29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
04.04.09 / EU-Vertrag auf der Kippe / Der tschechische Präsident Klaus versucht auf seine Weise, Lissabon zu verhindern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-09 vom 04. April 2009

EU-Vertrag auf der Kippe
Der tschechische Präsident Klaus versucht auf seine Weise, Lissabon zu verhindern

Trotz Regierungskrise in Prag läuft das operative Geschäft der EU dank Beamten und Diplomaten in Brüssel weiter. Ein angeschlagener Ratspräsident Topolánek schwächt aber auch das Ansehen der EU.

„Ich halte die tschechische Ratspräsidentschaft, wenn ich das mal offen sagen darf, für die schlechteste, seit ich hier seit 1994 im Europäischen Parlament bin“, giftete der Chef der Sozialisten im Europaparlament, Martin Schulz. „Diese Ratspräsidentschaft ist ein Totalausfall“, so der Deutsche. Das sagt er jedoch noch bevor der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolánek sogar mit Stimmen seiner eigenen Parteikollegen durch einen Mißtrauensantrag der Opposition im Prager Parlament aus seinem Amt gedrängt wurde. Jetzt ist Topolánek nur noch geschäftsführender Ministerpräsident und abhängig von der Gnade des tschechischen Präsidenten Václav Klaus. Das bedeutet, daß auch die EU vom Gutdünken des Staatoberhauptes der Tschechischen Republik abhängig ist, denn er entscheidet, ob und wie lange Topolánek, der derzeitige Ratspräsident, zumindest noch als provisorischer Regierungschef seines Landes amtieren darf. Da Klaus ein absoluter Gegner der EU ist, erwartet man in Brüssel nichts Gutes aus der Prager Burg, dem Amtssitz von Klaus.

Für den 67jährigen ist vor allem der Lissabon-Vertrag (siehe Kasten rechts) ein rotes Tuch. Topoláneks Unterstellung, daß Klaus seine Finger bei seinem Sturz mit ihm Spiel gehabt habe, ist keineswegs aus der Luft gegriffen, denn nur so kann Klaus Einfluß auf die weiteren Entwicklungen nehmen. Zwar hat die Prager Abgeordnetenkammer nach einigen Verzögerungen den Lissabon-Vertrag durchgewinkt, doch der Senat muß noch seine Zustimmung zur gekürzten Neufassung der vor vier Jahren gescheiterten EU-Verfassung geben. Das ist also die letzte Chance für Klaus, Zeichen zu setzen. Derzeit ist es völlig ungewiß, wie der Senat im April entscheidet. Nur mit viel Mühe hatte Topolánek die EU-Gegner in seiner Regierung diszipliniert und sie dazu gebracht, den ungeliebten Vertrag abzusegnen. Die fragile Mehrheit droht nun zu zerbrechen, denn jetzt gibt es keinen Regierungszwang mehr, zumal selbst Topolánek den Vertrag nur als notwendiges Übel betrachtet.

Sollte der Senat gegen den EU-Vertrag entscheiden, dann ist es noch schwieriger, ihn den Tschechen wie den Iren ein zweites Mal zu präsentieren. Die Iren hatten in einem Referendum 2008 gegen den Vertrag gestimmt, doch da in Irland nur einige Aspekte für Mißstimmung sorgten, kam Brüssel Dublin entgegen und besserte nach. Die Chancen, daß die Iren im zweiten Referendum im Herbst dieses Jahres doch noch Ja zu Lissabon sagen, stehen also inzwischen relativ gut, wenn nicht der tschechische Senat mit einem Nein ein erneutes Referendum in Irland sowieso obsolet macht. Zumal Brüssel keine Möglichkeit hat, den Tschechen den EU-Vertrag durch einige Veränderungen schmackhafter zu machen: Die Lissabon-Gegner dort haben keine einzelnen Kritikpunkte, sondern lehnen den Vertrag grundsätzlich ab. Dabei sind die Alternativen zu Lissabon auch für Prag nicht optimal.

