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04.04.09 / Kalter Frieden im Heiligen Land / Israelische Regierungsbildung im Zeichen der Innenpolitik – Netanjahu regiert mit 29 Ministern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-09 vom 04. April 2009

Kalter Frieden im Heiligen Land
Israelische Regierungsbildung im Zeichen der Innenpolitik – Netanjahu regiert mit 29 Ministern

Trotz vieler Schwierigkeiten gelang Benjamin Netanjahu die Bildung einer Sechs-Parteien-Koalition. Zu ihren größten Herausforderungen gehören die Wirtschaftskrise und die nuklearen Ambitionen des Iran. Ein eigener Palästinerserstaat ist hingegen in ziemlich weite Ferne gerückt.

Benjamin Netanjahu von der Likud-Partei ist gelungen, woran viele in Europa gezweifelt hatten: die Bildung einer Koalitionsregierung aus voraussichtlich sechs Parteien. Sie bilden nun ein relativ breites politisches Spektrum ab. Nach einem 26stündigen Verhandlungsmarathon trat zuletzt auch die sozialdemokratische Arbeitspartei von Ehud Barak der Regierung bei. Von den größeren Parteien verweigerte nur die bisherige Außenministerin Tzipi Livni von der Kadima-Partei die Mitarbeit an der neuen Regierung der nationalen Einheit und nimmt auf der Oppositionsbank Platz. Welche Zugeständnisse Netanjahu seinen vielen Partnern machen mußte, wurde bei der Präsentation der Kabinettsliste bekannt: 29 Minister soll die neue Regierung umfassen, fast jeder zweite Koalitionsabgeordnete in der Knesset kann sich auf Titel, Dienstwagen und Ministergehalt freuen.

Die Aussage, daß nach dem Urnengang im Februar in Israel ein „Rechtsruck“ stattgefunden habe, hält der jüdische Publizist Rafael Seligmann „schlicht für falsch“. Tatsächlich durchlebe die politische Landschaft in „Zion“ ähnliche Phänomene, wie sie aus europäischen Demokratien bekannt sind. Der Zuspruch zu den traditionellen Volksparteien gehe zurück. Am deutlichsten sei dies an der Arbeitspartei zu erkennen. Die Partei von Staatsgründer David Ben Gurion und des Friedensnobelpreisträgers Yitzhak Rabin ist spätestens nach dessen Ermordung am 4. November 1995 auf dem absteigenden Ast. Ehud Barak, dessen Fähigkeiten als General und Verteidigungsminister unumstritten sind, kann als derzeitiger Vorsitzender die traditionelle Arbeiterklientel nicht bedienen. Auch wenn Barak im Wahlkampf angesichts der Finanzkrise zu Formulierungen wie „globaler Schweinekapitalismus“ griff, brachte ihm das kaum Popularität ein.

Die nationalistisch orientierte Likud-Partei des designierten Ministerpräsidenten Netanjahu ist in den letzten Jahren in die Mitte gerückt. Netanjahu, der schon von 1996 bis 1999 Ministerpräsident war, lernte aus seinen Erfahrungen. Seine damalige konservative Koalitionsregierung scheiterte an zu knappen Mehrheiten und dem Versuch, mit Syrien einen Friedensvertrag mit weitgehender Rückgabe der Golanhöhen zu erreichen. Der Likud-Chef machte daher in den letzten Jahren den äußersten rechten Flügel frei, den nun sein ehemaliger Büroleiter Avigdor Lieberman mit seiner Partei „Israel Beitenu“ (Unser Haus Israel) besetzt. Dessen Partei wird von seinen Gegnern gerne als rechtspopulistisch, ja als chauvinistisch und faschistisch apostrophiert. Tatsächlich hegen jedoch auch die meisten Unterstützer Liebermans pragmatische Überlegungen. Zwei Drittel seiner Anhänger kommen wie ihr Vorsitzender aus der ehemaligen Sowjetunion und fordern das Zurückdrängen des Einflusses der religiösen Parteien in Israel.

Zusammen mit den religiösen Parteien ist Lieberman jedoch dezidiert der Auffassung, daß der jüdische Charakter des Landes erhalten bleiben muß. Seine Partei lehnt deswegen nicht nur die Rückkehr der 1948/49 geflohenen und vertriebenen Palästinenser und ihrer Nachkommen nach Israel ab (das ist nahezu Konsens in Israel), sondern sie fordert sogar Loyalitätsbeweise der rund eine Million Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft.

Wasser auf die Mühlen der nationalistischen Strömungen in Israel war zudem der Gaza-Krieg. Hoffte man durch den einseitigen Rück-zug eine friedliche Koexistenz herbeiführen zu können, so trat seit der Regierungsübernahme der Hamas das Gegenteil ein. Israel sah sich einem permanenten Beschuß von Kleinraketen ausgesetzt. Dabei gab es viele Verletzte und mehrere Tote, was Israel schließlich zum Gaza-Feldzug im Januar bewegte, bei dem über 1300 Palästinenser getötet wurden.

So bleibt die Ausgangslage für die neue Regierung schwierig. Israel lebt weiter in einer Art Ausnahmezustand, da es von mehreren Seiten bedroht wird. Zudem unterstützen der Iran und Syrien die terroristische Hamas maßgeblich. Daß US-Präsident Barack Obama beiden Regierungen Gesprächsangebote unterbreitet hat, scheint die Lage kaum entspannt  zu haben. Eine Zwei-Staaten-Lösung, wie sie von Livnis Kadima-Partei favorisiert wird, kann nach Überzeugung der meisten Israelis so lange keinen Frieden bringen, wie die Hamas zusammen mit Syrien und Iran die Vernichtung Israels auf ihre Fahnen geschrieben hat. Auch auf die Fatah-Partei des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas ist wenig Verlaß, da sie ihren Rückhalt in der Bevölkerung zugunsten islamistischer Strömungen verlieren kann.

So bleibt für die neue Regierung in Israel wenig Raum zur politischen Gestaltung. Auch wenn im neuen Koalitionsvertrag eine Zwei-Staaten-Lösung nicht ausgeschlossen wird, sehen politische Beobachter dafür derzeit kaum Chancen. Israel befindet sich zumindest subjektiv nach wie vor in einer Situation der permanenten Bedrohung. „Wer Israels Kriege verstehen will, sollte wissen, daß die Menschen in Zion in ständiger Angst leben“, erklärt Rafael Seligmann.

Netanjahu wird angesichts der gegenwärtigen und zukünftigen Bedrohungen eine pragmatische Politik betreiben müssen. Die Sperranlagen, die das israelische Territorium bisher erfolgreich vor Selbstmordattentätern geschützt haben, werden weiter ausgebaut. Einen zweiten Schwerpunkt wird die Regierung Netanjahu auf die Förderung der Wirtschaft legen, die von der Weltfinanzkrise stark betroffen ist. Ein dritter Schwerpunkt wird die Diplomatie mit den Nachbarstaaten sein. Am Westen liegt es vor allen Dingen, Iran am Aufbau einer Nuklearstreitmacht zu hindern und die Nachbarstaaten zur Beendigung der Vernichtungsdrohungen gegen Israel zu bewegen.         Hinrich E. Bues

Foto: Avigdor Lieberman: Rechts oder rechtsradikal?


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