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21.02.09 / Krieg und Frieden in einer Ehe / Sofja Tolstaja: Das Leben an der Seite von Leo Tolstoi hatte nicht nur Sonnenseiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-09 vom 21. Februar 2009

Krieg und Frieden in einer Ehe
Sofja Tolstaja: Das Leben an der Seite von Leo Tolstoi hatte nicht nur Sonnenseiten

Der Titel ihres erstmals in die deutsche Sprache übersetzten Romans lautet „Eine Frage der Schuld“. Wenn es um das Leben der Autorin Sofja Tolstaja, der Frau des berühmten russischen Literaten Leo Tolstoi, geht, dann stand für die Öffentlichkeit – und sogar einen Teil ihrer Kinder – außer Frage, wessen Schuld es war, daß Leo Tolstoi 1910 nicht daheim in seinem eigenen Bett starb. Sie, das hysterische, von Eifersucht und Geltungssucht getriebene, fette Weib, habe ihn, den Meister, alt und schwach wie er war, aus dem Haus getrieben.

Und so starb der während einer Bahnfahrt an einer Lungenentzündung Erkrankte im zugigen Bahnwärterhäuschen von Astapowo. Obwohl zu Tolstois Lebzeiten in der russischen Öffentlichkeit Kritik am Autor von „Krieg und Frieden“ und „Anna Karenina“ laut geworden war – sogar Geisteskrankheit war ihm unterstellt worden –, schienen mit seinem Tod doch alle Vorwürfe vergessen. Es dauerte Jahre, bis die menschlichen Schwächen des Dichters kritisch beleuchtetet wurden, und erst in den letzten Jahrzehnten widerfuhr seiner Frau Gerechtigkeit.

Biographen nahmen sich der deutschstämmigen Sofja Behrs an, die 1862 im Alter von 18 Jahren den fast doppelt so alten Jugendfreund ihrer Mutter heiratete. Bei der Erziehung ihrer Töchter hatten die Eltern – der Vater war Hofarzt – viel wert auf Bildung gelegt. Bei Sofja stellten die Lehrer früh ein ausgeprägtes literarisches Talent fest, in dessen Ausübung sie von allen Seiten bestärkt wurde. Nach ihrem Hauslehrerinnenexamen – andere Bildungswege standen Frauen damals nicht offen – schrieb Sofja die Erzählung „Natascha“, mit der sie auch das Interesse Leo Tolstois erlangte, der sich seit einigen Jahren literarisch betätigt hatte.

Er hatte bereits erste Erfolge und wurde daher von der jungen Sofja verehrt. Als er um ihre Hand anhielt, gab es für sie keinen Zweifel, daß er der Mann ihres Lebens wäre. Vor der Hochzeit verbrannte die junge Frau alles, was sie je selbst geschrieben hatte, da sie nur noch für ihren vergötterten Gatten dasein wollte. Von nun ab war sie seine Sekretärin, schrieb Texte ab, arbeitete seine Korrekturen ein … und wurde nebenbei 16mal schwanger. 13 Kinder kamen zur Welt, von denen aber viele schon früh, andere im jungen Erwachsenenalter starben. Zwischen all den Geburten – und dem Sterben – war Sofja stets an der Seite ihres Mannes.

Doch je älter sie wurde, je mehr Verantwortung sie trug, als Mutter, aber inzwischen auch als selbständig tätige Übersetzerin, desto mehr entfremdete sie sich von ihrem Mann. Der hatte nicht mehr an seine großen Erfolge „Krieg und Frieden“ und „Anna Karenina“ anknüpfen können. Zudem vergrub er sich immer mehr in seine Studien. Waren es zunächst Pädagogik und Religion, die Tolstoi beschäftigten, widmete er sich gegen Ende seines Lebens dem Sozialismus. Der 1901 exkommunizierte Literat bedrängte immer wieder seine Frau, das Stammgut der Familie in Jasnaja Poljana und auch allen anderen weltlichen Besitz zu verschenken.

Doch sie weigerte sich, was immer wieder zu hysterischen Streitgesprächen zwischen den Eheleuten führte, bis 1910 Tolstoi auf immer sein Haus verließ. „Eine Frage der Schuld“ wurde selbst in Rußland erst im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, also über 70 Jahre nach dem Tod der 1919 verstorbenen Autorin, veröffentlicht. Sie schrieb den Roman als Reaktion auf die 1887 von ihrem Mann verfaßte „Kreuzersonate“, die in Rußland für Aufregung gesorgt hatte und verboten worden war. Hierin sinniert der alternde Posdnyschew, der seine 30jährige Frau wegen angeblichen Ehebruches tötete, auf einer Zugfahrt über die Liebe und die Ehe.

Sofja war schockiert über die darin offenbar werdende Haltung ihres Mannes zur Liebe, denn sein Posdnyschew erträgt es nicht, daß seine Frau sich nach der Nachricht, daß sie keine Kinder mehr bekommen könne, von ihm abwendet und sich nur noch der Musik und ihrer platonischen Begeisterung für einen jungen Geiger widmet. Posdnyschew vergeht jedoch vor Eifersucht und tötet im Streit seine Frau, ohne es zu bereuen, da sie für ihn die Personifizierung der Versuchung und somit der Sünde war. Sofja erzählt nun in „Eine Frage der Schuld“ aus der Sicht der jungen Anna eine sehr ähnliche und doch zugleich völlig andere Geschichte, die zudem autobiographische Züge aufweist. Auch Anna heiratet mit 18 Jahren einen von ihr bewunderten Jugendfreund der Mutter, bekommt mit ihm mehrere Kinder, an deren Wohl und Wehe ihr Mann jedoch wenig interessiert ist.

Wehmütig schaut dieser den drallen Bauerntöchtern hinterher, die schon gleich nach einer Niederkunft wieder auf dem Feld stehen, während seine Frau kränkelt und ihre Zeit mit nutzlosem Malen verbringt. Sofja versucht sich im Gegensatz zu ihrem Mann in die Charaktere beider Ehepartner hineinzuversetzen, auch wenn bei ihr letztendlich genau wie bei Tolstoi das Verhalten des jeweils anderen Geschlechts tadelnswerter ist. Statt eines Geigers zerstört bei Sofja ein literarisch interessierter Jugendfreund des Mannes das letzte bißchen Vertrauen zwischen den Eheleuten, die nie viele Gemeinsamkeiten hatten. „Immer mehr peinigte den Fürsten die Eifersucht, und der Haß auf die Frau, die sein alleiniger Besitz sein mußte, wuchs mit schrecklicher Gewalt“, schreibt die Frau des berühmten Literaten.

Auch von Verdächtigungen zwischen ihr und ihrem Mann ist in ihrer der deutschen Erstveröffentlichung beigefügten Kurz-Autobiographie die Rede. Daß so viele negative Gefühle nicht gut enden können, zeigt „Eine Frage der Schuld“ … und das Leben der Tolstois. Rebecca BellanoSofja Tolstaja: „Eine Frage der Schuld“, Manesse Bibliothek, München 2008, geb., 314 Seiten, 19,90 Euro

Foto: Paar voller Gegensätze: Sofja und Leo Tolstoi Bild: Internet


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