Da der eigentlich längst überfällige Vertrag auf jeden Fall nicht mehr vor der Wahl zum Europaparlament im Juni in Kraft treten wird, gilt dann noch der alte Vertrag von Nizza aus dem Jahr 2000, in dem die Folgen der EU-Osterweiterung noch gar nicht berück-sichtigt sind. Das bedeutet für die Tschechen, daß sie ab Mai mit zwei Abgeordneten weniger im Europaparlament sitzen. Überhaupt gilt weiter das unbewegliche Abstimmungsverfahren, bei dem nur Einstimmigkeit zählt. Lissabon hätte hingegen Mehrheitsentscheidungen ermöglicht. Alles andere führt bei 27 Mitgliedsstaaten zu Stagnation.

Daß in Prag aber Trauer herrschen würde, weil weitere EU-Erweiterungen – mit Ausnahme Kroatiens − ohne Lissabon kaum möglich sind, ist unwahrscheinlich: Alle neuen Mitglieder wären für Prag nur Konkurrenten um die Milliarden aus Brüssel. Schließlich stehen mit den Balkanländern nur noch Nettoempfänger in den Startlöchern um einen EU-Beitritt.      Rebecca Bellano

Foto: In Erklärungsnöten: Mirek Topolánek findet kaum beruhigende Worte für die EU, da er selbst ratlos ist.

 

Zeitzeugen

Václav Klaus – Seit 2003 ist Klaus (*1941) Präsident der Tschechischen Republik. Nach seinem Austritt aus der von ihm gegründeten Demokratischen Bürgerpartei (ODS) im letzten Jahr sympathisiert er offen mit einer neu gegründeten, euroskeptischen  Rechtsaußen-Partei. Seine beiden Söhne gehören ihr bereits an.

 

Mirek Topolánek – Der 1956 geborene studierte Maschinenbauer übernahm 2002 den Parteivorsitz der ODS von Václav Klaus. Da dieser den Eindruck hatte, daß Topolánek seine Partei zu sehr in die Mitte führe, protegierte Klaus den Prager Oberbürgermeister Pavel Bém als Gegenkandidaten zu Topolánek. Bei der Wahl zum Parteivorsitz im Dezember 2008 kam es zur Kampfabstimmung, die Bém jedoch verlor und Klaus zum Parteiaustritt bewegte.

 

Jiri Paroubek – Es heißt, der 1952 geborene tschechische Sozialdemokrat soll es nicht ertragen haben, wie Topoláneks Beliebtheitswerte immer weiter in die Höhe gingen. Dessen EU-Ratspräsidentschaft hatte dazu geführt, daß die Tschechen nicht nur die EU, sondern auch ihren Premier besser beurteilten. Mit dem von ihm als Oppositionsführer veranlaßten Mißtrauensantrag wollte Paroubek Topolánek alt aussehen lassen. Doch der Schuß ging nach hinten los, denn nun ist auch der EU-Vertrag in Gefahr. Für die Sozialdemokraten, der EU-freundlichsten Partei im Prager Parlament, ein Desaster.

 

Karl zu Schwarzenberg – Der Adlige des alten Habsburger Reiches ist 1937 in Prag geboren. Seine Familie wurde wegen ihrer oberfränkisch-böhmischen Abstammung nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei (CSSR) vertrieben, was aber nicht das Ende der Verbindungen in die Heimat bedeutete. Karl Prinz zu Schwarzenberg, der sich auf Tschechisch Karel Schwarzenberg nennt,  unterstützte bereits früh den antikommunistischen Widerstand in der CSSR. Nach der Wende 1990 wurde er Büroleiter des Präsidenten Václav Havel. Seit 2007 sitzt er als Außenminister für die Grünen in der Regierung Topolánek. Während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft ist er außerdem Präsident des Rats der EU. Der beliebte Politiker war zeitweise als Gegenkandidat für Václav Klaus im Gespräch.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren