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04.04.09 / »Möglichkeiten sind bald ausgereizt« / Professor Kai Carstensen über die weltweite Wirtschaftskrise – Große Unterschiede von Land zu Land

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-09 vom 04. April 2009

»Möglichkeiten sind bald ausgereizt«
Professor Kai Carstensen über die weltweite Wirtschaftskrise – Große Unterschiede von Land zu Land

Wie geht es weiter mit Wirtschaftswachstum, Inflation und Beschäftigung? Als Leiter der Abteilung Konjunktur und Befragungen des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München gehört Kai Carstensen zu den bekanntesten Konjunkturexperten in Deutschland. Konrad Badenheuer interviewte ihn exklusiv für die Preußische Allgemeine Zeitung.

PAZ: Herr Professor Carstensen, die deutsche Wirtschaft befindet sich im schwersten Abschwung seit 1945. Wie tief werden wir in diesem Jahr fallen?

Kai Carstensen: Vor der Gemeinschaftsdiagnose der Institute am 23. April wird das ifo-Institut keine öffentliche Prognose machen. Schon jetzt kann aber gesagt werden, daß wir in diesem Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) von über vier Prozent erwarten.

PAZ: Sind in der aktuellen Lage überhaupt Vorhersagen möglich?

Carstensen: Prognosen bleiben möglich, nur ist ihre Unsicherheit größer als in normalen Zeiten.

PAZ: Ausgerechnet das Institut, das im vergangenen Jahr am weitesten danebenlag, das Berliner DIW, hat vor einigen Monaten gefordert, gar keine Prognosen mehr zu stellen…

Carstensen: … in der Tat ein merkwürdiges Verhalten, zumal das DIW weiterhin munter Prognosen abgibt.

PAZ: Was sollte die Bundesregierungen momentan tun?

Carstensen: Zwei Konjunkturpakete sind bereits verabschiedet. Es hätte keinen Sinn, ein drittes Paket auf den Weg zu bringen, bevor die beiden ersten ihre volle Wirkung auf die Nachfrage entfalten, etwa im Bereich des Straßenbaus.

PAZ: Ist die Abwrackprämie die einzige Maßnahme, die jetzt schon wirkt?

Carstensen: Hier ist die öffentliche Aufmerksamkeit größer als die Wirkung. Aber natürlich profitieren Autohändler und einige Hersteller. Doch auch dort, wo es bisher nur Ankündigungen gibt, haben die Programme schon positive Auswirkungen. Wir beobachten beispielsweise eine Stabilisierung der Erwartungen in der Bauwirtschaft, auch wenn erst später Geld fließt.

PAZ: Welche weiteren Optionen verbleiben der Bundesregierung?

Carstensen: Der – neben der Bankenrettung – wohl erfolgversprechendste Ansatzpunkt zur konjunkturellen Stabilisierung und Wachstumsförderung ist die Aufstockung der öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur – Schulen, Verkehrswege, Kommunikationsinfrastruktur. Zugegebenermaßen sind die Möglichkeiten in diesem Bereich aber schon zu einem großen Teil ausgereizt. Sinnvoll ist außerdem die Entlastung der Beschäftigten bei Steuern und Abgaben, Stichwort „mehr netto vom brutto“.

PAZ: Notfalls auch auf Pump?

Carstensen: Momentan geht es nicht anders, aber vertretbar ist das in der Tat nur, wenn gleichzeitig wirksame Festlegungen zur Haushaltskonsolidierung auf mittlere Sicht beschlossen werden. Sonst sind die Optionen der Regierung in der Tat begrenzt. Allerdings muß man sehen, daß das deutsche Maßnahmenpaket und auch die Programme anderer EU-Länder kaum kleiner sind als das der USA. Dessen enorm großes Volumen bezieht sich nämlich auf die Jahre bis 2018 und ist in diesem Jahr gar nicht so groß. Hinzu kommt, daß in Deutschland und anderen EU-Ländern auch ohne Regierungshandeln sogenannte automatische Stabilisatoren wirken: Auch steigende Sozialausgaben stabilisieren die Konjunktur. Das gibt es in den USA viel weniger und in China so gut wie nicht.

PAZ: Stichwort China. Die Regierung in Peking gab sich zuletzt sehr selbstbewußt. Schon ab Sommer könne es dort wieder aufwärts gehen. Ist dieser Optimismus begründet?

