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04.04.09 / Das Grundgesetz umbauen / Der Chef der Türkischen Gemeinde erklärt, was Deutschland an seiner Verfassung ändern soll

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-09 vom 04. April 2009

Das Grundgesetz umbauen
Der Chef der Türkischen Gemeinde erklärt, was Deutschland an seiner Verfassung ändern soll

Türkische Lobbygruppen wollen das 60. Jubiläum des Grundgesetzes nutzen, um ihre sehr eigenen Anliegen voranzubringen. Der türkischstämmige Theaterregisseur Telat Yurtsever hält das egoistische Treiben der Lobbyisten für integrationsschädlich.

Es gibt inzwischen die albernsten Jahrestage, die gefeiert werden – und zwar meistens auf Kosten des Steuerzahlers. Dieser hier wurde von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung finanziert und war besonders bemerkenswert: Zwei Monate vor dem eigentlichen Jubiläum lud die „Türkische Gemeinde“ Ende März ins Rote Rathaus, um den 60. Jahrestag des Grundgesetzes zu begehen. Die Frage, warum türkische Vereinigungen ihren eigenen Empfang zum deutschen Grundgesetz geben, noch dazu lange vor den eigentlichen Feierlichkeiten, drängt sich zwar auf, blieb aber unbeantwortet bei der Feierstunde. Dennoch gab es ein Stelldichein führender Vertreter des deutschen Staates wie zum Beispiel Hans-Jürgen Papier (Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Festredner), Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD).

Die „FAZ“ urteilte, Kenan Kolat, der Chef der „Türkischen Gemeinde“, habe „die Karikatur eines jammernd-fordernden Verbandstürkentums“ produziert, „das im Integrationsprozeß mehr Problem als Lösung ist und dies auch sein will“. Kolat präsentierte in seinem persönlichen „Festvortrag zum Grundgesetz“ eine längere Vorschlags- und Forderungsliste: Der Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3) solle um ein Diskriminierungsverbot ergänzt werden. Auch die Artikel 4, 6 und 7 sollten geändert oder zumindest anders interpretiert werden. Außerdem müsse endlich das Ausländerwahlrecht her, auch für Nicht-EU-Ausländer. Kolats Ausführungen zum deutschen Religionsunterricht seien gar „einer Atatürk-Feier würdig“ gewesen, staunte die sonst so zurückhaltende „FAZ“.

Deutschland und seine Türken. In Berlin sind sie die größte Gruppe von Ausländern mit etwa 115000 Personen, trotz Zehntausender Einbürgerungen. Jeder vierte Einwanderer in der deutschen Hauptstadt stammt vom Bosporus. Aber das Zusammenleben läuft nicht immer reibungslos.

Jahrelang hieß es, die türkischen Neuberliner seien ausschließlich eine kulturelle Bereicherung. Sonst nichts. Kritiker dieser allzu sonnigen Sicht, die frühzeitig auf Integrationsprobleme, auf Jugendbanden, die viel zu hohe Arbeitslosigkeit oder einen viel zu niedrigen Bildungsgrad junger Türken hinwiesen, wurden schnell in der Schublade „unverbesserlich, ausländerfeindlich“ entsorgt.

Dann zerschnitten fast zeitgleich die Pisa-Studie und der 11. September 2001 die argwöhnisch verteidigte Harmoniekulisse. Auf einmal konnte niemand mehr wegsehen. Plötzlich war es auch den Medien nicht mehr gleich, welche Haßtiraden in der Moschee um die Ecke gepredigt werden. Eltern fragen seither dezent nach, wie hoch der Migrantenanteil an der Schule sei, auf die sie ihre Kinder schicken wollen. Und auch der Staat identifiziert „die Migranten“ plötzlich auch als Verursacher von Problemen, und nicht mehr nur als Zugewinn.

Der öffentliche Dienst bemüht sich um mehr ausländische Bedienstete und schraubt dafür sogar seine Ansprüche herunter (die PAZ berichtete). Schulen werden mit Sozialarbeitern, Wachschutzpersonal und Dolmetschern aufgerüstet. Und Angela Merkel lädt zu Integrationsgipfeln ins Kanzleramt. Dadurch wurde Kenan Kolat zum Stichwortgeber der deutschen Politiker. Der Vorsitzende der „Türkischen Gemeinde in Deutschland“ (230 Mitgliedsvereine und -verbände) ist Gesprächspartner Nummer Eins, wenn es um die Integration der Türken geht. Aber nicht alle Türken sehen es so wie Kolat. Telat Yurtsever, ein junger Theaterregisseur, widerspricht all jenen, die die Türken immer nur als Problemfälle ansehen: „Es geht hier doch nur um neue Projekte, weil dann eine neue Stelle für eine neue Kollegin geschaffen werden kann, weil wir dann wieder mehr Geld verteilen können“, meint er.

Yurtsever geht sogar soweit zu behaupten, daß „Migranten gezüchtet werden“ von interessierten Lobbyisten, die sich so ihr Aufgabenfeld sichern. Andererseits schotteten sich die Ausländer auch selbst mehr und mehr ab. In den 70er Jahren seien sie besser integriert gewesen als heute.

Wenn sich eine Türkin damals gegen die patriarchalische Ordnung ihres Elternhauses gewehrt habe, „dann hatte sie einen deutschen Freund“, so Yurtsever. Heute würden Frauen aus der Türkei eingeflogen, die kein Wort Deutsch sprächen. So etwas sei damals undenkbar gewesen.

Argumente wie diese zählen für Kenan Kolat nicht. In seiner Rede im Roten Rathaus forderte er, daß der Grundgesetzartikel 6 (Schutz von Ehe und Familie) anders angewendet werden müsse – zum Beispiel zugunsten des Nachzugs türkischer Familien aus Anatolien.   Markus Schleusener

Foto: Tips vom Bundesvorsitzenden der „Türkischen Gemeinde“ zum  Jubiläum des Grundgesetzes: Kenan Kolat (SPD) unterbreitet Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) seine Vorschläge zur Überarbeitung der deutschen Verfassung. Links im Bild Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD).


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