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21.02.09 / Mantel des Schweigens gelüftet / Italien gedenkt seiner ermordeten und vertriebenen Landsleute aus Istrien – Gedenktag 10. Februar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-09 vom 21. Februar 2009

Mantel des Schweigens gelüftet
Italien gedenkt seiner ermordeten und vertriebenen Landsleute aus Istrien – Gedenktag 10. Februar

Diesen Monat gedachten Regierungsvertreter zum vierten Mal des Exodus der Italiener aus Istrien und Dalmatien. Die Mitte-Rechts-Koalition unter Silvio Berlusconi hatte im Jahre 2005 den 10. Februar zum Gedenktag erklärt.

Ein Schlüsselort für die damaligen Geschehnisse ist Triest. Jahrhundertelang war die Hafenstadt am nördlichsten Adriazipfel ein Schmelztiegel europäischer Völker und Kulturen. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel Triest zunächst an die Italiener. Seit ihrer Machtübernahme terrorisierten die Faschisten die slawischen Einwohner und versuchten, sie ihrer nationalen Identität und Sprache zu berauben. Im Zweiten Weltkrieg besetzten deutsche Truppen die Stadt. Sie gingen gegen Widerstandskämpfer und jüdische Bewohner vor und errichteten in einer alten Reisfabrik, der „Risiera di San Saba“, ein Konzentrationslager.

Am 30. April 1945 marschierte schließlich der Kommunist Tito mit seinen jugoslawischen Partisanentruppen ein und setzte dem Terror der Nationalsozialisten ein eigenes Schreckensregime entgegen, das 45 Tage lang dauerte. Während dieser Zeit wurde das Schlagwort „Foibe“ geprägt. Foibe, das sind die tiefen Bergschluchten des Karsts im Hinterland der Triestiner Bucht. Diese wurden zwischen 1943 und 1945 zum Schauplatz einer Tragödie, die bis heute die italienisch-slowenisch-kroatischen Beziehungen belastet. Im Kampf gegen „Kriegsverbrecher“ und „Volksfeinde“ richteten Titos Einheiten und die Geheimpolizei OZNA Schnellgerichte ein und ließen einen Teil der Hingerichteten in den Karstspalten verschwinden. Hier endeten vor allem Anhänger faschistischer Terrorbanden und der Politischen Polizei, Kollaborateure, serbische Freischärler und radikale kroatische Nationalisten. Allerdings traf es ebenso Mitglieder der Finanzpolizei oder der Stadtgarden, die am bewaffneten Aufstand gegen die deutschen Besatzer teilgenommen hatten, sowie unliebsame Gegner der Annexionspläne Titos, etwa italienische Partisanen des Nationalen Befreiungskomitees (CLN) oder die Autonomisten in Fiume (kroatisch Rijeka, der deutsche Name St. Veit ist veraltet). Etliche Opfer – unter ihnen auch Kriegsgefangene und unschuldige Zivilisten wie Bauern, Intellektuelle, Frauen und Kinder – wurden gar bei lebendigem Leibe in die Tiefe gestoßen. Auch in den Felslöchern des Gottscheerer Waldes ruhen Tausende Leichen. Aus Angst flohen schätzungsweise 350000 der seit langem in Istrien lebenden Italiener aus den Siedlungsgebieten im heutigen Kroatien und Slowenien.

Wie viele Tote die Massaker tatsächlich forderten, darüber herrscht seit jeher Uneinigkeit in der Politik. Die Angaben variieren zwischen 5000 und 12000 Opfern. Vertriebenenverbände und Rechtsparteien gaben oft überhöhte Opferzahlen an. Sie sprachen – allerdings mit guten Gründen – von „Genozid“ und später von „ethnischer Säuberung“ und verlangten Sühne für jene Verbrechen. Systematisch hätten Titos Kommandos die Hinrichtungen und Deportationen betrieben, um die gesamte italienische Bevölkerung aus Julisch Venetien zu vertreiben. Die Gräueltaten der Faschisten und Nationalsozialisten, der Angriff Adolf Hitlers und Benito Mussolinis auf Jugoslawien und die Opfer des Triester KZ wurden demgegenüber unter den Teppich gekehrt.

Linksparteien neigten indessen dazu, die nicht nur gegen Faschisten gerichteten Übergriffe der Partisanen herunterspielen. Bei den Repressalien habe es sich um Racheakte für Mussolinis jahrelange Assimilationspolitik gehandelt, vergleichbar mit den anarchischen Bauernaufständen. Damit wurden Josip Broz Tito und Co., von denen man sich zumindest moralische Unterstützung erhoffte, weitgehend freigesprochen, und der Partisanenmythos war gerettet. Zugleich vertat die Linke die Chance zur Verständigung mit den „Exilanten“ aus den Gebieten, die im Friedensvertrag vom 10. Februar 1947 an Jugoslawien gefallen waren. Enttäuscht wandten sich diese fortan oft an die extreme Rechte, die ihnen politisches Gehör verschaffte und Entschädigung sowie territoriale Ansprüche zusicherte. Zuletzt hatte sich der rechtskonservative Parlamentspräsident Gianfranco Fini dafür eingesetzt, daß bei den Vertriebenen die italienische Staatsbürgerschaft neben der kroatischen beziehungsweise slowenischen im Paß vermerkt wird.

Auch die bürgerlichen Parteien umgingen das heikle Thema der Foibe jahrzehntelang aus geopolitischer Rücksicht auf Jugoslawien. Christdemokrat Alcide De Gasperi, einer der Gründungsväter der Europäischen Union, unterließ etwa Forderungen nach einer Verurteilung jugoslawischer Kriegsverbrecher, um die Rückgewinnung Triests nicht zu gefährden. Die Stadt und das Umland standen bis 1954 unter UN-Aufsicht. Sogar die Engländer und Amerikaner sahen in Tito einen nützlichen Verbündeten gegen die Sowjetunion, den man nicht verärgern durfte. Nach 60 Jahren hat man immer noch Probleme damit auszusprechen, was damals in den Schluchten des Karsts passiert ist. Nur wenige Publikationen widmen sich der historischen Aufarbeitung. Nicht zuletzt will Italien die guten Beziehungen zu Slowenien und zum EU-Anwärter Kroatien wahren. Auch Staatspräsident Giorgio Napolitano sparte in seiner diesjährige Rede vor dem Parlament die Täter aus. Stattdessen verurteilte er die „schwierige Erfahrung des Faschismus“ und betonte die Verantwortung für „die Leiden der slowenischen Minderheit während der Kriegsjahre“. Sophia Gerber

Foto: Beim komplizierten Konflikt um Istrien gab es Unrecht und Opfer auf allen Seiten, aber im Mai und Juni 1945 kam es zu einem mörderischen „Finale“ gegen die Italiener: Wer nicht rechtzeitig floh (siehe Foto), riskierte den Tod in einer Karsthöhle. Bild: laif


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