Carstensen: Für China kommt es entscheidend auf die Entwick-lung des Binnenkonsums an. Die Exporte in die USA und in andere Länder brechen weg und müßten durch Binnennachfrage ersetzt werden. Die Ausgangslage ist also ganz anders als in den USA, die von der Nachfrageseite her sanieren müssen. Während die USA ihre bisher zu einem großen Teil kreditfinanzierte Nachfrage reduzieren müssen, steht China vor der Aufgabe, mit vorhandenen finanziellen Reserven für vorhandene eigene Produktionen Nachfrage zu schaffen. Auch das ist aber nicht einfach, und aktuell droht in China Unterbeschäftigung für viele Millionen Wanderarbeiter.

PAZ: Die Bevölkerung Chinas wächst um nur noch 0,6 Prozent pro Jahr, dennoch sagt die Regierung in Peking, ohne ein Wachstum von etwa acht Prozent drohten soziale Unruhen. Wie gehen diese Zahlen zusammen? Auch mit vier Prozent würde der Wohlstand doch noch spürbar wachsen?

Carstensen: Das Problem ist der enorme Produktivitätszuwachs in vielen Bereichen. Wenn beispielsweise in der Landwirtschaft ein moderner Traktor Dutzende Pflüger mit Wasserbüffeln ersetzt, eröffnet der damit verbundene Produktivitätssprung zwar die Aussicht auf höheren Wohlstand, aber zunächst entsteht Unterbeschäftigung.

PAZ: Aber China hat riesige Mittel, mit denen es die Folgen der Krise abmildern kann…

Carstensen: Die Zentralbank verfügt allein über knapp zwei Billionen US-Dollar. Aber von diesen großen Guthaben kommt das Land so leicht nicht herunter. Würde es zu verkaufen beginnen, würde der Dollarkurs sehr schnell fallen und den verbliebenen Bestand teilweise entwerten.

PAZ: Wie dramatisch schätzen sie die massiv expansive Geldmengenpolitik – im Volksmund: das Gelddrucken – der US-Notenbank ein? Bekommen wir eine große Inflation im Dollar?

Carstensen: Die erste Folge dieser Politik, die wir bereits sehen, ist der Rückgang des Außenwerts des Dollars. Ein sinkender Dollarkurs ist für die USA angesichts des Leistungsbilanzdefizits aber sinnvoll, er erleichtert die Exporte der USA und bremst die Importe. Das ist sinnvoll, auch wenn es den Exporteuren im Euroraum zunächst das Leben erschwert. Was die Wirkung im Inneren angeht, so halte ich die Risiken der Geldmengenpolitik der USA für noch beherrschbar. Ben Bernanke ist ein angesehener Experte für Geldpolitik und sogar einer der international führenden Experten für die Große Depression der Jahre nach 1929. Er ist mit guten Gründen der Überzeugung, daß die damalige Krise vor allem wegen einer zu restriktiven Geldmengenpolitik der Notenbank die späteren katastrophalen Ausmaße annahm. Diesen Fehler soll die Fed nach dem Willen Bernankes auf keinen Fall wiederholen.

PAZ: Aber um welchen Preis? Bernake versichert, er könne aufkommende Inflationsgefahren beherrschen. Wie anders soll das gehen als durch rapide höhere Zinsen und eine Verkleinerung der Geldmenge, indem die Fed in kurzer Zeit einen großen Teil der Papiere wieder abstößt, die sie gegenwärtig in ihre Bilanz nimmt?

Carstensen: Das würde in der Tat notwendig, sobald das Wachstum in den USA wieder beginnt. Die Widerstände werden gewiß enorm sein, weil der Vorwurf absehbar ist, es dürfe nicht das zarte Pflänzchen der Konjunkturerholung zertreten werden.

PAZ: Läßt sich ein Zeitpunkt abschätzen, an dem die Fed das Steuer der Geldmengenpolitik wieder herumreißen müßte?

Carstensen: Das ist schwer zu sagen, weil immer noch nicht alle Risiken bei den Banken bekannt sind, weder die schon jetzt bestehenden noch die durch die Rezession neu aufkommenden. Ich persönlich gehe davon aus, daß die Zinsen auf Dollaranlagen im Jahre 2010 wieder deutlich höher sein werden als heute. Ein entsprechender Druck kommt ja auch von Seiten der Staatsanleihen. Mir ist nicht recht klar, warum US-Bonds noch so problemlos ihre Abnehmer im Ausland finden, wo zum Inflationsrisiko das Wechselkursrisiko hinzukommt. Hier wären schon jetzt eigentlich deutlich höhere Risikozuschläge und damit höhere Zinsen zu erwarten.


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