20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
07.02.09 / »Gar nuscht« / Mundart – Bewahrung ostpreußischer Kultur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 07. Februar 2009

»Gar nuscht«
Mundart – Bewahrung ostpreußischer Kultur

Geboren wurde die Karline noch in der Heimat. Und eigentlich heißt sie Karolin. Daß sie auf diesen Namen getauft wurde, hatte seinerzeit ihr Vater gewünscht. Er hatte in seinen Feldpostbriefen darauf beharrt und die Mutter hatte sich danach gerichtet. Die Großmutter hatte indessen nur vom Karlinchen gesprochen, und das hatte um sich gegriffen. Doch das war nicht der einzige abweichende Name gewesen, mit dem Karolin gerufen wurde. Herzchen, Huschen, Trautsterchen, Katzchen, Mauschen, Haschen hatten ebenfalls dazugezählt und noch einige ähnliche Namen mehr. Doch Karolin hatte immer gewußt, daß sie gemeint war, wenn sie gemeint war.

Inzwischen ist sie selbst mehrfache Mutter und Großmutter, und sie hat den ihr einst beschiedenen Namensreichtum auch uneingeschränkt ihren Kindern und Enkelkindern zukommen lassen.

Bei der Vorstellung ihrer jüngsten Enkeltochter erlebte sie aber einen Verweis, als sie ihren großmütterlichen Gefühlsüberschwang auf das neue Erdenbürgerchen rieseln ließ. Da nämlich, als sie wiederholt Herzchen und Puttchen, und Hascherchen sagte. Es löste unverkennbares Stirnrunzeln bei Tochter und Schwiegersohn aus. Erst unauffällig, dann deutlicher. Und schließlich offenbarte Ulrike, die Mutter des Kindes, ihrer Mutter, daß sie und ihr Mann es nicht für angebracht hielten, dem Kind alle möglichen Namen anzulasten. Es solle von Anfang an nur bei seinem richtigen Namen gerufen werden. Überhaupt lehnten sie die ganzen Verniedlichungen und sonderbaren Ausdrucksweisen ab, die von Ostpreußen herstammten. Sie sähen darin nichts anderes als irritierende Sprachverrenkungen und Gefühlsduseleien ohne jeden Sinn und Gehalt.

Karolin horchte auf. „Sagtest du Gefühlsduseleien?“ fragte sie dann langsam und betont.

„Ja, Mutter!“ bestätigte Ulrike eindringlich.

„Na, dir und deinen Schwestern haben solche Gefühlsduseleien, wie ihr es nennt – ich sehe darin eher einen Ausdruck von Warmherzigkeit – doch immer wohlgetan, wenn ich mich recht erinnere. Und geschadet haben Sie eurem Seelenleben auch nuscht! Rein gar nuscht, wie ich meine!“ antwortete die Karolin in voller Überzeugung. Auf diese Ausführungen der Mutter hin zeigte Ulrike sich nun doch ziemlich betroffen, denn sie wußte, wenn die Mutter mit solchem Nachdruck „rein gar nuscht“ sagte, war sie sehr verletzt. Hannelore Patzelt-Hennig


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren