominiert, die bei den Deutschen von den Arbeiter- und Soldatenräten als Klassenfeinde bekämpft wurden. Die Protagonisten der polnischen Sache hängten diesen Umstand wohlweislich nicht an die große Glocke, um das Wohlwollen, zumindest aber die für sie günstige Passivität Berlins nicht zu gefährden.

Jedenfalls waren sie an der von den Deutschen verfolgten gesellschaftlichen Revolution für ihren Teil keineswegs interessiert. Als bürgerliche und teilweise auch feudale Nationalisten sahen sie ihre Gegner im benachbarten Ausland, das sie im seit über 120 Jahren von der Landkarte „weggeteilten“ Polen mit einigem Recht als Besatzungsmacht interpretierten.

Während der Erste Weltkrieg nach einer ersten Anfangseuphorie auf die Deutschen deprimierend wirkte, stimulierte er die polnische Nationalbewegung. Eine massive Schwächung der drei großen Nachbarn und zugleich früheren Teilungsmächte Polens – Deutsches Reich, Rußland und Österreich-Ungarn – ließ sie Hoffnung schöpfen. Als letzter Vorteil der Polen sei genannt, daß deren bürgerliche Nationalbewegung auf akademisch geschulte Exponenten zurückgreifen konnte, denen die Angehörigen der deutschen Arbeiter- und Soldatenräte des Deutschen Reiches oft nicht gewachsen waren.

Bereits einen Tag nach Ausbruch der Novemberrevolution, am 10. November 1918, wählte die Garnison der Festung Posen einen Soldatenrat. Die polnische Nationalbewegung nahm daraufhin Kontakt mit dem Rat auf und bildete mit ihm den Vollzugsausschuß des Arbeiter- und Soldatenrates. Am 14. November kündigten die Polen in Posen die Errichtung von Polnischen Volksräten auf Kreisebene an. An ihrer Spitze sollte in der Provinzhauptstadt Posen ein Oberster Polnischer Volksrat (O.P.V.) als provisorische Regierung stehen. Diese provisorische Regierung schrieb am 18. November Wahlen zu einem polnischen Teilgebietslandtag aus, der vom 3. bis 6. Dezember in Posen tagte. Hier brachte der Abgeordnete Marian Seyda klar die Sympathie zu Deutschlands Kriegsgegner, der Entente, zum Ausdruck. Von Seyda – wohlgemerkt kein Arbeiter, sondern ein promovierter Rechtsanwalt – ist auch der Ausspruch im Parlament überliefert: „Die Revolution überlassen wir den besiegten Völkern. Wir Polen brauchen keine soziale Revolution.“

Geschickt tarnten die Polen ihre Forderung nach der Entmachtung staatstragender deutscher Funktionsträger im Staate als Kampf gegen konterrevolutionäre Elemente, so daß die deutschen Sozialisten keinen Widerstand leisteten. Die Vertrauensleute der Arbeiter- und Soldatenräte, die an deren Seite gestellt beziehungsweise auf ihre Plätze gesetzt wurden, waren dann auffallend häufig Polen.

Ähnliches spielte sich auf militärischem Gebiet ab. Die kriegsmüden und der Staatsmacht ob der Erfahrung mit den Bismarck­schen Sozialistengesetzen abholden deutschen Sozialisten standen der von den Polen geforderten Abrüstung der preußisch-deutschen Staatsmacht positiv ge­gen­über. Die revolutionären, paramilitärischen Streitkräfte, die statt dessen aufgebaut wurden, waren hingegen stark polnisch geprägt.

Als Katalysator des Machtwechsels in Posen von den Deutschen zu den Polen wirkte ein Besuch des polnischen Pianisten und Nationalisten Ignacy Jan Paderewski in der Provinzhauptstadt am 26. und 27. Dezember 1918. Seitens der Polen war die Stadt hierzu durch polnische und Flaggen der Entente-Mächte festlich geschmückt. Polnische Demonstranten feierten ihren Landsmann. Hierdurch fühlten sich im Zuge der Demobilisierung in der Stadt anwesende deutsche Truppen zu einer Gegenveranstaltung veranlaßt. Schüsse fielen und die Situation eskalierte. Die für diesen Fall gut präparierten Polen gingen aus der Kraftprobe als Sieger und neue Machthaber hervor. Auch anderswo in der Provinz rissen sie nun die Macht mit Gewalt an sich.

Allerdings gelang den Posener Polen diese Machtübernahme nur mit militärischer Hilfe von außerhalb der Provinz, aus Warschau, so daß man nur bedingt von einem Aufstand sprechen kann. Nachdem sich die Deutschen von dem Schock und der Desillusionierung erholt hatten, holten sie zum Gegenschlag aus, aber dabei fielen ihnen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges in den Arm. Bei den Verhandlungen für die dritte Verlängerung des am 11. November 1918 im Wald von Compiègne geschlossenen Waffenstillstands vom 13. bis 16. Februar 1919 in Trier mußte die Reichsregierung einer vorläufigen Teilung Posens zustimmen, welche den größten Teil der Provinz Polen zuschlug. Diese dritte Waffenstillstandsverlängerung war im Gegensatz zu ihren Vorgängern unbefristet, so daß die provisorische Teilung der Provinz bis zum Friedensvertrag von Versailles Bestand hatte, welcher Polen zusätzlich den sogenannten polnischen Korridor als Zugang zum Meer zuschlug.            Manuel Ruoff

Foto: Posen: Die rote Linie zeigt die Grenzen der gleichnamigen Provinz, die fette grüne die Demarkationslinie der letzten Verlängerung des Waffenstillstandes von Compiègne vom 16. Februar 1919


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