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21.03.09 / Noch vor dem Krieg zurückgegeben / Die erste Periode litauischer Herrschaft im Memelland währte von 1923 bis März 1939 – Zwölf Jahre unter Kriegsrecht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-09 vom 21. März 2009

Noch vor dem Krieg zurückgegeben
Die erste Periode litauischer Herrschaft im Memelland währte von 1923 bis März 1939 – Zwölf Jahre unter Kriegsrecht

Nach dem Zusammenbruch des besiegten deutschen Kaiserreichs beanspruchten Polen wie auch Litauen ab 1919 die nordöstlichste Region des Reichs für sich. Diese Forderungen wurden von den Siegermächten abgewehrt. Stattdessen dachten sie sich etwas aus, was in ihren Augen ein Kompromiß zwischen den Ansprüchen war.

Das Memelland mit seinen 142000 Bewohnern wurde gemäß Artikel 99 des Versailler Vertrags zugunsten der alliierten und assoziierten Hauptmächte abgetrennt und war damit nicht mehr Teil des Deutschen Reichs. Obwohl seine Bevölkerung je zur Hälfte Deutsch und Litauisch sprach, hatten 90 Prozent eine deutsche Identität, waren mehr als 95 Prozent evangelisch, während Litauen katholisch war. Das Gebiet wurde nunmehr erstmalig in der Geschichte als Memelgebiet bezeichnet.

Das Memelgebiet wurde mit Mandat des Völkerbundes unter französische Verwaltung gestellt. Mit Inkrafttreten des Versailler Vertrages zum 10. Januar 1920 wurde diese sogenannte Schutzherrschaft eingerichtet. Ab dem 10. Januar 1923, gleichzeitig mit der Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien, besetzten über 1000 bewaffnete Litauer im Handstreich das Memelland. Die Annexion des Memellandes durch die Republik Litauen geschah vor dem Hintergrund, daß damals die Idee zunehmend an Kontur gewann, analog zur Freien Stadt Danzig einen Freistaat Memel zu schaffen. Bei der Realisierung dieser Idee, hätte Litauen auf absehbare Zeit die Aussicht auf die Souveränität über das Gebiet verloren gehabt.

Das Vorgehen Litauens richtete sich primär gegen polnische Bestrebungen, und gewisse Vorabsprachen mit dem Deutschen Reich und mit der Sowjetunion sind wahrscheinlich. Einigen Quellen ist zu entnehmen, daß die Besetzung bereits im Herbst 1922 durch die litauische Regierung entschieden wurde. Die Umsetzung analog zu Oberschlesien als sogenannten Aufstand zu deklarieren diente der Vorbereitung einer völkerrechtlichen Argumentationskette, um die wahre Verantwortung zu verschleiern.

Der Oberkommissar Gabriel Petisné veröffentlichte im Namen der Alliierten Mächte am 16. Januar 1923 in Memel: „… Ich erkläre ausdrücklich, daß die Alliierten Mächte auch weiterhin beabsichtigen, ihre Autorität über das Gebiet auszu­üben.“ Die ständige Botschafterkonferenz der Siegermächte legte Protest gegen Litauen ein. Trotz Bedenken gaben die Siegerstaaten jedoch nach und übertrugen Litauen bereits am 16. Februar 1923 die Souveränität über das Memelgebiet. Die Bevölkerung des Memellandes wurde nicht gefragt.

Da der Staat Litauen im Versailler Vertrag nicht genannt ist, bedurfte es einer vertraglichen Grundlage. Am 8. Mai 1924 wurde namens des Völkerbunds mit Litauen eine „Konvention über das Memelgebiet“ (kurz: Memelkonvention) geschlossen. Als Anhang I. beinhaltet sie ein „Statut des Memelgebiets“, das die Republik Litauen in Kraft zu setzen hatte. Gemäß Absatz 1 war danach in „Verwirklichung des weisen Entschlusses, dem Memelgebiet Autonomie zu gewähren und die überlieferten Rechte und die Kultur seiner Bewohner zu sichern; … dem Memelgebiet eine Verfassung einer autonomen Einheit zu gewähren“. Eine Volksabstimmung, wie sie 1920 in den anderen ost- und westpreußischen Grenzgebieten durchgeführt wurde, blieb der Bevölkerung des Memelgebiets jedoch versagt.

