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21.02.09 / Vielfältige Auswirkungen / Enge Vorgaben aus Karlsruhe hätten Folgen für andere Länder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-09 vom 21. Februar 2009

Vielfältige Auswirkungen
Enge Vorgaben aus Karlsruhe hätten Folgen für andere Länder

Wie viele Zuständigkeiten darf Deutschland zu welchen Bedingungen an die EU übertragen? Besteht das Risiko, daß eines Tages die entscheidende Zuständigkeit für die Zuschreibung von Zuständigkeiten – Politologen sprechen von der „Kompetenzen-Kompetenz“ – nach Brüssel abwandert, womit Deutschland seine Souveränität verloren hätte? Und sind die Strukturen der EU demokratisch genug, um – gemessen am Maßstab des Grundgesetzes – soviel Macht ausüben zu können, wie der Vertrag von Lissabon ihnen zubilligt?

Um solche sehr grundsätzlichen Fragen geht es in der Klage gegen den Lissabon-Vertrag, über den vergangene Woche in Karlsruhe zwei Tage lang verhandelt wurde. Wie ernst die Bundesregierung das Verfahren nimmt, hat die hochrangige Prozeßvertretung gezeigt: Zwei Bundesminister kamen nach Karlsruhe, um die teilweise überraschend spitzen Fragen der Hüter der Verfassung zu beantworten. Die Skepsis des Verfassungsgerichts hat viele Gründe. Nicht der unwichtigste: Mit fortschreitender europäischer Integration verliert es selbst Zuständigkeiten an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und womöglich sogar direkt an die EU-Kommission. Die Bundesregierung gab und gibt sich dennoch gelassen, denn sie rechnet fest mit einem positiven Urteil. Möglich und sogar wahrscheinlich sind aber Auslegungsvorgaben und andere Bestimmungen, wie sie Karlsruhe bereits in seinem berühmten Maastricht-Urteil von 1993 erließ.

Ob und welche Auswirkungen solche Vorgaben hätten – sowohl in Deutschland als auch auf den Prozeß der Ratifikation in Tschechien, Polen und Irland, den drei Ländern, in denen dieser Prozeß ebenfalls noch nicht abgeschlossen ist –, wird sich erst nach der Urteilsverkündung sicher beantworten lassen. Fest steht: Ein Nein aus Karlsruhe, so unwahrscheinlich es auch scheint, würde die EU in eine tiefe Krise stürzen. Es wäre eben mehr als „nur“ der Todesstoß für die als „Verfassungsvertrag“ gestartete große EU-Reform, es wäre die Infragestellung der gesamten weiteren Integration nach innen und außen. Die Reparaturarbeiten nach dem im Frühsommer 2005 in Frankreich und den Niederlanden gescheiterten Verfassungsvertrag waren schwierig genug. Mit dem Nein beim irischen Referendum steckt ja auch das Folgeprojekt, eben der Vertrag von Lissabon, in Schwierigkeiten. Einen dritten Anlauf würde es für viele Jahre nicht geben können.

Die EU müßte dann mit dem bisherigen, reichlich unübersichtlichen „Wust“ an Verträgen weiterarbeiten. Daß das nicht unbedingt zu Deutschlands Vorteil wäre, wissen auch die Kläger, in deren Reihen von der Linkspartei bis zu Peter Gauweiler fast das gesamte poltische Spektrum vertreten ist. Da die EU den Vertrag bis Jahresende ratifiziert haben will, ist schon die Frage des Termins der Urteilsverkündung ein Politikum. Ein positives Urteil wird vor der Europawahl am 7. Juni erwartet. Ein späterer Termin würde Spekulationen über ein sensationelles „Nein“ ins Kraut schießen lassen. K.B.

