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21.02.09 / Der Fastnachtsstorch / Wenn aus einem Spocht ein Mannsbild wird und der Brummtopf lärmt und ein Storchenbiß keinen Nachwuchs bringt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-09 vom 21. Februar 2009

Der Fastnachtsstorch
Wenn aus einem Spocht ein Mannsbild wird und der Brummtopf lärmt und ein Storchenbiß keinen Nachwuchs bringt

»Fastnacht feiert jede Maus,drum bitten wir uns Ferien aus.Die bösen Raben sind gekommen Und haben uns die Bücher weggenommen.«

Etwas ratlos starrte Lehrer Breckow auf die Wandtafel, drehte sich um und blickte in eine Schar erwartungsvoll grinsender Kindergesichter. Fastnacht – ja, die stand ja heute auf dem Kalender, aber daran hatte er hier in dem kleinen, schon dicht an der russischen Grenze gelegenen Kirchdorf nicht gedacht. Ostpreußen und Fastnacht – paßte das überhaupt zusammen?

Die Geschichte, das muß zuerst geklärt werden, spielt vor dem Ersten Weltkrieg in einem Kirchdorf nördlich der Rominter Heide. Dort, wie man damals „im Reich“ zu spotten pflegte, wo sich Wolf und Fuchs Gute Nacht sagten. Der Junglehrer Wilhelm Breckow, frisch von der Präparande aus Perleberg gekommen, hatte zwar auch mit etwas Skepsis die Stelle in Wilkischken angetreten, aber sie schien ihm geeignet, die ersten Erfahrungen in dem von ihm gewählten Beruf zu erwerben. Das war ihm auch geglückt, denn eine muntere Schülerschar hatte ihm das Einleben erleichtert. Und auch die Eltern machten mit. Denn mit einem hatte der Junglehrer nicht gerechnet: mit der Gastfreundschaft der Bewohner des Kirchdorfes und der umliegenden Höfe.

Sie hatten festgestellt: „Das is e richtjer Spocht, so e Spacheister, dem pust ja der Wind durche Backen!“ Also mußte er aufgepäppelt werden, denn die Jungs und Marjellens sollten doch Respekt vor ihrem Schulmeister haben. Und dazu gehörte nun einmal auch eine kräftige Statur.So wurde der junge Lehrer rumgereicht. Überall, wo man ihn einlud, wurde kräftig aufgetischt. Aus dem Spocht wurde langsam ein richtiges Mannsbild, wie die Wilkischker zufrieden feststellen konnten. Auf das die Marjellens schon bald ein Auge warfen. So manch ein aufmunternder Blick wanderte mit den Klops- und Kumstschüsseln über den Tisch zu dem jungen Gast, und tatsächlich schien es dann auch gefunkt zu haben. Die Friedel Wallner, Tochter des Sägemühlenbesitzers, hatte es ihm angetan. Zwar saßen noch vier weitere Schwestern am schön gedeckten Tisch, aber mit der Friedel unterhielt sich Wilhelm Breckow besonders eingehend und lange. Kein Wunder, denn die Friedel war nach Ansicht der Wilkischker „sehr belesen“ und besaß ansonsten auch alles, was einem Mann gefallen konnte.

Allerdings hatte der Schulmeister auch einen Konkurrenten, einen Nachbarssohn der Wallners, der mit Friedel schon in der Sandkaule gespielt hatte. Aber der ließ auch sonst nichts anbrennen, wie es Breckow zu Ohren kam. „Für so einen ist die Friedel doch viel zu schad, dieser lange Lulatsch, der rennt doch hinter jeder Schürze her“, hatte ihm die alte Kuhnke, die im Schulhaus sauber machte, gesteckt. Das beruhigte den jungen Lehrer doch sehr.

Aber kommen wir nun zur Fastnacht, dem Fest, das dem Winteraustreiben galt, der aber in Ostpreußen noch lange nicht vorbei war. In alten Zeiten hatte man es drei Tage lang gefeiert, jetzt blieb es auf den Fastelabend beschränkt, von dessen Bräuchen der zugewanderte Lehrer keine Ahnung hatte. In Wilkischken wurde er noch gefeiert mit einem vergnügten Fastnachtstreiben der jungen Männer, die mit dem Brummtopf und verkleidet als Bär, Storch, Pracherweib und Vengtiner von Hof zu Hof zogen und die Marjellens ärgerten und piesakten.

Und nun stand da also der Spruch an der Tafel, der bewies, daß auch die kleinsten Wilkischker ihren Spaß haben wollten. Breckow bemerkte, daß keiner von seinen Schützlingen Fibel und Tafel dabei hatte. Einer der Kleinsten krähte: „Haben die Rabens alle geklaut!“ Und als der Lehrer noch immer stumm in die Runde blick­te, fühlte sich Mariechen Preuß als älteste Schülerin bemüßigt zu erklären: „Das ist doch am Faste­loawend so. Der Herr Lehrer Plickat hat uns immer nach Haus geschickt.“ Na, wenn das immer so war, konnte der neue Lehrer ja nicht anders handeln. „Also gut, Kinder, dann habt ihr heute schulfrei! Aber morgen bitte mit Tafeln und Büchern!“ Johlend stob die Bande aus dem Schulraum. Breckow überlegte: Was sollte er mit dem unvermutet freien Tag anfangen? Er beschloß, in die Kreisstadt zu fahren, um einen befreundeten Lehrer zu besuchen, der ihn schon lange eingeladen hatte.

