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28.02.09 / Dramen oder Lustspiele? / Berühmte Liebespaare der Kulturgeschichte: Der Arzt und Dichter Anton Tschechow und die Schauspielerin Olga Knippel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-09 vom 28. Februar 2009

Dramen oder Lustspiele?
Berühmte Liebespaare der Kulturgeschichte: Der Arzt und Dichter Anton Tschechow und die Schauspielerin Olga Knippel

Er führte keine Tagebücher, nur einzelne Skizzen über sich hinterließ er. Die aufschlußreichste lautete: „Die Medizin ist meine gesetzliche Ehefrau, die Literatur meine Geliebte.“ Anton Tschechow (1860–1904) wurde in Taganrog am Asowschen Meer als dritter Sohn des Ehepaares Pavel und Evgenija geboren. Der Vater, ein freigekaufter Leibeigener, eröffnete einen Kramladen, in dem die Kinder von klein auf mitarbeiten mußten. Trotz aller Erbärmlichkeit besuchte Anton mit Hilfe ihm Wohlgesonnener das Gymnasium, bestand das Abitur und immatrikulierte sich 1879 zum Medizinstudium in Moskau, wo seine Eltern auf der Flucht vor Gläubigern eine Bleibe gefunden hatten. Gleichzeitig, mit Beginn des Studiums, begann er zu schreiben. Seine Kurzerzählungen wurden in namhaften Zeitungen veröffentlicht, zeitweilig war er als Redakteur tätig.

Sehr bald wird Tschechow „Meister der Novelle“ genannt, und zwar der schmucklosen Prägnanz des Stils wegen. Diese Sprache war ungewöhnlich, las sich spannungsreich. Seine Einkünfte überließ er der Familie: „Ich bezahle an allen Ecken und Enden, und mir bleibt nichts!“ Er ernährte sich vom Erlös der Nachhilfestunden: „Ich habe schon keinen überflüssigen Fetzen Fleisch mehr am Körper. Man sagt, ich sei abgemagert bis zur Unkenntlichkeit.“ Bei der Magerkeit blieb es; nicht aber bei der Armut.

1884 erhält Anton Tschechow das Arztdiplom und eröffnet eine Privatpraxis. Seine Beliebtheit als ärztlicher Könner und sein Ruhmesweg als Schriftsteller enthoben ihn finanzieller Sorgen. Zwei Güter wird er sich leisten: das kleine Gut Melichovo bei Moskau und ein Prachtanwesen in Jalta. Dort lebte er oft und monatelang, denn er war an Tuberkulose erkrankt. Als Arzt wußte er, daß diese Krankheit – zur damaligen Zeit – mit dem Tod endet. Vor Außenstehenden spielte er sein Leiden herunter. Nur wenigen gab er kund, daß er „manchmal“ Blut huste.

Ab 1887 beginnt er Schauspiele zu schreiben. Er hat sein für ihn gültiges Ausdrucksmittel gefunden. „Ivanov“, „Der Bär“, „Der Waldschrat“ begründen seinen Ruhm. Mit „Die Möwe“, „Onkel Vanja“, „Drei Schwestern“, „Der Kirschgarten“ schreibt er Weltliteratur. Über die Aufführungen seiner Stücke war er entsetzt. Das lag an einem grundlegendem Mißverständnis zwischen ihm, den Schauspielern und dem Publikum. Tschechow hegte die Überzeugung, über den Niedergang des russischen Land-Kleinadels, der den feudalen Hochadel in Sprache und Gestik kopierte, „Komödien“ geschrieben zu haben. Man sollte über die „Nachäffer“, die einer nach dem anderen verarmten und ihre Güter an „klassenlose Emporkömmlinge“ verkaufen mußten, lachen. So kommt es bei einer Lesung der „Drei Schwestern“ 1900 in Moskau zum Eklat. Die Schauspieler weinen beim Lesen des „düsteren“ Textes. Einer belehrt Tschechow, daß er ein „Drama“ geschrieben habe, kein „Lustspiel“. Wutentbrannt verläßt Tschechow die Runde. Aber fortan wird er seine Schauspiele „Dramen“ oder „Tragikomödie“ nennen.

Doch bei aller Wut hatte er von einer jungen Schauspielerin kein Auge gelassen: Olga Knippel. Mehrere Beziehungen lagen hinter dem Vierzigjährigen. Nie hatte es zur Ehe gereicht. Jetzt wurde ihm bewußt, daß er schick-salhaft liebte. Schon bald fragte er sie, ob sie einen Lungenkranken heiraten würde.

„Warum nicht?“ erwiderte Olga. „Tuberkulose ist ansteckend“, warnte Tschechow. „Nicht, wenn man liebt. Liebe macht gefeit“, äußerte Olga lakonisch. „Dann sei mir gegrüßt, du letzte Seite meines Lebens“, war Tschechows Antwort.

Sie heirateten in einer kleinen Moskauer Kirche. Tschechow bestand darauf, daß Olga Schauspielerin blieb. Nach seinem Tode würde sie ihre Aufgabe fortführen, beansprucht sein, sich nicht in Erinnerungen verlieren. Diese Entscheidung hatte zur Folge, daß sie getrennt lebten. Olga in Moskau, er – seiner Krankheit halber – in Italien oder Jalta.

Zu ihrer Rolle als „Mascha“ in „Drei Schwestern“ riet er ihr: „Denke daran: Du äffst höhere Gesellschaft nach. Sprich nicht melancholisch.“

Giga versprach es; halten konnte sie es nicht. Sie glitt in die Tragik des Textes: „Wenn man das Glück immer nur in Unterbrechungen, stückchenweise zu fassen kriegt und es dann verliert…“

In Nizza las Tschechow über den grandiosen Premierenerfolg. Postwendend schrieb er ihr, daß er Sehnsucht habe: „Ich bin doch verheiratet! Ich möchte ab und zu meine Frau sehen.“

Gelegenheit dazu boten jederzeit das Klima Jaltas und die prachtvolle Häuslichkeit. Noch eine weitere Gelegenheit längeren Zusammenseins ergab sich, die allerdings mit unaufschiebbarer Notwendigkeit verbunden war.

Beide reisten 1904 nach Deutschland. Tschechow wollte sich in Badenweiler einer vielversprechenden Kur unterziehen. Es ging ihm miserabel, doch das gab er nicht zu. Auch Olga ließ sich durch Tschechows Heiterkeit täuschen. Der Chefarzt suchte Tschechow auf: „Verehrter Herr Tschechow“, begann er. „Ich weiß“, fiel ihm Tschechow ins Wort.

Spät am Abend bestellte er Champagner: „Laß und fröhlich sein, Olga. Ich habe für dich heute eine Humoreske geschrieben. Niemand soll sagen, ich könne nichts Lustiges zu Papier bringen. Ich lese es dir vor! Aber erst: Zum Wohl!“

Ungläubig lauschte Olga. Hellauf lachte sie, immer wieder! Mitten in ihrem Lachen starb Tschechow.      Esther Knorr-Anders


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