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28.03.09 / Das Ende der Bescheidenheit / Vor 50 Jahren hielt man in Nachkriegsdeutschland die Welt reif für den Mercedes 600

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-09 vom 28. März 2009

Das Ende der Bescheidenheit
Vor 50 Jahren hielt man in Nachkriegsdeutschland die Welt reif für den Mercedes 600

Der Kaiser hatte einen, die Kanzler der Weimarer Republik ließen sich damit chauffieren, und auch die Größen des NS-Regimes wußten ihn zu schätzen. Konrad Adenauer dagegen mußte wie Theodor Heuss auf eine spezielle Staatslimousine der schwäbischen Autoschmiede Mercedes-Benz verzichten. Für ihn gab es lediglich einen 300er aus der Serienfertigung.

Vor dem Krieg hatte Mercedes-Benz mit seinen technisch überlegenen Großfahrzeugen international die automobile Spitzenklasse dominiert. Nach dem verlorenen Krieg fiel diese Führungsrolle zunächst den britischen und US-amerikanischen Edelschmieden zu, die in diesem Segment den Weltmarkt beherrschten. Die Entwicklung eines deutschen Repräsentationswagens, eines neuen Leitbildes im internationalen Automobilbau, wäre seitens der „siegreichen“ Konkurrenz als Affront empfunden worden. Mehr als zehn Jahre nach Kriegsende war es jedoch an der Zeit, die Leistungsfähigkeit der deutschen Autoindustrie mit einem Automobil der Spitzenklasse unter Beweis zu stellen. Entsprechende Pläne der schwäbischen Autobauer wurden nicht nur von der Fachwelt, sondern auch von der Öffentlichkeit und der Bundesregierung begrüßt, würde dadurch doch auch das Renommee der Bundesrepublik Deutschland als Industrienation gestärkt werden.

Damit waren die Weichen für die Entwicklung eines Mercedes-Spitzenfahrzeuges gestellt. Der neue „Groß- und Repräsentationswagen“ sollte nach dem Willen des Daimler-Benz-Vorstandes „der neue Botschafter, der Deutschland im Kreise exklusiver Automobile vertritt“ und eine „Dokumentation des Leistungswillens und der technischen Fähigkeiten seines Herstellers“ werden. Im Frühjahr 1956 erhielt ein Entwicklungsteam den Auftrag, den neuen Mercedes 600 zu projektieren. Dabei waren die Ingenieure an keinerlei Vorgaben oder Einschränkungen gebunden. Sie mußten weder auf Teile aus der Großserie zurück­greifen noch sich an den technischen Standards der internationalen Automobil-Elite orientieren. Selbst der wirtschaftliche Erfolg des neuen Typs spielte keine Rolle. Einziges Ziel war die Schöpfung des absoluten Flaggschiffes der Mercedes-Flotte.

Vor 50 Jahren, im März 1959 waren die Formfindung und die technische Entwicklung weitgehend abgeschlossen, so daß die ersten „Erlkönige“ zur praktischen Erprobung auf die Straße ge­schickt werden konnten. Um ein technisch voll ausgereiftes Produkt ohne die sonst bei neuen Modellen üblichen Anfangsmängel auf den Markt bringen zu können, wurde der Wagen vier Jahre lang auf Herz und Nieren getestet. Im September 1963 wurde das serienreife Modell der Öffentlichkeit vorgestellt und ab März 1964 ausgeliefert. Nur wer mindestens 15 Jahre „beim Daimler geschafft“ hatte, wurde in das kleine Fertigungsteam für den 600er aufgenommen, das überwiegend in Handarbeit produzierte.

Der Mercedes 600 war eine Edellimousine von klassischer Eleganz und schlichter Linienführung mit perfektem Ausstattungskomfort. Zunächst nur viertürig erhältlich, folgten bald eine verlängerte Pullmann-Version, ein Sechstürer und schließlich das Pullmann-Landaulet, bei dem das Dach über der hintersten Sitzreihe wie bei einem Cabriolet geöffnet werden konnte. Triebwerk und technische Anlagen des innovativen Technologieträgers waren in jeder Hinsicht richtungsweisend. Für das Interieur wurden edelste Materialien in klassischer Handwerkskunst verarbeitet. Trotz seiner hohen Motorleistung von 250 PS und seiner Größe verfügte der Wagen über hervorragende Fahreigenschaften. Die internationale Fachpresse war sich einig: Hier rollte „das beste Auto der Welt“.

Als Regierungsfahrzeug und neues Statussymbol der Mächtigen und Reichen erfreute sich der Mercedes 600 großer Beliebtheit. Insgesamt wurden 2677 Fahrzeuge ausgeliefert. Ende der 1970er Jahre ließen veränderte Ansprüche an das Design und den Energieverbrauch den 600er indes als nicht mehr zeitgemäß erscheinen. 1979 wurde er aus dem Verkaufsangebot genommen. Nur noch einige Einzelaufträge wurden abgearbeitet. Die letzten beiden Fahrzeuge liefen 1981 vom Band und verblieben im Werksbesitz. Das Ende des „Großen Mercedes“ war gekommen. Überlegungen, ein Modell der Großserienfertigung zu einem Repräsentationsfahrzeug zu veredeln, wurden als halbherzig verworfen.

Um nicht gegenüber Rolls Royce und Bentley ins Hintertreffen zu geraten, ging Daimler später einen neuen Weg. Seit 2002 bietet der Konzern unter dem aufgekauften Markennamen „Maybach“ Fahrzeuge einer exklusive Eigenmarke oberhalb des Spitzenmodells der hauseigenen S-Klasse an, so daß „Made in Germany“ auch in diesem Segment wieder vertreten ist. Der Mythos des „Großen Mercedes“ ist jedoch ungebrochen.                     

Jan Heitmann

Foto: Mercedes 600: Im März 1959 waren die Formfindung und die technische Entwicklung weitgehend abgeschlossen.


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