Fastnacht feierte nicht nur jede Maus, sondern auch jeder Wilkischker. Zu Mittag gab es nach uraltem Brauch Schuppnis, diesen kräftigen Erbsenbrei mit Spirkeln und Schweinebauch. Bei Wallner kam dagegen Sauerkraut mit Fleischkrapfen auf den Tisch, ein Gericht aus der Heimat ihrer Salzburger Vorfahren. Danach hatte man eine Schlittenfahrt unternommen, auch ein alter Fastnachtsbrauch, dann sollte der Flachs gut gedeihen. Schließlich war man im Krug gelandet, wo es Kaffee und Kroffel gab, und sich die versammelten Wilkischker so langsam auf den Fastelabend vorbereitete. Auffällig war, daß sich die Marjellens im Hintergrund hielten und hinter ihren vor den Mund gehaltenen Taschentüchern kicherten

.Der erste Korn machte die Runde, als vor der Türe ein Lärmen begann. Und dann brach die wilde Jagd herein unter den ohrzerreißenden Tönen des Brummtopfes, dem Stampfen des Bären, dem Wiehern des Schimmels, dem Jammern und Heulen der übrigen Vermummten. Die überragt wurden von dem langen Storch, der mit seinem spitzen, roten Schnabel auf die Mädchen zustieß, die kreischend unter Tische und Bänke flüchteten. Eine hatte der Storch besonders ins Visier genommen: die Friedel Wallner. Er spenkerte sie aus ihrem Versteck und scheuchte sie quer durch die Wirtsstube. Ehe sie in die Arme ihres Vaters flüchten konnte, hatte der Storch sie mit seinem Schnabel in das Bein gezwickt, und zwar kräftig. Das bewies der lange Riß in dem weißen Strumpf, der sich blutrot färbte. So schnell, wie der Spuk gekommen war, so schnell war er auch vorbei. Dafür stieg der Geräuschpegel im Krug an. Nach und nach kamen die Burschen, noch mit Spuren von Ruß in den Gesichtern, Brummbaß und Fiedel klangen auf, der Fasteltanz konnte beginnen.

Als Wilhelm Breckow, wieder glücklich in Wilkischken gelandet, am Krug vorbei kam, war die Stimmung in vollem Gange. „Kommen Sie doch rein, Herr Schulmeister“, sagte Vater Wallner, der zum Verpusten vor die Türe gegangen war, „wir haben Sie schon vermißt“!

Das ließ sich der junge Lehrer nicht zweimal sagen, denn wo der Vater war, mußten auch seine Töchter sein. Die sah er dann auch unter den tanzenden Paaren, von denen Role Pätsch mit einer drallen Marjell das wildeste war. Nur die Friedel saß am Tisch neben der Mutter und sah nicht gerade glück­lich aus. Ihre Schwester Janne kicherte: „Die kann nicht tanzen, der Storch hat sie ins Bein gebissen“„Wer?“ fragte der Lehrer schockiert. „Nicht weiter sagen“, flüsterte ihm Janne ins Ohr, „das war der Role Pätsch!“ Dem armen Schulmeister begann der Kopf zu dröhnen. Was das zu bedeuten hatte, glaubte er zu wissen: seine Mutter, die Hebamme, hat dies oft gesagt, wenn sie von einer ledigen Schwangeren kam. Er ergriff den nächsten Rettungsanker, einen doppelten Korn, und faßte mit einem weiteren nach. „Ist Ihnen nicht gut, Herr Schulmeister?“ fragte eine besorgte Mädchenstimme. Und die gehörte der Friedel Wallner.

Wilhelm Breckow faßte allen Mut zusammen und sprach mit schwerer Zunge: „Fräulein Friedel, wenn Sie der Storch ins Bein gebissen hat, nehmen Sie den nicht, nehmen Sie mich!“ Es dauerte sehr lange und etliche Lagen Fastelbier, bis der Irrtum restlos geklärt war und sich in einem befreienden Gelächter auflöste. Denn auch von Seiten der Wallners hatte es Verwunderung gegeben, sogar Empörung, vor allem bei der Mutter: Wie konnte der Herr Lehrer so etwas ihrer Tochter zutrauen, vor allem noch mit dem Luntrus, dem Pätsch, und überhaupt …Ja, und überhaupt kam es an diesem Abend zur Verlobung. Und die Wilkischker konnten doppelt feiern! Ruth Geede(Spocht / Spacheister: schwächlicher Mensch, Vengtiner: Landstreicher, Kroffel: Fettgebäck zur Fastnacht, spenkern: treiben)

Foto: Der Rommelpott ist die süddeutsche Version des Brummtopfes: Der Rommelpottspieler mit 5 Kindern, 1618-1622. Bild: wikepedia


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