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31.01.09 / Wer die Geschichte ignoriert, der hat keine Zukunft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-08 vom 31. Januar 2009

Auf ein Wort
Wer die Geschichte ignoriert, der hat keine Zukunft
von Jörg Schönbohm

Beinahe hätte niemand Notiz davon genommen, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich erstmals in ihrer Amtszeit der Birthler-Behörde eine Visite abstattete. Die Resonanz in den Medien war eher verhalten. Aufmerksamkeit erweckte der Besuch erst, nachdem Peter-Michael Diestel, Parteifreund der Kanzlerin und ehemals Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident der DDR, den Besuch des Stasi-Archivs als ein „falsches Signal“ bezeichnete. Er sei es schlichtweg satt, 45 Jahre DDR „auf das Thema Stasi“ zu reduzieren, so Diestel in einem Interview. Außerdem dürfe man nicht vergessen, daß die Stasi juristisch gesehen „keine kriminelle Vereinigung“ gewesen sei. Zudem kenne er viele „führende Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit (MfS), die einen hervorragenden Beitrag geleistet haben beim Aufbau der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung“. Daher hätte er es auch als richtig empfunden, wenn die Stasi-Bestände unmittelbar nach der Wende vernichtet worden wären.

Diese Ansicht teilt Diestel mit zahlreichen Politikern der Linkspartei. Regelmäßig stellen die SED-Nachfolger den Sinn und Zweck der Behörde in Frage und fordern unverhohlen ihre vorzeitige Auflösung. Auch der Parteivorsitzende der Linken Oskar Lafontaine meinte diesbezüglich, daß Deutschland andere Sorgen habe als etwaige Stasi-Spitzel zu überführen.

Es stimmt natürlich, daß unser Land in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise alle Kraft benötigt, um die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich zu bewältigen. Das bedeutet aber keineswegs, daß wir die Augen vor unserer Vergangenheit verschließen dürfen. Wer die Geschichte ignoriert, hat auch keine Zukunft.

Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall kommt der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) eine wichtige Aufgabe zu. Fast 40 Millionen Karteikarten und über 180 Kilometer Aktenordner bilden das weltweit größte und umfassendste Archiv des kommunistischen Repressionsapparats. Seit 1991 gab es über sechs Millionen Anträge auf Akteneinsicht. Im gleichen Zeitraum wurden über 500000 Anträge zu Fragen der Rehabilitierung, Wiedergutmachung oder Strafverfolgung bearbeitet. Das Interesse der Bürger an den Stasi-Akten ist ungebrochen. Für viele, die in der DDR unter Verfolgung und Unterdrückung litten, ist die Einsichtnahme in die Akten ein wichtiges Mittel, um das Erlebte zu verarbeiten. Die Opfer haben einen Anspruch auf Aufklärung.

Die Forschungsergebnisse der Birthler-Behörde klären jedoch nicht nur über Verbrechen der Vergangenheit auf, sondern legen auch die Struktur von alten Stasi-Cliquen in der Gegenwart offen. So läßt sich beispielsweise mit Hilfe der MfS-Unterlagen nachweisen, daß von den knapp 200 Abgeordneten, die die Linke zurzeit in bundesrepublikanische Parlamente entsendet, jeder zehnte als IM für die Stasi gespitzelt hat. Nach wie vor geben die ehemaligen Verantwortungsträger und Systemprofiteure in der Linkspartei den Ton an.

Verständlicherweise legen die Täter von einst keinen gesteigerten Wert darauf, daß die Arbeit der Birthler-Behörde fortgesetzt und noch mehr über die Vergangenheit zu Tage gefördert wird. Hier wird ganz gezielt versucht, die eigenen Verstrickungen im SED-Unrechtsstaat zu verschleiern.

Ungeniert organisieren sich ehemalige MfS-Leute heute in regelrechten Stasi-Traditionsvereinen. Das „Schwert und Schild der Partei“ lebt weiter in zahllosen Interessensverbänden mit so wohlklingenden Namen wie „Gesellschaft für Bürgerrechte und Menschenwürde“ (GBM), „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung“ (GRH) oder „Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR“ (ISOR).

Selbst ranghohe Offiziere des MfS sehen heute nichts Anrüchiges mehr daran, sich zu Ehemaligen-Konferenzen zu treffen. Ausgelassen frönt man dort dem Geschichtsrevisionismus, parliert über die „Erfolgsbilanz“ der Stasi und  feiert sich selber als „Kundschafter des Friedens“.

Dies ist nicht zuletzt deshalb möglich, weil in der öffentlichen Wahrnehmung der menschenverachtende Charakter des DDR-Regimes zunehmend in Vergessenheit gerät.

Gezielte Geschichtsverfälschung und die sogenannte Ostalgie lassen letztlich nur noch die Erinnerung an einen vermeintlich fürsorglichen Solidarstaat zurück – die DDR als „gutgemeintes, aber leider mißglücktes Experiment“. Kaum einer spricht noch aus, was die DDR wirklich war: eine verbrecherische Diktatur. Die Mauertoten, die Unterdrückung der Opposition, die gesellschaftliche Indoktrination und die Beschränkung der Meinungs- und Reisefreiheit sprechen eine andere Sprache.

Das systematische Vergessen und Verdrängen hat katastrophale Folgen. Eine im vergangenen Jahr durchgeführte Schülerumfrage ergab, daß nur etwa die Hälfte der Befragten die DDR für eine Diktatur hält. Ein Drittel der Pennäler gab sogar an, daß die Stasi in ihren Augen ein ganz normaler Geheimdienst gewesen sei, wie ihn jeder Staat hat.  

Auch in diesem Bereich kommt der Birthler-Behörde eine wichtige Aufgabe zu. Neben der Erforschung von Struktur und Wirkungsweise des Stasi-Apparates zählt eben auch die historisch-politische Bildungsarbeit und die gesellschaftliche Werteerziehung zu ihrem zentralen Auftrag. Durch vielfältige Informations- und Bildungsangebote trägt die Birthler-Behörde aktiv zur Entwicklung eines  gesamtdeutschen Geschichtsverständnisses bei.

Insbesondere der jungen Generation muß vermittelt werden, daß die DDR und die Stasi nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Sie gehören untrennbar zusammen. Natürlich darf die DDR nicht auf ihren Geheimdienst reduziert werden. Dennoch wäre der Arbeiter- und Bauernstaat ohne den Repressions- und Überwachungsapparat des MfS nicht denkbar gewesen.

Geradezu symbolhaft steht die Birthler-Behörde für den anhaltenden historischen Aufarbeitungswillen unserer wiedervereinigten Nation. Daß diese Aufarbeitung auf der Grundlage der Stasi-Unterlagen heute möglich ist, ist nicht zuletzt ein Vermächtnis der friedlichen Revolution von 1989. Dieses wertvolle Vermächtnis gilt es zu beschützen und zu bewahren. 


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