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17.01.09 / Alles Hirngespinste / Kaiserlicher Flottenrüstung galt nicht Englands Sorge

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-09 vom 17. Januar 2009

Alles Hirngespinste
Kaiserlicher Flottenrüstung galt nicht Englands Sorge

Diese Biographie über Alfred von Tirpitz dokumentiert die Entwicklung des Kaiserreiches zur Seemacht und zugleich deren Zerrbild in der Geschichtsschreibung: Das in allen Bereichen, nicht zuletzt wirtschaftlich zur Vormacht in Europa aufsteigende Reich war in einem möglichen Krieg an Nord- und Ostsee praktisch schutzlos der übermächtigen britischen Seemacht und den Flotten Frankreichs und Rußlands ausgeliefert. Tirpitz setzte dagegen eine deutsche Schlachtflotte von nur knapp 60 Prozent der Großbritanniens, ohne in Konkurrenz mit deren übriger weltweiter Flotte zu treten, und ohne Berücksichtigung der anderen potentiell feindlichen Flotten. Es war, für alle Welt erkennbar, eine Abschreckungsflotte, so der Autor Franz Uhle-Wettler, die genausowenig auf einen „Rüstungswettlauf“ angelegt war, wie in unserer Zeit der Nato-Doppelbeschluß gegen sowjetische Raketen. 1916 schlug die Flotte in der Skagerrak-Schlacht die weit überlegene britische Grand Fleet zurück und bewies damit, wie richtig Tirpitz die Lage rund 20 Jahre vorher beurteilt hatte. Dennoch wird seine Flottenpolitik in unserer Zeit meist verdammt: als Mittel zum Machterhalt des politischen Systems des Reiches, als finanziell ruinös und vor allem als Hauptgrund für die Feindschaft Großbritanniens und damit der Entstehung des Ersten Weltkriegs.

Franz Uhle-Wettler läßt die Quellen sprechen. Sie verweisen einige Beschuldigungen ins Reich der Phantasie. Sie zeigen auch, daß trotz innenpolitisch motivierter Angstmache die britische Führung zwar Deutschlands rasant wachsende Wirtschaftsmacht, nicht aber dessen begrenzte Flottenrüstung als ernsthafte Bedrohung beurteilte. Die Beschuldigung, die Tirpitzflotte habe die britische „von den Weltmeeren fegen“ sollen, führt ein Kräftevergleich ad absurdum; er stellt nämlich 29, höchstens auf 58 anwachsende deutsche Großkampfschiffe den, ungünstig gerechnet, 101 britischen gegenüber.

Der vor seiner Bundeswehrkarriere in Geschichte promovierte Generalleutnant a. D. Uhle-Wettler schafft in der überarbeiteten Neuauflage von „Alfred von Tirpitz in seiner Zeit“ ein mit sprechenden Details gewürztes, plastisches Bild des Werdens der Kaiserlichen Marine in ihrem außen- und innenpolitischen sowie gesellschaftlichen Umfeld. So wurden die anfänglich als Entwicklungshelfer gerufenen englischen Marineoffiziere und Seeleute bald wieder verabschiedet, weil erstere für die deutschen Seeleute zu anmaßend und letztere nicht gut genug waren. 

Alfred von Tirpitz steht mit seinem Erfolg, wie andere zivile und militärische Führungspersönlichkeiten der Zeit für etwas heute Unglaubliches: Die Verantwortlichen bis zur Spitze entdeckten Männer von überlegener Fach- und Führungsqualität, die gut begründeten Widerspruch mit Zivilcourage vorbrachten, förderten sie und ertrugen sie schließlich auch. So berief der Kaiser den Konteradmiral (unterster Admiralsdienstgrad) Tirpitz 1897 in seine Aufgabe, obschon er wissen konnte, daß dieser seine schon ausgearbeitete Konzeption einer weltweit operierenden Kreuzerflotte ablehnte. Tirpitz setzte sich auf das Risiko, eine einmalige Karrierechance zu verwirken, in aller Ruhe durch. Als „Primus inter pares“ beriet er sich dazu mit seinen „Helfern“ über das gemeinsame Ziel und bewies wieder seine in Beurteilungen gelobte Fähigkeit, Untergebene für die Sache „mit Lust und Liebe“ arbeiten zu lassen.

So ist auch das Buch geschrieben. Der Autor setzt sich mit anderen Auffassungen offen anhand der Quellen auseinander. Er spart nicht mit Kritik an der Politik des Kaiserreiches. Seine Darbietung gut belegter Tatsachen und zeitgenössischer Urteile ermöglicht dem Leser ein eigenes Urteil.

Der Rezensent wundert sich deshalb, daß der Autor den Ausgang der Skagerrakschlacht nur als ein „vorteilhaftes Unentschieden“ bezeichnet: Die kaiserliche Flotte, die „bei allem, was sich zählen, wiegen und messen läßt – den Engländern fast hoffnungslos unterlegen“ ist, fügt der Grand Fleet „fast doppelt so hohe Verluste zu, wie sie selbst erlitten“ hat und schlägt sie von ihrem Ziel, dem Durchbruch zur Ostsee zurück – wieso ist das kein eindeutiger Sieg?

Die Lektüre des Buches ist für jeden, der die Entwicklung zum Ersten Weltkrieg verstehen will, ein Muß.             Manfred Backerra

Franz Uhle-Wettler: „Alfred von Tirpitz in seiner Zeit“, Ares, Graz 2008 (überarbeitete Neuauflage), gebunden, 559 Seiten, 29,90 Euro


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