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07.03.09 / Täter und Opfer erklären sich / Menschen hinter dem Ministerium für Staatssicherheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-09 vom 07. März 2009

Täter und Opfer erklären sich
Menschen hinter dem Ministerium für Staatssicherheit

„Die Akte ist ausgesprochen ordentlich geführt. Auf Hunderten von Seiten deutsche Gründlichkeit. Die Rede ist von Aktenführern, Vorgängen, Treffberichten, Maßnahmen, Einschätzungen, Auszeichnungen. Es ist ein Wust aus Formeln und Fakten. So wird ein Mensch vom Schreibtisch aus geführt und eingeschätzt. Tanjas Überleben in den Stasi-Karteien ist einem reinen Zufall zu verdanken … Tanja war Spionin. Sie kam aus dem Osten, um den Westen auszukundschaften.“ Der Fernseh-Journalist Christhard Läpple hat sich beruflich bereits mehrfach mit dem Thema Kalter Krieg und der Ost-West-Teilung Deutschlands befaßt. In „Verrat verjährt nicht – Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land“ erzählt er die Lebenswege von sechs Menschen, die auf Seiten der Täter agierten oder auf der der Opfer standen. Doch genau wie sich die einstige Agentin Tanja inzwischen von ihrem Schwarz-Weiß-Denken verabschiedet hat, muß der Leser der vorliegenden Ausführungen sich auch vom reinen Gut-und-Böse-Schema lösen. Vor allem im Falle Tanjas paßt es nicht. Die junge Frau war Idealistin, total verblendet und indoktriniert … und sie stellt sich in diesem Buch ihrer Vergangenheit. Für die Arbeit an dieser Veröffentlichung hat sie dem Autor ihre Geschichte erzählt, so daß er die bereits durch ihre Stasi-Akte erlangten Informationen in einen Zusammenhang einordnen konnte.

Interessant ist, daß Tanja, die beim Westdeutschen Fernsehen als Praktikantin eingeschleust worden war, gerade dort ein Schlüsselerlebnis hatte. „Vertriebene? Tanja bereitet bereits das Wort Bauchschmerzen. Vertriebene ist ein Kampfbegriff des Westens. Diese Menschen sind an ihrem Schicksal selbst schuld, findet sie. Es war die unvermeidbare Folge eines verbrecherischen Krieges, der notwendige Preis für Hitler, Faschismus und Völkermord. Vertriebene existieren nicht in Tanjas Vorstellungswelt, höchstens als Trachten tragende verbohrte Funktionäre von vorgestern, die mit nationalsozialistischem Getöse der DDR nach dem Leben trachten. Nun liest sie Aufzeichnungen, Protokolle, Tagebücher. Mit jedem Satz dieser Geschichten von Menschen, die unter Lebensgefahr geflüchtet sind oder vertrieben wurden, stößt Tanja in fremde Gefilde vor. Tanja erfährt von Not, Hunger und Elend. Derartiges hat sie noch nie gelesen … Aus Tätern und Mitläufern werden Menschen mit Gesichtern. Sie ist verunsichert, ihr Weltbild erweitert sich um neue Bilder, Töne, Eindrücke.“

Läpple belegt anhand der Akte Tanjas, wie die Mitarbeiter der Stasi bemerken, daß ihnen ihre sowieso schon nicht überragende Agentin entgleitet. Die Bemerkungen zum Fall Tanja entlarven, wie das System des MfS damals funktionierte.

Im Gegensatz zu Tanja ist Johannes Diba ein Profi. Eiskalt bespitzelt er sein Umfeld. „Die Verpflichtung war für mich ein rein formaler Akt. Ich gebe zu, ich habe alles absolut freiwillig gemacht ….“ Auf die Frage, ob er Verrat begangen habe, antwortet Diba: „Verräter ist ein törichtes Wort, … Was heißt ehrlich sein? Für andere Menschen war meine Tätigkeit möglicherweise Verrat … Es gibt zwei Seiten des Verrats, eine subjektive und eine objektive. Es gibt einen klaren Unterschied zwischen politischem und moralischem Verrat.“ Auf die Frage, wie sich der Agent mit Leib und Seele nach der Wende gefühlt habe, erwidert er pragmatisch: „Man müsse neue Chancen erkennen und nutzen, das sei seine Devise.“

Im Gegensatz zu Tanja ist Diba absolut nicht sympathisch. Auch sind seine Beweggründe andere, trotzdem bezieht der Autor bewußt nicht Position. Allerdings merkt er an, daß ihm aufgefallen sei, daß Männer und Frauen allgemein unterschiedlich auf die Welt der Bespitzelung reagiert hätten. So sei der Sozialismus früher oder später am weiblichen Wahrheitssinn zerbrochen. „Die meisten Männer, die früher als ,Fliegenfänger‘ des Sicherheitsministeriums im Einsatz waren, tun sich im Gegensatz zu den Frauen weitaus schwerer damit, offen zu sein.“ Außerdem verharmlosen sie ihre eigene Rolle im Spiel des MfS. So beispielsweise Georg Brühl. „Ich hatte immer die Meinung, daß ich nur Zulieferer zu bereits bekannten Erkenntnissen war.“ Er habe nie Leuten schaden wollen. Dies wiederum dürfte Dieter Wolter anders sehen, der durch Informationen, die Menschen wie Brühl dem MfS lieferten, viele Jahre wie ein Verbrecher hinter Gitter kam.

Opfer und Täter werden in dem Buch vorgestellt, doch leider sind die Fälle unabhängig von einander, so daß die Schuld der Täter nicht zu personifizieren ist.

Irritierend ist, daß der Autor stets betont, die Namen geändert zu haben. Gleichzeitig geht er aber dermaßen detailliert auf das Berufs- und Privatleben der von ihm Porträtierten ein, daß es eigentlich nicht schwer sein dürfte, sie zu identifizieren. Diese sechs Personen sind jedoch die wenigen von zahlreichen Befragten, die bereit waren, ihre Geschichte zu erzählen. „Viele spannende und aussagekräftige Fälle konnten nicht erzählt werden. Persönlichkeitsrechtliche Einwände oder entsprechende juristische Schritte, auch von Randfiguren, haben eine Veröffentlichung zu verhindern gewußt.“ Daher ist es jenen, die sich geäußert haben, besonders hoch anzurechnen. „Menschen sollten sich erklären können, ohne Druck, Quote oder Schlagzeilen machen zu müssen“, so Läpple, dem es mit dem vorliegenden Buch gelungen ist „Akten sprechen zu lassen“.    R. Bellano

Christhard Läpple: „Verrat verjährt nicht – Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land“, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, geb., 349 Seiten, 19,95 Euro


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