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07.02.09 / Die Last der Schuld / Tod des Bruders verstört

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 07. Februar 2009

Die Last der Schuld
Tod des Bruders verstört

Schuld ist ein großes Wort, und ihre Last kann schwer auf der Seele liegen. Wer ist schuld? Wer trägt die Schuld? Zuweilen paßt es uns Menschen ganz gut in den Kram, wenn wir jemandem die Schuld für etwas Schlimmes geben können … vielleicht, um uns selbst nicht schuldig fühlen zu müssen, vielleicht, um überhaupt jemanden für schuldig befinden zu können, wenn „Höhere Gewalt“ uns als Erklärung nicht genügt.

Darf eine Familie wieder glück-lich werden, wenn der mittlere von drei Söhnen in einem Moment der allgemeinen Unachtsamkeit, in einen See gesprungen und ertrunken ist?

Adam Davies beschreibt in seinem Roman „Goodbye Lemon“ die Familie Tennant, die an der quälenden Frage zerbricht, wer an dem Tod des mittleren Sohnes Dex, genannt Lemon, schuldig sein könnte.

Der Roman beginnt beim jüngsten der drei Brüder, bei Jack. Adam Davies berichtet von Jacks Leben als Erwachsener, und dem Leser zeigt sich das Bild eines sympathischen, intelligenten jungen Mannes, der jedoch unzufrieden mit allem und in seinem Handeln und Denken irgendwie blockiert zu sein scheint.

Doch dann erfährt Jack, daß sein Vater einen schweren Schlaganfall hatte und nun im Wachkoma, unter dem sogenannten „Locked-In-Syndrom“ leidend, vor sich hinvegetiert. In Begleitung seiner Freundin Hahva wagt er die Reise zurück ins Haus seiner Kindheit, zu seinem älteren Bruder Pressman, der immer noch zu Hause lebt, und seiner gefühlskalten Mutter. Der Leser beginnt zu begreifen, daß hier eine Menge verkehrt gelaufen sein muß.

„,Ich habe fast zwei Jahrzehnte hier gewohnt.‘ Dann nach einer kurzen Pause: ,Siehst du hier einen Zusammenhang? Sehr beliebt in diesem Haus gewöhnlicher Alkohol und Reinigungsalkohol. Trinken und putzen.‘ … Abgesehen von der Öffnung zwischen Nase und Kinn ist das Gesicht meiner Mutter beim Sprechen völlig falten- und fugenlos. Dann tritt sie vor, um mich zu umarmen. Es ist eine linkische Geste, etwa so, als würde man einen Weihnachtsbaum umarmen … Falls Pressman einen von uns wahrnimmt, läßt er es sich nicht anmerken. Er schlurft vorbei, eingehüllt in eine Giftwolke aus schalem Zigarrenqualm und Mundgeruch. Meine Mutter folgt ihm zum Schränkchen und sprüht nach jedem seiner Schritte eine Schwade Oust in die Luft. …“

Sehr bewegend ist die Veränderung, die mit Jack vonstatten geht. Mit jedem Tag, der im Hause seiner Eltern verstreicht, beginnen bei Jack oberflächlich verheilte Wunden wieder aufzubrechen. Er folgt dem Beispiel seines Bruders Press und fängt wieder mit dem Trinken an. Schon bald reist Hahva ab. Nun muß Jack allein mit seinem kranken Vater, der nichts mehr mit dem herrischen Mr. Tennant von einst gemeinsam hat, den quälenden Erinnerungen an Dex und seinen alten Minderwertigkeitskomplexen und Selbstzweifeln zurechtkommen.

Auch wenn der Roman von der Thematik her den Anschein erweckt, so ist er in keiner Weise düster und niederschmetternd, sondern eher lebensbejahend und positiv. Gespickt mit Ironie und bissigem Humor begleitet Adam Davies den Leser auf dem Pfad der Weiterentwicklung, den die Familie Tennant nach vielen Jahren des Stillstandes erst durch die schlimme Erkrankung des Vaters beschreiten konnte.

„Goodbye Lemon“ ist ein tiefgründiger Roman, mit dem uns Davis sagen möchte, daß „man sich seine Familie nicht aussuchen kann, aber vielleicht doch sein Leben – und seine Liebe“.    A. Ney

Adam Davies: „Goodbye Lemon“, Diogenes Verlag 2008, geb., 343 Seiten, 21,90 Euro


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