In Karlsruhe liegen mehrere Verfassungsbeschwerden gegen den Vertrag von Lissabon vor. Zu den Beschwerdeführern gehören neben Gauweiler und der Linkspartei etwa auch der frühere CSU-Europapolitiker Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg. Dazu kommen der frühere Thyssen-Chef Dieter Spethmann, der Tübinger Europarechtsexperte Joachim Starbatty und der Berliner Wirtschaftsjurist Markus Kerber.

Mit größerer Sorge blickt die EU-Kommission nach Irland und Tschechien. Beide Länder haben den Vertrag von Lissabon noch nicht ratifiziert. Das tschechische Parlament verschob Ende vergangener Woche zum wiederholten Male die Abstimmung über den Vertrag. Regierungschef Mirek Topolanek versicherte zwar, dass die Abstimmung noch vor Ende Februar stattfinden solle. Doch im Land gibt es starke euroskeptische Kräfte, wozu auch Staatspräsident Vaclav Klaus gehört.

Die irische Regierung will voraussichtlich im Oktober erneut das Volk zum Vertrag von Lissabon befragen. Ob die Iren dann zustimmen, steht in den Sternen. Denn die antieuropäische Bewegung Libertas des Geschäftsmanns Declan Ganley macht erneut mobil. Sie hatte im Sommer 2008 dafür gesorgt, dass die Iren mit deutlicher Mehrheit gegen den EU- Vertrag stimmten.

Auch Polen hat das Reformwerk noch nicht ratifiziert. Der euroskeptische Staatspräsident Lech Kaczynski weigert sich bislang, den vom Parlament gebilligten Vertrag zu unterschreiben.

 

Zeitzeugen

Peter Gauweiler – Der 59jährige Rechtsanwalt und CSU-Politiker ist zum Verdruß der Union klagefreudig, wenn es um die EU geht. Bereits gegen den gescheiterten Verfassungsentwurf 2005 reichte er Klage in Karlsruhe ein, nun auch gegen dessen Nachfolger, den Lissabon-Vertrag.

 

Wolfgang Schäuble – Als Vertreter des Bundesregierung argumentierte der Innenminister für den EU-Vertrag. „Der Vertrag beeinträchtigt die Souveränität der Bundesrepublik nicht“, so der CDU-Politiker. Die EU-Mitgliedsstaaten blieben „Herren der Verträge“. Deutschland übertrage freiwillig Zuständigkeiten und könne sogar jederzeit wieder aus der EU austreten.

 

Joachim Starbatty – Der Tübinger Europarechtsexperte hat bereits 1997 beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Doch seine Klage gegen die Einführung des Euros war nicht von Erfolg gekrönt. Erst vor wenigen Wochen entschied er sich zusammen mit dem früheren CSU-Europapolitiker Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg, dem früheren Thyssen-Chef Dieter Spethmann und dem Wirtschaftsjuristen Markus Kerber für einen erneuten Gang nach Karlsruhe.

 

Frank-Walter Steinmeier – Der SPD-Kanzlerkandidat betonte als Vertreter der Bundesregierung in Karlsruhe, daß angesichts globaler Krisen kein Mitgliedsstaat der EU sich noch allein behaupten könne. Die EU sei ein neues Instrument des politischen Handelns der Nationalstaaten. Deutschland würde also mit den Kompetenzübertragungen auf die EU, wie sie der Lissabonner Vertrag vorsieht, nicht schwächer, sondern stärker, behauptete der 53jährige. Beobachter fanden Steinmeiers Argumentation jedoch nicht überzeugend. Zu viele, lieblos aneinandergereihte Floskeln, so ihr Urteil.

 

Udo di Fabio – Sein Nachhaken bei der Anhörung machte die Vertreter von Bundesregierung und Bundestag nervös. Der 1954 geborene Jurist sitzt seit 1999 im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgericht. Di Fabio gilt als Mann mit klassisch bürgerlichen Überzeugungen, und er ist für seine Unabhängigkeit bekannt. Im Jahre 2005 verwarf der Zweite Senat unter seinem Vorsitz den Europäischen Haftbefehl.


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