Das Land regierte sich, so zumindest die Vorgabe, durch ein Direktorium selbst. Gesetze sollten durch den Memeler Landtag erlassen werden, die litauische Regierung war durch einen Gouverneur mit einem Vetorecht im Memelland vertreten. Die Bewohner des Memelgebiets wurden gemäß der Konvention zu litauischen Staatsbürgern. Hierzu heißt es in Artikel 8, Absatz 1: „Die früheren deutschen Staatsangehörigen, die am Tage der Ratifizierung dieses Abkommens durch Litauen über 18 Jahre alt sind ..., erwerben ohne weiteres (ipso facto) die litauische Staatsangehörigkeit.“ und Absatz 3: „Personen, die aufgrund dieses Artikels die litauische Staatsangehörigkeit erwerben, erwerben ohne weiteres (ipso facto) auch die Eigenschaft eines Bürgers des Memelgebiets.“ In den Personaldokumenten wurde folglich die Staatsbürgerschaft Litauer mit dem Zusatz „Bewohner des Memellandes“ ergänzt. Die deutsche und die litauische Sprache waren gleichberechtigt als Amtssprache festgeschrieben.

Unterschiedliche Wahrnehmungen, Interpretationen und unerfreuliche Auseinandersetzungen kennzeichneten die folgenden Jahre für die Bewohner des Memelgebiets. So wurde von litauischer Seite den memelländischen Bewohnern und ihrer Vertreter mangelnder Integrationswille und Illoyalität vorgeworfen. Vertreter der Memelländer beklagten hingegen andauernde Zuwiderhandlungen gegen die Festlegungen der Memelkonvention.

Die Umstände und Widerstände führten zu immer härteren Maßnahmen. Im Jahr 1926 wurde der Kriegszustand über das Memelland verhängt. Er dauerte bis zum 1. November 1938, wobei ein litauischer Kriegskommandant unter anderem auch den Landtag auflöste sowie Parteien und Zeitungen verbot.

Der Landtag des Memelgebietes wandte sich am 28. August 1930 mit einer Beschwerdeschrift an den Völkerbund in Genf. Die Schrift beginnt mit den einleitenden Sätzen: „Der Landtag des Memelgebietes sieht sich gezwungen, sich an die Hohen im Völkerbund vertretenen Mächte mit der Bitte um Hilfe zu wenden. Das Memelgebiet steht in Gefahr, seine ihm von den Alliierten und Assoziierten Mächten verliehenen und unter den Schutz des Hohen Rates des Völkerbundes gestellte Autonomie zu verlieren.“

Obwohl man den Signatarmächten der Memelkonvention eher Litauen- denn Deutschfreundlichkeit nachsagen kann, waren sie es, aufgrund deren Klage es im August 1932 sogar zu einer Verhandlung beim Haager Ständigen Internationalen Gerichtshof zur Auslegung der Statuten für das Memelgebiet kam.

Gegen 126 Mitglieder von memeldeutschen Parteien begann am 14. Dezember 1935 in Kaunas ein (Einschüchterungs-)Prozeß vor dem obersten Kriegsgericht. Auch der politische Druck wurde immer unerträglicher, so verwundert es nicht, daß der Ruf nach Rückgliederung an Ostpreußen und das wiedererstarkte Deutsche Reich immer lauter wurde. Politiker und Persönlichkeiten des Memelgebiets wie der spätere erste Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen Ottomar Schreiber versuchten damals das Schicksal trotz Kriegszustand und Vetorecht auf geradem Kurs zu steuern. Aufgrund unterschiedlicher Auffassungen jedoch lange Zeit ohne nennenswerte Erfolge. Die Parteien Christlich-Sozialistische Arbeitsgemeinschaft (CSA) und Sozialistische Volksgemeinschaft (Sovog) versuchten mit nationalsozialistischer Unterstützung die Rück­führung zu beschleunigen.

Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gab Litauen das Memelland am 22. März 1939 dann doch noch an das Deutsche Reich zurück – allerdings nicht aus Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, sondern als Gegenleistung für deutsches Wohlwollen. Warum den Litauern damals deutsches Wohlwollen derart viel wert war, lesen Sie in der PAZ vom kommenden Sonnabend.          Hans-Jörg Froese

Foto: Litauisches Militär räumt die Kaserne in Memel für deutsche Soldaten: Mit diesem Wechsel endeten zwei Jahrzehnte Fremdherrschaft im nordöstlichsten Teil Ostpreußens.


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