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17.01.09 / Ungeliebtes »Kaliningrad« / Königsberg in den Jahren 1945 bis 1971 – Viele Russen wollten wieder weg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-09 vom 17. Januar 2009

Ungeliebtes »Kaliningrad«
Königsberg in den Jahren 1945 bis 1971 – Viele Russen wollten wieder weg

Am 4. April 1945 hatte die deutsche Wehrmacht in der „Festung Königsberg“ vor der anstürmenden Roten Armee kapituliert. Die Stadt glich zu diesem Zeitpunkt mehr eine riesigen Trümmerhaufen als einer bewohnbaren Stadt. Was danach geschah, ist hinlänglich bekannt: Für die deutsche Bevölkerung begann eine Schreckens- und Leidenszeit kaum vorstellbaren Ausmaßes; es war zunächst ein Schrecken ohne Ende, denn anders als in den von Polen und Tschechen besetzten deutschen Ostgebieten wurde im sowjetisch besetzten Teil Ostpreußens die Bevölkerung nicht sofort vertrieben, sondern mußte – weil sie von den Sowjets zum Wiederaufbau herangezogen wurde – unter elenden Bedingungen weiter vegetieren. Erst ab Oktober 1947 begann eine halbwegs planmäßige Verbringung von mehreren zehntausend noch lebenden Deutschen Richtung Westen.

Von der sowjetischen Propaganda wurde die Eroberung der Königsberger Region, die „Kaliningradskaja oblast“ (im ersten Jahr noch „Kenigsberger oblast“) als Rückführung „urslawischen Gebiets“ in die russische Heimat gefeiert. Fast alles, was an das Deutschtum erinnerte, wurde getilgt. Am 4. Juli 1946 wurde die Stadt in „Kaliningrad“ umbenannt.

Und doch ging der tatsächliche Umbau der Oblast unendlich mühsam und langsam voran. Bislang wußte man über das tatsächliche Geschehen vor Ort nicht allzu viel. Jetzt aber liegt eine ausgezeichnete Arbeit vor, die das erste Vierteljahrhundert unter sowjetischer Herrschaft anschaulich illustriert, bis in kleinste Details nachzeichnet und sich dabei auf bislang nicht zugängliche Quellen in russischen Archiven stützen kann. Die Arbeit des jungen Osteuropahistorikers Per Brodersen „Die Stadt im Westen – Wie Königsberg Kaliningrad wurde“ ist aus einer Dissertation an der Universität Düsseldorf hervorgegangen und reicht von 1945 bis 1971 (die international übliche Aktensperrfrist von 30 Jahren verhinderte eine Ausweitung in die 80er und 90er Jahre).

Brodersen konzentriert sich auf die Bereiche Wirtschaft, Soziales und Geschichte. Er konnte dabei auf eine Fülle bislang unbekannter Texte zurückgreifen, die bis dato einem westlichen Forscher überhaupt nicht zugänglich gewesen waren.

Der Autor weist nach, daß Moskau entgegen landläufiger Meinung keine fertigen Pläne für sein neues Territorium im Westen hatte. „Kaliningrad war Moskaus ungeliebtes Kind“, äußert er und untermauert dies mit einer Fülle überzeugender Thesen. Zuallererst war Moskau an der militärischen Absicherung und am Aufbau einer starken Marinegarnison interessiert; dem waren alle Entscheidungen über zivile Vorhaben untergeordnet. Man mag es kaum glauben, aber Brodersen zeigt anhand von Quellen und drängenden Bitten aus der Stadt an die sowjetische Führung im Kreml, daß man regelrecht um Zuwendung betteln mußte. Die Schwerfälligkeit der sowjetischen Bürokratie wurde selbst angesichts eines neuen Landesteils kaum einmal aus der Ruhe gebracht. Die Lage wurde schon zwei Jahre nach Kriegsende für die örtliche Parteiführung so katastrophal, daß der Parteichef im Sommer 1947 angesichts der Misere in der Region Selbstmord beging.

So kann es nicht verwundern, daß das gleichermaßen von der Moskauer wie von der regionalen Parteiführung forcierte Projekt einer „Kaliningrader Identität“ kaum vorankam. Zwar wurden mit großen Versprechungen Siedler aus der ganzen Sowjetunion in die Oblast gelockt, aber viele hielten es angesichts der katastrophalen äußeren Bedingungen einfach nicht aus und zogen zum Ärger der Partei schon bald wieder zurück (wohl auch ein Grund, weshalb die verbliebenen Deutschen  noch mehrere Jahre im Land gehalten wurden). Die ständigen Versprechungen auf eine glückliche Zukunft vermochten nicht über die traurige Gegenwart hinwegzutäuschen.

Nur wenige Ereignisse galten den Sowjets aus der Zeit vor 1945 als erinnerungswert: Zum einen die russische Besetzung der Stadt im Siebenjährigen Krieg (1756–1763), die übrigens auch im deutschen Königsberg in durchaus freundlicher Erinnerung geblieben ist; der gemeinsame Kampf gegen Napoleon, die Kämpfe im Ersten Weltkrieg und dann natürlich der „Große Vaterländische Krieg“ 1941 bis 1945.

Brodersens Buch, obwohl eine höchst wissenschaftliche Arbeit (allein 90 Seiten Anmerkungen mit genauen Angaben über Fundorte in russischen Archiven), liest sich gleichwohl leicht und flüssig, ja wegen des Themas ist es ein wirklich spannendes Buch. Natürlich auch ein schmerzliches Buch! Wer sich der Stadt verbunden fühlt oder vielleicht noch das alte Königsberg persönlich gekannt hat, kann dieses Buch nur mit Trauer und Wehmut lesen, zum einen, weil es wirklich das „alte Königsberg“ nicht mehr gibt, zum anderen, weil an seine Stelle eigentlich bis heute nichts annähernd Gleichwertiges getreten ist.       Dirk Klose

Per Brodersen: „Die Stadt im Westen – Wie Königsberg Kaliningrad wurde“, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, gebunden, 367 Seiten, 39,90 Euro


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