© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-09 vom 21. Februar 2009

Freizeit für die Kinder
Autor warnt vor »Übereltern«

„Schulen sind Gefängnisse, in die Kinder kommen, die deren Eltern nicht mehr wollen und die die Industrie noch nicht will.“ Diesem Seitenhieb des US-amerikanischen Schriftstellers John Updike gegen die Bildungsmaschienerie schließt sich auch der kanadische Autor und Journalist Jean Carl Honoré an. 1967 geboren ließ er sich für sein Italienisch- und Geschichtsstudium lange Zeit und arbeitete danach zunächst mit brasilianischen Straßenkindern. Als Mitbegründer der Slow-Life-Bewegung kritisiert er seit Jahren die Hektik und Hast im modernen Alltag und erklärt, wieso man mit mehr Gelassenheit schneller ans Ziel gelangt. Sein aktuelles Buch „Kinder unter Druck – Rettet die Kindheit vor Schule und Übereltern“ setzt diesen Gedanken fort. Als Teil unserer leistungsorientierten Gesellschaft gerieten Kinder immer mehr unter Druck.

Schulstreß und Notendruck sorgten dafür, daß viele von ihnen unter mangelnder Motivation, fehlendem Selbstbewußtsein, Konzentrationsschwierigkeiten und Versagensangst litten. Hinzu käme der Erwartungsdruck überehrgeiziger Eltern, die ihre Sprößlinge überwachten. Von der Beschallung mit Mozartmusik im Mutterleib über den Chinesisch-Kurs für Dreijährige bis hin zu Klavierstunden, Judokursen und Mathe-Nachhilfe versuchten Mama und Papa alles, um ihren Nachwuchs für die Zukunft zu wappnen. Der Autor warnt davor, daß Kinder dadurch unselbständig bleiben und die Entwick-lung von Persönlichkeit und Talenten auf der Strecke bleibt.

Statt eines rigiden Freizeitplans, bei dem die Kleinen von Termin zu Termin kutschiert werden, empfiehlt Honoré so einfache wie effektive Maßnahmen, etwa gemeinsame Mahlzeiten und Familien-Spielabende. Er rät Müttern und Vätern loszulassen und sich zu entspannen, damit sie wieder Freude an ihrem Elterndasein haben und die Kinder ihre Kindheit genießen können. Beeindruckend ist vor allem der Forschergeist des Autors. Honoré reiste um den halben Erdball, um reformpädagogische Ansätze und alternative Erziehungsideen in der Praxis zu untersuchen. So besuchte er in Italien einen kommunalen Reggio-Kindergarten, dessen erfahrungsoffenes und experimentelles Konzept mittlerweile weltweit Anklang findet.

Hier soll die Lernfreude durch Exkursionen und Projekte gefördert werden, die auf den Interessen der Kinder basieren und an alltägliche Erfahrungen anknüpfen (wie Beobachtung eines Vogelschwarms). Ateliers zu bildender Kunst und darstellendem Spiel regen die Kinder zu selbständigem Denken und kreativem Arbeiten an. Die Erzieher haben dabei nur eine unterstützende, nicht aber eine steuernde Funktion. Allen Eltern, die sich und ihren Kindern ein erfülltes Familienleben wünschen, und allen Pädagogen, die für neue Wege offen sind, sei Honorés Buch wärmstens empfohlen. Sophia E. GerberCarl Honoré: „Kinder unter Druck – Rettet die Kindheit vor Schule und Übereltern“, Fackelträger Verlag 2008, geb., 319 Seiten, 19,95 Euro