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03.01.09 / Zeitweilig stumm / Wenn Jugendliche das Sprechen verlernen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-09 vom 03. Januar 2009

Zeitweilig stumm
Wenn Jugendliche das Sprechen verlernen

In den ersten Jahren eines Kindes ist man bemüht, ihm das Sprechen beizubringen. Kommt es dann in die Pubertät, möchte man den lieben Teeny manchmal in die Rippen boxen, damit auch nur ein einziges Wort seine ,zugeklebten‘ Lippen verläßt.

Eines Tages fiel mir meine Lieblingstasse aus der Hand und zerschellte auf dem Steinfußboden der Küche. Mein Sohn, 14 Jahre jung, sah mich kurz an, grinste und sagte: „Futsch!“ Und ich war glücklich, daß Jens nach drei Tagen des Schweigens mal wieder gesprochen hatte; ich dachte nämlich, er habe seine Sprache für immer verloren.

Einige Tage später sprach ich mit seiner Lehrerin, die mich in die Schule bestellt hatte. Sie lächelte mich etwas schief an und meinte: „Ihr Söhnchen ist ein sehr nettes Kind. Wo haben Sie es aufgelesen?“ Ich lächelte ebenso schief zurück und erwiderte: „Auf dem Müllplatz.“ Danach haben wir sehr nett miteinander kommuniziert, obwohl sie mir klar machte, wenn der Knabe nicht ein kleines bisschen redseliger würde, bliebe er im nächsten Quartal sitzen.

Was so alles in der Schule passiert, erfährt man nur auf Elternsprechtagen. Eine Mutter sprach mich dort an: „Sagen Sie, Frau L., war ihr Jens auch mit dabei, als die Klasse komplett betrunken aus der Schule getorkelt kam? Dieses Thema will Frau Reinweiß heute anklingen lassen!“ Wie bitte? Alkohol? Mein Kind tut so etwas nicht! In unserer Familie ist Alkohol verpönt! Na ja, das bißchen Wein oder Bier am Abend …

Ich verneinte natürlich, aber dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich hatte vor Tagen eine Schnapsflasche im Mülleimer gefunden, und es war mir ein Rätsel, wer sie wohl hineingeworfen hatte. Ich sprach meinen Sohn daraufhin an. Er zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht!“ Ich redete mit ihm einige Takte und dann kam der Satz: „Menno, jeder hat einen kleinen Schluck konsumiert. Von wegen betrunken!“ Und auf die Frage, wer die Flasche mitgebracht habe, meinte er: „Ich habe sie nur entsorgt.“

Einmal fragte ich die Mutter einer Mitschülerin meines Sohnes, ob ihr Töchterlein denn auch so schweigsam sei. Sie nick­te. „Wir wollten Gina schon bei einem Sprachkursus anmelden, aber sie sagte wütend: Bin ich Türkin?“

Frau Reinweiß, die Klassenlehrerin, hatte diese Worte gehört und vertraute uns lachend an: „Also, in der Klasse sagen Jens und Gina absolut nichts, aber wenn man sie auf dem Schulhof hört, rattern sie wie Maschinengewehre!“

„Wissen Sie, was ich gemacht habe, um meine Miriam zum Sprechen zu bringen?“ meinte eine dritte geplagte Mutter, „ich legte mich auf den Küchenboden und tat so, als sei ich friedlich entschlafen. Wissen Sie wie mein Töchterchen reagierte?“ Wir warteten gespannt auf ihre Antwort. „Mara beugte sich über mich und fragte, ob ihr neuer Pullover in der Wäsche sei oder nicht.“

Gestern kam Jens strahlend an und verkündete uns: „Ich bin Klassensprecher geworden!“ „Wie hast du denn das bei deiner großen Schweigsamkeit geschafft?“ wollte ich wissen. Er grinste. „Weil ich am besten von allen reden und andere überzeugen kann!“

Wir gaben es auf, uns zu ärgern, wenn er auf unsere wiederholte Frage, warum sein Zimmer wie ein Müllplatz wirke, lakonisch antwortete: „Ordnung ist zwar das halbe Leben, wie ihr immer sagt, aber was ist das dann für ein Leben?“

Heute beugte er sich über seinen Hausaufsatz über Ökologie und murmelte: „Jedes gebrauchte Tempo und jeder weggeworfene Schokoriegel zählt. Man muß mit dem Säubern der Umwelt bei sich selbst anfangen.“

Ich verließ sein Zimmer mit der Gewißheit, es werde sich alles von selbst fügen. Teenager sind bis zu einem gewissen Zeitpunkt Wesen, so weit von der Realität entfernt wie die Erde vom Mars.

Gabriele Lins


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