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17.01.09 / Aufklärung ist möglich / Das Massengrab von Marienburg wirft viele Rätsel auf – Lauter »Mosaiksteinchen«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-09 vom 17. Januar 2009

Aufklärung ist möglich
Das Massengrab von Marienburg wirft viele Rätsel auf – Lauter »Mosaiksteinchen«

Mit über 1800 Toten gehört das seit dem 28. Oktober freigelegte Massengrab bei der Marienburg zu den größten in den Vertreibungsgebieten. Wer waren die Opfer, wer die Täter? Trotz aller Merkwürdigkeiten und Rätsel um den grauenvollen Fund scheint Aufklärung möglich.

Ein Vier-Sterne-Hotel und eine McDonalds-Filiale sollten (und sollen immer noch) nahe der Marienburg entstehen. Doch in den zurückliegenden Wochen wurden auf dem Baugelände an der Kleinen Geistlichkeit beim ehemaligen Hotel drei Kronen die sterblichen Überreste von über 1800 Menschen entdeckt. Alle waren unbekleidet, und offenbar stammt das Grab aus dem Jahre 1945. Schnell war klar, daß es sich bei den Toten um Deutsche handelt, denn NS-Opfer wären vor Kriegsende mit Sicherheit nicht in so zentraler Lage und nach Kriegsende nicht in so unwürdiger Form in Geschoßtrichtern beigesetzt worden.

Ebenso steht inzwischen fest, daß zumindest ein großer Teil dieser Toten Zivilisten waren, denn unter den ihnen waren viele Frauen, Kinder und Alte. Etwa jeder zehnte Schädel weist ein Einschußloch über der Nasenwurzel auf. Erkennungsmarken von Soldaten und Zahn-ersatz einschließlich Plomben fehlen ganz.

Alles andere war zunächst unklar, und ist es überwiegend immer noch: Waren unter den Getöteten auch deutsche Soldaten oder bei Kämpfen getötete Zivilisten, oder handelt es sich um die Hinterlassenschaft eines oder mehrerer Massaker? Wurden die Toten am Beisetzungsort getötet? Stammten die Menschen überwiegend aus Marienburg oder waren auch ostpreußische Flüchtlinge darunter? Und soweit die Toten nicht bei Kämpfen ums Leben kamen, waren die Täter sowjetische Soldaten oder Polen?

Etliche Mosaiksteinchen erlauben heute zumindest Plausibilitätsüberlegungen zu allen diesen Fragen. Ein Motiv für die Entkleidung der Toten könnte theoretisch gewesen sein, die spätere Aufklärung zu verhindern. Genau für diese Sorge hatten aber weder Russen noch Polen im Jahre 1945 irgendeine Veranlassung: Unabhängige Aufklärung war Lichtjahre entfernt. Allerdings war es offenbar eine sowjetische Methode der Desinfektion, Tote zu entkleiden – ein Hinweis auf russische Täter, zumal erst im Sommer 1945 in größerer Zahl Polen nach Marienburg kamen. Der Umstand, daß auf dem Gelände ein Teil der Kleidung wiedergefunden wurde, ist wiederum ein Hinweis, daß die Opfer, soweit es Gewaltopfer waren, am oder nahe beim Ort der Bestattung getötet wurden.

Übrigens benennt das 1967 erschienene „Neue Marienburger Heimatbuch“ genau 1840 vermißte Bürger der Stadt. Nach Angaben des Heimatkreisvertreters Bodo Rückert handelt es sich dabei überwiegend um Zivilisten, aber auch einige Soldaten und Volkssturmleute. Die Übereinstimmung der Zahlen sollte aber nicht zu einem vorschnellen Schluß führen: Etliche vermißte Marienburger sind gewiß anderswo ums Leben gekommen, dagegen waren unter den in der Stadt umgekommenen Deutschen zweifellos auch Auswärtige, insbesondere ostpreußische Flüchtlinge.

Die Aufklärung steht erst am Anfang.    Konrad Badenheuer

Foto: Neue Offenheit: Dieses Bild vom Massengrab verbreitet eine polnische Agentur, während deutsche Medien schweigen.

 

Zeitzeugen

Bodo Rückert – Muß als Kreisvertreter von Marienburg inzwischen viele Journalistenfragen beantworten. Er begrüßt die gute Zusammenarbeit mit der heute polnischen Stadt, die ihm auch den Abschlußbericht der Ermittlungen zugesagt habe. Der 1937 geborene Rückert wünscht sich die Bestattung der Toten in Marienburg und nicht auf einem Soldatenfriedhof bei Stettin.

 

Stefan Hein – Der Vorsitzende des Bundes Junges Ostpreußen (BJO) bedauert die Untätigkeit der deutschen Politik angesichts der Marienburger Funde. In einer Stellungnahme des BJO heißt es: „Wir fordern die Bundesregierung auf, sich auf der Grundlage der Völkerverständigung, aber in der Sache rückhaltlos, für die Aufklärung dieses Verbrechens einzusetzen. Wir danken den heutigen Bewohnern von Marienburg, die schon längst im europäischen Geist diese Aufklärung verlangen.“ Der von Hein geführte BJO hoffe, „daß wir schon bald vor einer würdigen Gedenkstätte für die Ermordeten von Marienburg stehen können, die in deutscher, polnischer und russischer Sprache über das Schicksal der Toten aufklärt.“

 

Pawel Cieslinski – Der Posener Unternehmer gehört zu den Verantwortlichen des Internetdienstes „Polskaweb“. Die auf dieser polnischen Internetseite in deutscher Sprache angebotenen Informationen sind ein eindrucksvolles Beispiel der Offenheit und Fairness. Beispielsweise fragen die Autoren, ob Marienburg „ein polnisches Katyn“ sei, fordern volle Aufklärung und dokumentieren weitere große Massengräber von deutschen Vertriebenen, beispielsweise bei Danzig und Züllichau. Es wird auch Kritik an der bundesdeutschen Politik laut, die wohl Millionen Deutschen aus dem Herzen spricht: „Die Ignoranz der deutschen Politik in Fragen um das Thema von unschuldigen, zivilen, deutschen Mordopfer, welche durch russische oder gar polnische Hände starben, ist für junge Polen erschreckend und gibt Anlaß zur Sorge.“

 

Alfred de Zayas – Der in Genf lebende Völkerrechtler und Historiker hat oft darauf hingewiesen, daß die Vertreibung der Deutschen den Tatbestand des Völkermordes erfüllt. „Man muß den selben Maßstab anlegen wie in Bosnien“, betont de Zayas. Er verlangt eine sorgfältige Identifizierung der Opfer und die exakte Aufklärung der Vorgänge in Marienburg. Die Ehrfurcht vor den Toten gebiete es, nach dem mutmaßlichen Willen der Ermordeten zu fragen. „Das schließt eine Beisetzung von Müttern und kleinen Kindern auf einem Soldatenfriedhof aus.“


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