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28.02.09 / Schluß mit lustig!

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-09 vom 28. Februar 2009

Moment mal!
Schluß mit lustig!
von Klaus Rainer Röhl

Die Karnevalszeit teilt Deutschland in zwei Hälften. In eine, die auf den Straßen und Kneipen trinkt, singt und oft untergehakt herumhampelt, und in eine andere Hälfte, die ziemlich verständnislos am Fernsehschirm dabei zusieht. Ausweichen ist kaum möglich, denn die Übertragungen über die singenden und grellbemalten „Jecken“ machen sich auf allen Kanälen breit. Fragt sich, was ist eigentlich „jeck“ und was macht die Jecken so jeck? Schnaps, das war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort. Das ist aber nur ein Teil der Erklärung. Die andere Hälfte ist eine gewisse erotische Freizügigkeit, aus vorchristlicher Zeit als frühlingshaftes Paarungs-Fest überliefert (Saturnalien), die von der Kirche später auf die Zeit vor dem großen Fasten verlegt und so zeitlich begrenzt wurde. Du darfst! Aber nur kurz. Auch die Saturnalien und anderen Feste, bei denen es zu einer massenhaften Begegnung junger Männer und Frauen kommen sollte, benutzten Rauschmittel aller Art als Beschleuniger, Dionysos brachte dann den Wein. Auch die zeitlich begrenzte, wohl aus noch früheren Zeiten stammende Frauen-Freiheit für einen Tag ist seit der Antike belegt (siehe „Lysistrata“ von Aristophanes) und führte im 19. Jahrhundert, als man die alten Volksfeste mit parodistisch verwendeter preußischer Marschmusik, Orden- und Uniformen-Pracht wiederbelebte, zur Erfindung der „Weiberfastnacht“, der Umkehrung aller Männergewalt für einen Tag. Alice Schwarzer auf Zeit. Tatsächlich aber wachsen in Köln, Düsseldorf und Mainz immer wieder neue „lecker Mädscher“ heran, die sich massenhaft und gezielt in glaubhaft gute Laune hineinsteigern.

Was die bunten und dröhnenden Fernseh-Sendungen nicht zeigen, sind die Ausbrüche der Gewalt, die jedes Jahr zunehmen. Ausbrüche von Gewalt, besonders bei Jugendlichen, viermal so viele Fälle in Düsseldorf und Köln – und auch in Karlsruhe – wie im vorigen Jahr, wo sie schon einen Höhepunkt erreicht hatten. Massiver Alkohol-Konsum von 12jährigen, bei denen Schnaps nun wirklich ihr letztes Wort ist. „Koma-Saufen“. Keine Todesfälle bisher, aber viele Kinder, die nur durch massive ärztliche Hilfe gerettet werden konnten. Da titelte sogar die ARD in ihren Abendnachrichten „Schluß mit lustig!“ Nicht nur im Fasching hoffentlich.

Die Gewalt an unseren Schulen ist in den letzten zwei Jahrzehnten um ein Vielfaches gestiegen und steigt in jedem Monat weiter. Gewalt gegen Schwächere ohne Gnade. Gefilmt mit dem Handy. Erpressung, Körperverletzung, Bedrohung, auch gegen die Lehrer. Was ist passiert mit unseren Kindern und Enkelkindern in den letzten drei Jahrzehnten? Was für eine Generation ist da in unseren Elternhäusern und Schulen herangewachsen? Sind die Eltern schuld? Oder die Gesellschaft? Oder vielleicht doch die Video-Spiele, die sie täglich konsumieren? Wo ist die Grenze? Gewalt ohne Grenze?

Auch wir haben vielleicht mal in der Schule mit Kreide geworfen oder den Stuhl bekleckert, auf den der Lehrer sich dann gesetzt und seine Hose verschmiert hat. Haben Karikaturen an die Tafel gemalt und den Lehrer veräppelt. Aber uns wurden auch mal Grenzen gesetzt. Seit 1968 aber ist es an Deutschlands Schulen verpönt, Grenzen zu setzen. Ebenso verpönt wie es ist, Gedichte zu lernen, Geschichtsdaten zu kennen und den Mund zu halten, wenn ein anderer redet. Wissen Sie, was das bedeutet, alles zu dürfen, und nirgends ist jemand, der sagt: „Jetzt ist Schluß!“?

