29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
04.04.09 / Populismus statt Problemlösung / Bayerns Ärzte streiken, Söder poltert gegen den Fonds – Neues Abrechungsystem schafft Probleme

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-09 vom 04. April 2009

Populismus statt Problemlösung
Bayerns Ärzte streiken, Söder poltert gegen den Fonds – Neues Abrechungsystem schafft Probleme

Neue Bestimmungen zur Einzelabrechnung bei Arzt-honoraren sorgen für Unsicherheit bei den Medizinern, doch statt Antworten steht jetzt gar die Auflösung der Kassenärztlichen Vereinigung zur Debatte.

Will man dem Protest von Bayerns Fachärzten Glauben schenken, dann geht ihnen bald das Geld aus. Jede dritte Praxis stehe vor dem Aus, heißt es. Dermatologen würden beispielsweise nur eine Pauschale von 14 Euro pro Patient im Quartal erhalten. „Immer weniger Geld kommt in den Praxen an“, beklagt Martin Grauduszus vom Verband „Freie Ärzteschaft“. Ginge es nach ihm, so blieben die Arztpraxen vom 18. bis 23. Mai geschlossen. „Dieser krankmachenden Gesundheitspolitik muß Einhalt geboten werden“, fordert der Verbandschef.

Schützenhilfe erhält er von Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder, der einen grundlegenden Neuanfang in der Gesundheitspolitik fordert. „Wir als CSU brauchen eine eigene Linie in der Gesundheitspolitik. Das sind wir den bayerischen Ärzten und Patienten schuldig“, so Söder, der im selben Atemzug fordert: „Der Fonds muß weg!“ Um den Gesundheitsfonds geht es den Ärzten in Bayern zwar gerade nicht, aber der Wahlkampf naht und die CSU muß sich von der großen Schwester CDU distanzieren, deren Umfrageergebnisse sinken. So jedenfalls schätzen Beobachter Söders CDU-kritisches Engagement in der Gesundheitspolitik ein – und der politische Gegner sowieso. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach spricht bei Söders Forderung nach Rücknahme des Fonds gar von „durchsichtigem Populismus“.

Dabei haben Bayerns Mediziner tatsächlich ein Problem, doch selbst dem Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Bayern, Axel Munte, gelang es nicht, die Nöte der von ihm zu vertretenden Ärzte zu kommunizieren. „Unsere Organisation ist nur noch ein Sinnbild des gierigen Arztes“, goß er gar noch Öl ins Feuer. Er fordert einen Umbau der KV und versetzte Andreas Köhler, den Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, sowie Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) in Hektik, als er vorschlug, im Falle eines Mißlingens der Reform der KV, diese abzuschaffen und in eine privatwirtschaftliche Organisation ohne Zwangsmitgliedschaften und Körperschaftsstatus zu überführen. Die 1931 gegründete KV verhandelt für ihre Mitglieder, alle niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten, mit den Krankenkassen und sorgt zudem für die Sicherstellung der ambulanten kassenärztlichen Versorgung. Beides liegt Ulla Schmidt am Herzen, da so alles in einer Hand liegt. Ohne KV würde das von ihr favorisierte, zentral organisierte Gesundheitswesen an einem wesentlichen Punkt auseinanderbrechen. Wütende Mediziner unken, daß KV-Chef Köhler durch mangelnden Widerspruch bei der Honorarreform gar Schmidts Wünschen nach einer weiteren Zentralisierung in Richtung Polykliniken nach DDR-Vorbild, also ein Weg von einer breitgestreuten ambulanten Versorgung, Vorschub geleistet habe. Gerade bei einer alternden Gesellschaft wäre es hingegen der falsche Weg, die Ärzte aus der Fläche zu nehmen.

Neueste Äußerungen des KV-Chefs lassen jedoch eher darauf schließen, daß bei den Verhandlungen der Ärztehonorare zu wenig an die Folgen gedacht wurde. „Die Ärzte und Psychotherapeuten brauchen eine verständliche, transparente und leistungsgerechte Vergütung. Transparenz setzt voraus, daß die extreme Pauschalierung einer sinnvollen Einzelleistungsvergütung weicht“, erklärt Köhler und spricht damit erstmals das wirkliche Problem der Mediziner an. Denn im Rahmen der Reform wurden die Leistungen, die Ärzte einzeln abrechnen können, völlig neu geordnet. Dazu muß man wissen, daß Haus- und Fachärzte zu Beginn eines Quartals ein sogenanntes Regelleistungsvolumen (RLV), also einen festen Teil der zu erwartenden Vergütung, eine Pauschale pro Patient, im voraus mitgeteilt bekommen. Neben dem RLV werden zusätzlich die erbrachten freien Leistungen vergütet, doch die werden erst am Ende eines Quartals mit einem Bearbeitungszeitraum von etwa zwei bis drei Monaten, also frühestens im Mai, abgerechnet. Da aber der Katalog der einzeln abzurechnenden Leistungen zum Stichtag 1. Januar ohne Testphase festgelegt wurde, wissen die Ärzte nicht, wie hoch ihr Honorar aus RLV und freien Leistungen sein wird. Rechnungsmodelle habe ergeben, daß es unter anderem von der Patientenstruktur abhängt, ob eine Praxis von der Reform profitiert oder nicht. So erhält ein auf Geburtshilfe spezialisierter Gynäkologe für die als freie Leistungen abzurechnenden Vorsorgeuntersuchungen Schwangerer mehr Honorar als sein Kollege mit durchmischtem Patientinnenstamm; denn bei ersterem macht die RLV-Pauschale nur einen Bruchteil seines Gesamtverdienstes aus. Neurologen oder HNO-Ärzte hingegen können fast nichts einzeln abrechnen, so daß bei ihnen die Pauschalen über 90 Prozent des Verdienstes ausmachen.

Außerdem beklagt die KV Bayerns, daß unklare Aussagen von Franz Knieps, Ulla Schmidts Leiter der Abteilung „Gesetzliche Krankenversicherung, Pflegeversicherung“, im Vorfeld der Verhandlungen mit den Krankenkassen dazu geführt hätten, daß regionale Vereinbarungen und Strukturverträge 2009 nicht fortgesetzt werden konnten. Gerade diese hätten aber in Bayern dafür gesorgt, daß Ärzte, die ihre Praxen modernisierten und Weiterbildungsmaßnahmen besuchten, eine Sondervergütung erhielten. Diese Belohnung von besonderen Qualifikationen sei jetzt weggefallen.          Rebecca Bellano

Foto: „Der Fonds muß weg“: Bayerns Gesundheitsminister Söder macht vor allem CSU-Wahlkampf.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren