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10.01.09 / Stich für Stich kunstvoll vollendet / Auf der 54. Werkwoche im Ostheim Bad Pyrmont wurde altes Kunsthandwerk erlebbar gemacht – Alt aber nicht altmodisch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-09 vom 10. Januar 2009

Stich für Stich kunstvoll vollendet
Auf der 54. Werkwoche im Ostheim Bad Pyrmont wurde altes Kunsthandwerk erlebbar gemacht – Alt aber nicht altmodisch

Mit jedem Schuß wuchs mein Mustertuch auf dem Webrahmen, Muster um Muster entstanden bis die „Holzzähnchen des Kettbaumes“ sichtbar wurden. Und das war gut so, denn ich wollte dieses Tuch als Anschauungsmaterial in der nächsten Werkwoche zeigen.

Die Werkwoche steht unter dem Motto: „Erhalten und Gestalten“. Man hat sich zur Aufgabe gemacht, die Tradition und das kulturelle Erbe Ost- und Westpreußens zu pflegen und an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Der Erhalt dieser Institution setzt eine aktive Teilnahme voraus. Somit kommt der Ausübung und Präsentation dieser speziellen Kultur und dem Erzählen darüber eine große Bedeutung zu, denn es trägt zur Bereicherung und Verankerung des deutschen Volksgutes bei. Eine Gelegenheit dazu bot das Deutschlandtreffen der Ostpreußen Pfingsten 2008 in Berlin. Hier konnte auf dem Stand der Werkwoche neben dem Auslegen und dem Verkauf der nach überlieferten Mustern nachgearbeiteten Handarbeiten auf die Werkwoche aufmerksam gemacht werden.  Besonders in den Frauengruppen, aber auch bei den Heimattreffen sollte und wird auf diese Kulturarbeit hingewiesen. So wie zum Beispiel bei einem Heimatnachmittag der Gruppe Pforzheim, bei dem Klaus Rudel den Film „Textile Volkskunst in West- und Ostpreußen“ präsentierte. In diesem Film wird das über mehrere Jahre gesammelte Material der textilen Volkskunst mit dem Ziel der Erhaltung des deutschen Kulturgutes gezeigt.

 Die 54. Werkwoche fand im Ostheim in Bad Pyrmont statt. Es wurden wieder die besonderen Techniken und Muster im Stricken, Sticken, Nähen und Weben wie auch das Singen des überlieferten Liedergutes angeboten. Da im Jahr 2008 keine Werkwoche in Ostpreußen  stattgefunden hatte, reisten fünf Teilnehmerinnen direkt aus Ostpreußen zu dieser Veranstaltung an. Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch die Bundesvorsitzende der ostpreußischen Frauenkreise Uta Lüttich zeigten die Werkleiterinnen die von ihnen angefertigten Werkstücke, um auf die traditionellen Handarbeiten mit ihren vielfältigen Möglichkeiten und deren Ideenreichtum hinzuweisen.

Es folgte die Vorstellungsrunde der Teilnehmerinnen, bei der sie ihre Wünsche und Ziele für die Werkwoche zum Ausdruck brachten. Nach dem gemeinsamen Abendessen entführte Dr. Marianne Kopp in ihrem Vortrag: „Ein Mädchen und ein Lied zurück“  – in die Entstehungszeit des Liedes „Ännchen von Tharau“. Durch den weit reichenden Rückblick schilderte sie das Leben der damals mitwirkenden Personen. Als Abschluß des Abendprogramms zeigte der Film „Textile Volkskunst in West- und Ostpreußen“ in eindrücklicher Weise, was alles in einer Werkwoche erlernt werden kann. Er sollte auch als Entscheidungshilfe für noch unentschlossenen Teilnehmer dienen. In dieser Werkwoche führte Christel Klawonn aus gesundheitlichen Gründen zum letzten Mal durch das Musterstricken. Als ihre Nachfolgerin wird Frau Breuer diesen Bereich übernehmen. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, mit welcher Begeisterung Frau Klawonn sich dieser Thematik angenommen hat und wie unermüdlich sie die vielen alten ostpreußischen Handschuhmuster abzeichnete, nachstrickte und ihr Wissen an die Strickerinnen weitergab. Hierdurch hat sie viele der alten traditionellen ostpreußischen Muster bewahrt, und haben der Weitergabe ihres Können zum lebendigen Erhalten und Gestalten dieses Kulturgutes beigetragen. Diese Handschkes mit den alten Mustern, welche in den verschiedenen Provinzen ihren Ursprung hatten, verrieten früher durch ihre eindeutige Machart oftmals auch die Herkunft des „Trägers“ zumindest jedoch der Handschke. So werden die Memeler Handschke aus sieben Farben gestrickt. Auf der Kurischen Nehrung wurden solche mit starkem Farbkontrast bevorzugt, ein Vogelmotiv schmückte den Handschuh im Großen Moosbruch, und in der Niederung bevorzugten die Ostpreußen Tulpen- oder Röschenmuster. Ganz anders hingegen verhält es sich mit dem gehakten Handschuh! Eine weitere Besonderheit ist die Technik des Doppelstrickens, durch die gleichzeitige Verarbeitung eines hellen und eines dunklen Garns entsteht ein zweiseitig nutzbares Muster, das auf der einen hellgrundig und auf der anderen Seite dunkelgrundig  erscheint.  Alle Teilnehmer der Gruppe Weiß- und Kreuzstickerinnen „erlagen“ dem Zauber der Weißstickerei (Schwälmer Art), sie wurden wieder von Gudrun Breuer bestens betreut. Diese Kunst mit der Nadel wird auf Leinwandgewebe bei einer Fadendichte von 16,5 Fäden pro Zentimeter gestickt und mit Hohlsäumen, Zierstichen und Durchbrüchen in verschiedenen Techniken ausgeführt. Doch zunächst entsteht ein geeigneter Entwurf, der auf den Stoff übertragen wird.

