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03.01.09 / Der kranke Mann am Donau-Knie / Ungarns wirtschaftliche und soziale Probleme könnten zu »Weimarer Verhältnissen« führen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-09 vom 03. Januar 2009

Der kranke Mann am Donau-Knie
Ungarns wirtschaftliche und soziale Probleme könnten zu »Weimarer Verhältnissen« führen

Der Staatsbankrott, von dem Ungarn im Oktober unmittelbar bedroht war, ist dank einer Finanzspritze des Internationalen Währungsfonds, der EU und der Weltbank von insgesamt 20 Milliarden Euro vorläufig abgewendet. Dennoch verschlechtert sich die wirtschaftliche und politische Situation weiter.

In dieser Lage kann es nicht verwundern, daß der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány ein Gerichts-urteil gegen die als rechtsextrem eingestuften „Ungarischen Garden“ enthusiastisch begrüßte. Doch auch das ist ein Scheinerfolg: Verboten wurden nicht die im August 2007 gegründeten Garden, sondern nur deren Trägerverein, hinter dem die nicht im Parlament vertretene „Partei für ein besseres Ungarn“ steht. Und selbst wenn das Urteil rechtskräftig werden sollte, hätte es kaum praktische Auswirkungen. Denn die Aufmärsche der Garden waren immer von Privatpersonen angemeldet worden.

Zum Trost für Konservative und Nationale entschied der Oberste Gerichtshof, das neue Gesetz über homosexuelle Partnerschaften wieder aufzuheben, weil es dem in der Verfassung verankerten Schutz von Ehe und Familie widerspricht. Natürlich läßt der Gerichtshof Hintertürchen offen, und eine neue Regierungsvorlage wird sicher bald die „Nöte der Diskriminierten“ beseitigen. Während so die Gerichte für Unterhaltung sorgen, ändert sich nichts an der tristen Realität: Der drohende Staatsbankrott hatte die ungarische Währung stark unter Druck gesetzt. Um den Abfluß von Guthaben zu bremsen, wurde der Leitzins massiv auf zuletzt 10,5 Prozent erhöht. Trotzdem ist der Forint gegenüber dem Dollar um etwa 15 Prozent und gegenüber dem Euro um vier Prozent gefallen. Das wiederum macht die hohe Schuldenlast noch drückender, denn mehr als die Hälfte der Kredite ist in Fremdwährung.

Das hohe Zinsniveau und die Abwertung verstärken den Abschwung der ungarischen Wirtschaft. So wird die Industrieproduktion, die 2007 noch um 8,1 Prozent wuchs, 2008 auf das Niveau von 2006 zurückgefallen sein, und die Prognosen für das neue Jahr sehen noch düsterer aus. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind bereits spürbar. Die Inflation ist zwar auf zuletzt 4,2 Prozent gesunken, dieser Erfolg ist aber größtenteils dem gesunkenen Ölpreis zu verdanken.

Die von Währungsfonds und EU auferlegten Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor verstärken den allgemeinen Frust und machen sich in zahlreichen Streiks bemerkbar – zum weiteren Schaden für die Wirtschaft. International spürbar war der knapp vor Weih-nachten ausgerufene und ergebnislos wieder beendete Streik der Eisenbahner. Die Behinderungen am Budapester Flughafen wurden durch Streikbrecher aus Griechenland „behoben“. Nach dem Schock der Forint-Spekulation will die Regierung nun die Einführung des Euro vorziehen. Zwar gibt es noch kein Datum für die Einführung der Gemeinschaftswährung, doch die ungarische Regierung möchte bereits Ende 2009 in den sogenannten Wechselkursmechanismus II – die wichtigste Vorstufe zur Aufnahme in die Gemeinschaftswährung – aufgenommen werden. Der Forint dürfte dann zwei Jahre lang gegenüber dem Euro um maximal 15 Prozent schwanken, was angesichts der derzeitigen Lage als ehrgeiziges Ziel gilt. Doch die absehbaren Vorteile für den Außenhandel machen die Gemeinschaftswährung, die in Ungarns Nachbarland Slowakei seit dem 1. Januar 2009 gilt, dennoch attraktiv. Auch ein großer Teil der Auslandschulden ist in Euro, der Schuldendienst würde dann zumindest leichter zu kalkulieren sein. Allerdings setzt die Euro-Einführung unangenehme Reformen im Bereich der Steuern sowie auf sozialer und kommunaler Ebene voraus.

Jetzt rächt sich bitter, daß Ungarn seit Jahrzehnten – auch schon vor der Wende – über seine Verhältnisse gelebt hat. Die heutigen Probleme gehen weit über die wirtschaftliche Lage hinaus. Die „Budapester Zeitung“ erinnert daran, daß die Türkei vor 100 Jahren als „der kranke Mann“ (am Bosporus) bezeichnet wurde, und meint, daß man dasselbe heute von Ungarn sagen könnte. Und der seit 155 Jahren bestehende „Pester Lloyd“ titelt sogar: „Ungarn – unterwegs nach Weimar?“

Die meisten Ungarn sind der vielen erlebten Eingriffe überdrüssig und lehnen die durchaus nötigen strukturellen Reformen fast reflexartig ab. Die sozialistische Minderheitsregierung ist nicht entscheidungs- und durchsetzungsfähig, doch die bürgerliche Oppositionspartei Fidesz würde sich, selbst wenn sie die absolute Mehrheit erreichen sollte, nicht minder schwer tun. Von den Freien Demokraten (SzDSz), dem früheren Regierungspartner der Sozialisten, oder von den diversen Rechtsgruppierungen ist erst recht nichts zu erwarten. Denn die liberale SzDSz ist als Partei der „Doppelstaatsbürger“ diskreditiert. Und die Rechten sind zerstritten, nehmen sich mit zum Teil völlig unpraktikablen Vorstellungen selber aus dem Spiel.

Immerhin sind sie in einer Hinsicht unentbehrlich: Denn ohne sie täten sich all die anderen ungleich schwerer, mit ihrem Kampfgeschrei gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus von den wahren Problemen des Landes abzulenken.

R. G. Kerschhofer

Lahmgelegt: Eisenbahner und Flughafenpersonal streikten tagelang. Die Zeit der sozialen Wohltaten ist vorbei. Bild: pa


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