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24.01.09 / Wilhelm der Fortschrittliche / Eberhard Straub sieht die Regierungszeit des letzten deutschen Kaisers als Epoche der Innovation

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-09 vom 24. Januar 2009

Wilhelm der Fortschrittliche
Eberhard Straub sieht die Regierungszeit des letzten deutschen Kaisers als Epoche der Innovation

Die wilhelminische gehört „zu den großartigsten Epochen der neueren deutschen Geschichte“ – das behauptet zumindest Eberhard Straub in seiner Biographie über den letzten deutschen Kaiser „Kaiser Wilhelm II. in der Politik seiner Zeit“. Die schwärmerische Meinung eines etwas altväterlich wirkenden Herrn, der vergangenen Zeiten nachtrauert? Wohl kaum. Denn auch in diesem Buch fördert der habilitierte Historiker Straub vergessene Fakten zutage und befreit das Bild des letzten deutschen Monarchen von stereotypen und ungerechten Urteilen.

Für Straub hat Wilhelm II. nicht nur in der entstehenden Massengesellschaft soziale Gegensätze mit staatlicher Wohlfahrt zu lindern versucht oder nach Bis­marcks Kulturkampf die deutschen Katholiken erfolgreich in das Reich integriert. Für ihn war er auch ein glänzender Vertreter des Fin de Siècle, der im „Zeitalter des Interessanten“ beispiellos Wissenschaften und Künste förderte und den nicht einmal seine Kritiker für unmodern hielten.

Als bürgerlich erzogener Mann und von den liberalen Ideen seiner englischen Mutter durchdrungen, hatte er sich schon früh für die technischen Neuerungen seiner Zeit begeistert und später als preußischer König und deutscher Kaiser die wohl fortschrittlichste Kulturpolitik hierzulande vertreten. Zusammen mit Friedrich Althoff (1839–1908), dem „heimlichen Kultusminister in Preußen“, reformierte er den dortigen Wissenschaftsbetrieb – und das oftmals gegen den Widerstand einer bornierten Beamtenschaft.

Während der Regentschaft Wilhelm II. wirkten Max Planck und Albert Einstein in der Reichshauptstadt, lehrten amerikanische Professoren an der Berliner Universität, wurde schließlich ein umfangreiches Stiftungswesen etabliert. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, 1910 gegründet, finanzierte sich zu einem großen Teil aus Spenden, sie diente ausschließlich der Forschung und gab schon damals das preußische Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre auf – noch heute ist es unseren Universitäten teuer. „Er hielt keine Entwicklung auf“, schreibt Straub, „er ließ viel zu, regte an oder ließ sich anregen und nach anfänglichem Schwanken überzeugen.“

Es war ein wirklich liberaler, fortschrittlicher Geist, der im wilhelminischen Deutschland herrschte und den wohl nur überspannte Intellektuelle als „untertanenhaft“ beschreiben konnten. Offenheit und Neugier gab es denn auch im Bereich der Kunst, und wenn nicht, dann zumindest liebevolles Dulden. Die Opern von Richard Strauss waren Wilhelm II. ein Greuel, aber dennoch war der Komponist sein Generalmusikdirektor in Berlin, er ärgerte sich über Maler wie Lovis Corinth und Edward Munch, aber er ließ sie gewähren.

Ganz zu schweigen von den wirklich avantgardistischen Aufbrüchen der wilhelminischen Epoche. In München gab es den „Blauen Reiter“, und in Dresden machte „Die Brücke“ gleichfalls mit expressionistischen Versuchen auf sich aufmerksam – all das widerstrebte Wilhelm II. mit seinem antiquierten Kunstgeschmack, doch nie hatte er dagegen gewettert, geschweige denn es verhindert. Ein George Grosz (1893–1959), späterer Dadaist und sozial engagierter Graphiker, sah sich durch kaiserliche Kunstanschauungen jedenfalls nicht eingeschüchtert: „Eigentlich sah man ja, bis hinunter zum dritten Proletenstand staatserhaltend treu zum Kaiser auf.“

Jedoch fehlt in diesem brillant geschriebenen Buch auch mancher kritischer Punkt. Gewiß, Straub schildert spannend und farbenreich die tragischen Verwicklungen, die mit in die Ka­tastrophe führten, „in den Krieg, den keiner wollte“: die Intrigen des 1890 entlassenen Bismarck und die Unzulänglichkeiten derer, die nachher nicht mehr das Format des „eisernen Kanzlers“ erreichten. Aber – Wilhelm II. war auch the Kaiser, wie ihn die Engländer nannten, der oberste Repräsentant des Deutschen Reiches. Hätte er, umgeben von ränkesüchtigen und offenbar paranoiden Beamten, nicht auch ein größerer Politiker sein müssen, um 1914 den Frieden zu retten und später die Monarchie? Nach der Lektüre dieses Buches ist das ein wehmütiger Gedanke.          Michael Böhm

Eberhard Straub: „Kaiser Wilhelm II. in der Politik seiner Zeit – Die Erfindung des Reiches aus dem Geist der Moderne“, Landt Verlag, Berlin 2008, gebunden, 380 Seiten, 34,90 Euro


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