Dieser, „im Stickrahmen gefangen“, wird Stich für Stich kunstvoll vollendet. Es ist eine zeitaufwendige Handarbeit, und so verwunderte es nicht, daß jede freie Minute dazu verwandt wurde.  Die Trachtenschneiderei wurde von der neuen Werkleiterin Helga Ständecke geleitet. Unter ihrer Hand entstanden die Schnitte für Bluse, Rock und Mieder. Im Nähzimmer wurden die Stoffteile von den Teilnehmern unter Anleitung von Dr. Marianne Kopp gesteckt, geriehen und nach erfolgreicher Anprobe fertig genäht. Um eine Tracht in so kurzer Zeit fertig zustellen, wurde nicht nur emsig am Tage gearbeitet, sondern auch noch nach 21 Uhr, wenn schon der Gemeinschaftsraum, genannt Höhle, von anderen zum Tagesausklang besucht wurde. So erlebte man gemeinsam, wie zwei Frauen sich in ihrer neu entstandenen Tracht zur Ausstellung am Sonnabendnachmittag präsentieren konnten. Es ist immer wieder verblüffend, welche Ausstrahlung die Frauen durch das Tragen der Tracht bewirken. Dagmar Adomeit leitete in Folge zum 22. Mal die Gruppe der Weberinnen und Webknüpferinnen. In ihrer zugleich letzten Werkwoche übergab sie ihrer Nachfolgerin Liesa Rudel dieses Aufgabengebiet. In vorangegangenen Jahren wurde die Nachfolgerin in dankenswerter Weise in das Metier eingeführt. Auf den Handwebrahmen entstanden mehrere Schals aus unterschiedlichsten Materialien sowie eine gefütterte Umhängetasche mit Knopfverschluß im Schußrips mit breitem Schußband-Riemen, auch ein sehr interessantes Mustertuch mit weißen Nöppchen, Drehern, blauen Röschen, Zacken und weiteren Mustern. Als Abendprogramm wurde auch das Jostenbandweben an der Bandwebe angeboten. Anfänger in dieser Kunst konnten Schußbänder aus selbstgewählten Farben herstellen. Fortgeschrittene erprobten sich an Musterbändern, so konnte das erforderliche „Fädeln“ der Musterfäden eingeübt werden. Am Webstuhl erklärte und zeigte Barbara Lorenzen das Doppelgewebe. Sie vermittelte die Technik des Mustereinlesens mittels Stab Schritt für Schritt beziehungsweise Tritt für Tritt. Zu Beginn wurden einfache Darstellungen wie Linien, Quadrate und Rauten gewebt, um die spezielle Abfolge der Handgriffe zu erlernen und „Trittsicherheit“ zu erlangen. Als krönender Abschluß dieser Werkwoche wurde die gemeinsame Ernte des „Erhaltens und Gestaltens“ in Form einer Ausstellung im Preußensaal auch dem interessierten auswärtigen Publikum gezeigt. Im Anschluß an die Ausstellung feierte die in dieser Woche gewachsene ostpreußische Familie ihren Heimatabend mit fröhlichem Plachandern, gemeinsamem Singen, Sketchen und weiteren Darbietungen.

Dieses Jahr ist die 10. „Werkwoche in Ostpreußen“ geplant. Jede dieser in der Vergangenheit durchgeführten kulturellen Wochen hat Frau Adomeit maßgeblich mitgestaltet. Es ist ihr ein besonderes Anliegen, den Kontakt zu den in der Heimat lebenden Landsleuten aufrechtzuerhalten und für den Erhalt und die Weitergabe der ostpreußischen Kultur auch bei ihnen einzutreten.         L. R.

Die 55. Werkwoche  findet vom 12. bis zum 18. Oktober 2009 im Ostheim in Bad Pyrmont statt. Eine Teilnahme setzt keine ostpreußischen Herkunft voraus, sondern nur die Bereitschaft, aktiv etwas über die Volkskunst aus dem Deutschen Osten zu erfahren.

Foto: Viele fleißige Hände woben ein „kulturhistorisches Netz“.


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