Wie war es noch 1967/68? Man stellte alles in Frage, fragte nach jeder Anordnung „Muß das sein?“ Oder einfach: „Ich hab kein Bock!“ Antiautoritär nannte sich die Bewegung. Sie war wahrhaftig keine Revolution der Ausgebeuteten und Entrechteten. Es war ein Aufstand, den weder soziale Not noch krasses Elend hervorgerufen hatte, sondern die in einer Epoche des höchsten Wohlstands entstanden war, den eine deutsche Gesellschaft bis dahin je erreicht hatte. So bemühte man sich, Defizite auf einem anderen als dem sozialen Gebiet aufzudecken. Alle würden, so hieß es, unterdrückt. Bald wurden die Anstrengungen, die Menschen von allen Zwängen zu befreien, flankiert von Versuchen, den „Neuen Menschen“ sozusagen heranzuzüchten. Die noch immer in allen Regionen der Bundesrepublik vorgenommene, verantwortungslose (nämlich keiner Institution verantwortliche) Kinderladen-Erziehung. Dort wurden schon ab 1968 Experimente an eigenen und fremden Kindern gemacht, die im Kern einer antihumanen Tradition zuzuordnen sind.

Dem Herumfummeln am Sozialisationsprozeß stand ein ebenso verheerendes Herumfummeln am Gewaltprivileg, ja ein Herumfummeln an Wertvorstellungen allgemein zur Seite. Entscheidende Defekte wurden damals eingeleitet: die totale Sehstörung bei der Beurteilung linken und rechten politischen Terrors – bis hin zum vorbereiteten und ausgeführten politischen Mord; die ins Ermessen des einzelnen gestellte willkürliche Interpretation des Gewaltprivilegs; der leichtfertig-antihumane Umgang mit der Unversehrtheit des Körpers anderer (einschließlich der Beliebigkeit der Diskussion über das ungeborene Leben). Hier wurde nicht nur eine „Umwertung aller Werte“ angestrebt, sondern eine Abwertung aller Wertvorstellungen betrieben.

Ein 1968 geborener Jugendpsychiater aus Bonn, selber von 68er Eltern erzogen, schlug im letzten Jahr Alarm. Michael Winterhoff. Sein Buch „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“ steht seit einem halben Jahr auf den Bestsellerlisten, der „Focus“ brachte an diesem Montag eine Titelgeschichte über ihn. Experten fordern Eltern zum Umdenken auf.

Die müde gewordenen Alt-68er denken bereits über einen Gegenschlag nach. Der Erziehungswissenschaftler und „Familientherapeut“ Wolfgang Bergmann aus Hannover hat eine Art Gegenbuch zu Winterhoffs Polemik gegen die kleinen Tyrannen unter dem Titel „Warum unsere Kinder ein Glück sind“ geschrieben, das soeben in der „Süddeutschen Zeitung“, dem heimlichen Zentralorgan aller 68er-Nostalgiker, angekündigt wird. Bergmann muß wissen, wovon er spricht: Er gründete in den siebziger Jahren den dritten „antiautoritären Kinderladen“ in Dortmund. Damals wollten sie, sagt er nun, mit den „deutsch-nationalen“ Traditionen brechen. Der ganzseitige Artikel in der „Süddeutschen“ wird mit ein großen bunten Grafik aus den Zwanzigern illustriert, die eine deutsche Hausfrau zeigt, deren Kinder stramm im Bett stehen und bei offenem Fenster Freiübungen machen müssen. Die Uhr zeigt auf sieben. Dressur, Zwang, Disziplin. Der antiautoritäre Familientherapeut beklagt, daß heute in jeder pädagogischen Buchhandlung reihenweise Bücher stünden, die Ordnung und Disziplin fordern, und zwar, weil wir unsere Rituale nicht aufgeben wollen und auch nicht unseren „deutsch-nationalen Charakter“. Die Argumente des Tyrannen-Bekämpfers Winterhoff, daß seit den Neunziger Jahren viele Menschen sich nur noch um sich selber drehen und dabei 30 Prozent aller Kinder verhaltensauffällig  wurden, „Kneipengewäsch“, Stammtisch.

Die Bücher in den pädagogischen Buchläden, die unseren Therapeuten ärgern, werden weiter verkauft. Der Trend zu mehr Erziehung und Gemeinschaftssinn ist da. Die abgestandene 68er Besserwisserei und die gescheiterte antiautoritäre Kindererziehung auch. Und der vage Faschismusvorwurf für alle Gegner.

Lesen Sie von Klaus Rainer Röhl auch „Kinder brauchen Mütter, keine Krippen“, in dem Buch „Du bist Deutschland“, München 2007.


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