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03.01.09 / Die zentrale politische Gestalt / Historiker sieht Kaiser Wilhelm II. als Verantwortlichen für den Untergang

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-09 vom 03. Januar 2009

Die zentrale politische Gestalt
Historiker sieht Kaiser Wilhelm II. als Verantwortlichen für den Untergang

Am 27. Januar 2009 jährt sich der Geburtstag des letzten Deutschen Kaisers Wilhelm II. zum 150. Mal. Der Sohn Kaiser Friedrich III. (1831–1888) und der englischen Prinzessin Viktoria (1837–1901), einer Tochter der englischen Königin Viktoria I., wurde nach dem Tode seines Vaters am 15. Juni 1888 der dritte Deutsche Kaiser des von Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) begründeten zweiten deutschen Kaiserreiches.

Passend zu diesem 150. Geburtstag erschien vor einigen Wochen der dritte und letzte Band einer recht umfangreichen Biographie über Kaiser Wilhelm II. mit dem Buchtitel: „Wilhelm II. – Der Weg in den Abgrund 1900 bis 1941“, die der britische Historiker und ehemalige Professor für Neuere europäische Geschichte an der englischen Universität Sussex John C. G. Röhl als sein Lebenswerk geschrieben hat.

Wer sich die Mühe gemacht hat, die drei Bände mit insgesamt 4100 Buchseiten zu lesen, kommt hinsichtlich der Intention des Verfassers zu der Erkenntnis, daß es Röhl nicht um eine Biographie aufgrund gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive in der Art und Weise ging, wie sie beispielsweise sein britischer Kollege Ian Ker-shaw über Hitler und zugleich über den Nationalsozialismus und den „Führerstaat“ geschrieben hat. Vielmehr wollte der Autor vor allem mit seinen Darlegungen im dritten Band für die Zeit von 1900 bis zur Abdankung belegen, daß Kaiser Wilhelm II. „die zentrale politische Gestalt der Wilhelminischen Epoche“ gewesen sei, da er alle „grundlegenden Entscheidungen“ zur Personal-, Außen- und Militärpolitik allein getroffen habe. Dabei habe seiner Außenpolitik jegliche Beständigkeit gefehlt. Vielmehr sei er impulsiv und sprunghaft gewesen und habe die deutschen Entscheidungsmöglichkeiten klar überschätzt.

Diese Feststellungen Röhls scheinen in sich schlüssig. Dennoch ist die Frage erlaubt: Treffen sie zu? Spiegeln sich Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreiches hauptsächlich in einer Person und ihrem Handeln? Sicher, zahlreiche kaiserliche Willensbekundungen scheinen für Röhls Grundfeststellung der unzeitgemäßen „Alleinherrschaft“ Wilhelms zu sprechen. Es ist nicht zu leugnen, daß Kaiser Wilhelm durch seine Sprunghaftigkeit, seine häufige Taktlosigkeit, seine unbeherrschten, undiplomatischen Äußerungen dazu beitrug, das Deutsche Reich bündnismäßig zu isolieren, von dem fatalen Bündnis mit dem Habsburger Reich einmal abgesehen. Und zu Recht hat sich Röhl gegen die Auffassung seines Kollegen Hans-Ulrich Wehler gewandt, der Kaiser sei im Grunde stets nur ein bloßer „Schattenkaiser“ gewesen und habe deshalb seiner Epoche nicht das ihm zugesprochene Gepräge gegeben.

Nun war Wilhelm II. zwar kein „Schattenkaiser“, aber er war ebenfalls kein Monokrat, mag er auch davon geträumt haben, daß er es sein könnte. Röhls Auffassung berücksichtigt unter anderem viel zu wenig das gesellschaftliche und politische Umfeld und widerspricht in seiner Ausschließlichkeit eindeutig den politischen Realitäten. Alle bedeutsameren politischen Entscheidungen beruhten auf Bestrebungen politisch einflußreicher Kräfte des Kaiserreiches.

Diese Bestrebungen wurden von den Reichsämtern und den preußischen Ministerien beachtet und aufgegriffen und mit entsprechender Berücksichtigung schließlich vom Kaiser entschieden. Dabei muß beachtet werden, daß der Kaiser bei den politischen Entscheidungen eine wichtige, jedoch entgegen Röhls Meinung nicht die einzige und vielfach auch nicht die letztlich entscheidende Instanz war. Denn weder der Kaiser noch der Reichskanzler und die Reichsämter hätten ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse handeln können. Und die Außenpolitik wurde seit der Jahrhundertwende immer intensiver von der Zuspitzung der Gegensätze der Großmächte im internationalen Rahmen bestimmt, der sich Wilhelm manchmal entziehen wollte, aber selbstverständlich nicht konnte.

Trotz aller Kritik an Röhls Prämisse, Wilhelm habe die Politik und Mentalität des Kaiserreiches bestimmt und verkörpert und sei in der Außenpolitik „der alles entscheidende Macher“ gewesen, ist dennoch anzuerkennen, daß Röhl mit „Wilhelm II.“ ein grundlegendes Geschichtswerk vorgelegt hat.

Falko Gramse

John C. G. Röhl: „Wilhelm II. – Der Weg in den Abgrund 1900 bis 1941“, C.H. Beck, München 2008, geb., 1696 Seiten, 49,90 Euro


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