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21.02.09 / Theaterlandschaft im Umbruch / Königsbergs Dramentheater und das »Tilsit-Theater« wollen enger zusammenarbeiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-09 vom 21. Februar 2009

Theaterlandschaft im Umbruch
Königsbergs Dramentheater und das »Tilsit-Theater« wollen enger zusammenarbeiten

Droht dem „Tilsit-Theater“ das Aufgehen im Königsberger Dramentheater? Zur Zeit wird in der Theaterbranche der Region fast nichts mehr ausgeschlossen, obwohl sich schon viel verändert hat.

Im vergangenen Jahr gab es im Dramentheater des Königsberger Gebiets Veränderungen. An die Stelle des bisherigen Intendanten und langjährigen Direktors Nikolaj Peterow trat Jewgenij Marcelli. Am Anfang leitete Peterow dieses kommunistische Parteiorganisationstheater, dann wurde er künstlerischer Leiter. In letzter Zeit zeigten sich aber sowohl die Direktion als auch die Künstler und Mitarbeiter mit seinem Führungsstil unzufrieden. Wiederholt hatten sie Beschwerdebriefe an das regionale Ministerium für Kultur und sogar an den Gouverneur geschickt, in denen sie über den Stillstand im Theater klagten. Obwohl Nikolaj Peterow in den letzten Jahren für umfangreiche Reparaturarbeiten am Theatergebäude gesorgt hatte, konnte er das Theater auf künstlerischer Ebene nicht voranbringen. So sahen es auch die Königsberger Theaterbesucher.

Daraufhin setzte der Gouverneur eine Kommission ein, die die Stelle neu ausschreiben sollte. Unter den zahlreichen Bewerbern um die Stelle des Intendanten galt der bekannte und mehrfach ausgezeichnete Künstler Jewgenij Marcelli als Favorit, und er gewann dann auch den Wettbewerb souverän. Er hatte schon als Regisseur am Dramen-Theater des Gebiets gearbeitet, doch Direktor Nikolaj Peterow fühlte sich von dem fähigen Mann bedrängt, und trennte sich von ihm. Ab der diesjährigen Saison ist nun Jewgenij Marcelli der neue Intendant des Dramaturgischen Gebietstheaters.

 Doch leider schafft die weltweite Finanzkrise dem neuen Direktor zusätzliche Probleme. Vor kurzem fand im Kulturministerium des Gebiets ein Treffen aller Intendanten und Verwaltungschefs der regionalen Theater statt. Dabei wurden Fragen der Zusammenarbeit unter den neuen ökonomischen Bedingungen erörtert. Das Resultat: Sieben von 37 Schauspielern wurden entlassen, denn das Budget des Theaters war um 35 Prozent gekürzt worden. Zusätzlich entschied die Leitung des Dramentheaters, einen Teil der Schauspieler aus dem Personalbestand herauszunehmen.

Marcelli versichert, daß dies vorerst keine Auswirkungen auf die Anzahl und Qualität der Aufführungen haben werde. Im Kulturministerium des Königsberger Gebiets hofft man, mit der Neuregelung Geld sparen zu können, weil das Theater künftig nur noch für tatsächlich getane Arbeit bezahlt wird. Nur Schauspieler, die für ein Stück engagiert sind, werden weiterbeschäftigt. Alle anderen verlieren ihre Festanstellung. In Zukunft hängen auch die Honorare der Schauspieler unmittelbar von der Mitwirkung an einem Schauspiel ab. Die Honorare könnten dann sogar steigen, glaubt der neue Intendant. Denn das Theater erhält Subventionen aus dem Gebietshaushalt. Je gefragter ein Stück oder ein Konzert ist, desto höhere Subventionen wird das Theater künftig erhalten.

Ein Ergebnis des Treffens ist die Durchführung eines künstlerischen Experiments, an dem das Dramentheater und das „Tilsit-Theater“ teilnehmen. Sie werden gemeinsame Theateraufführungen einstudieren, gemeinsam wichtige Fragen über die Kostüme und Dekorationen fällen. Es ist nicht auszuschließen, daß das Tilsiter Theater künftig eine Filiale des Gebietstheaters wird.

Eine Frage, die die Theatermitarbeiter beschäftigt, ist die Renovierung des „Tilsit-Theaters“. Sein Bau kostete einst 145000 Mark. Im Herbst 1893 hob sich erstmals der Vorhang. Das Repertoire bestand überwiegend aus Opern, Operetten und klassischen Dramen. Auf dieser Bühne wagten viele bekannte Theater- und Kinoschauspieler ihre ersten Schritte, wie der Dramaturg Frank Wedekind und Alfred Brust. Erster Direktor und Intendant war Emil Hannemann. 1903 wurde das Theater umgebaut, der Zuschauersaal vergrößert. Das Wirken Francesco Siolis, der das Theater 1908 leitete, war weit über Tilsit hinaus bekannt. In der schweren Zeit versuchte man, seinen Ruhm mit privaten Initiativen zu erhalten, doch gelang dies nicht lange. Anfang 1933 übernahm die nationalsozialistische Theaterorganisation die Leitung. 1936 wurde es zum zweiten Mal umgebaut. Im Stil des Klassizismus und Barocks erbaut, erhielt es nach dem Umbau ein eher strenges Antlitz. Nachdem sich sein Äußeres völlig verändert hatte, erhielt es auch einen neuen Namen: „Grenzlandtheater“.

Während des Zweiten Weltkriegs blieb das Theater geschlossen, die Gruppe wurde aufgelöst. Nach dem Krieg eröffnete in Tilsit ein städtisches Dramentheater. Mit Dmitrij Sorins Stück „Ewige Quelle“ wurde das Theater im November 1956 wieder eröffnet. Einer der ersten, der das Theater wiederbelebte, war Alexander Brodetzkij, der die Theatertruppe zehn Jahre leitete. Danach war Boris Kodokolowitsch Chef. In seiner Zeit erlebte das Theater eine künstlerische Blüte. Er bildete eine ganze Generation talentierter Schauspieler aus und wurde schließlich zum Lehr-Regisseur ernannt.

Ein Wendepunkt für das Theater war das Jahr 1989. Es erhielt den Status eines Jugendtheaters und den neuen Namen „Tilsit-Theater“. Es wurde mit neuem Personal und neuer Leitung verjüngt, 1991 leitete Jewgenij Marcelli als Abgänger der Tschukinskij-Lehranstalt das Theater. Dank seiner experimentellen Arbeit erhielt das Theater eine eigene Richtung, und seine Inszenierungen machten sogar dem Dramentheater in Königsberg Konkurrenz. Jurij Tschernyschew

Foto: „Tilsit-Theater“: Die Frage seiner Renovierung treibt seine Mitarbeiter um. Bild: Tschernyschew


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