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11.04.09 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-09 vom 11. März 2009

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,

liebe Familienfreunde.

zum Osterfest pflege ich immer eine paar Überraschungen in den Familienkorb zu legen, mal sind es ein paar kleine, mal auch größere, aber diesmal ist es ein ganz dickes Osterei, denn es hat sich wieder einmal erfüllt, worauf wir immer hoffen, wenn wir eine Suchfrage bringen: Es hat ein Wunder gegeben. Nach über 60 Jahren haben sich zwei Geschwister gefunden! Jetzt kann der 85jährige Hans Joachim Düring seine Halbschwester Heidemarie in die Arme schließen, und es wird ein Osterfest werden, wie sie es sich beide nie erträumt hätten. Und dabei hat unsere Ostpreußische Familie mitgeholfen – aber auch der Zufall. Und der begann auf dem Darß in Mecklenburg-Vorpommern.

Denn da machte in einer gemütlichen Pension ein heute in München lebendes Ehepaar einen kurzen Winterurlaub. Ich kann es jetzt ruhig sagen: Es war meine Nichte Christine mit ihrem Mann. Sie kamen in ein Gespräch mit einem anderen Pensionsgast, einer älteren Dame aus Berlin, die sehr zögernd aus ihrem Leben zu erzählen begann. Ein Vertriebenenschicksal, das vor allem durch die Isolation in der damaligen DDR bestimmt war, ohne Verwandte, die längst in den Westen gegangen und später verstorben waren. Die damals 20jährige blieb hinter dem Eisernen Vorhang zurück und mußte ihr Leben alleine meistern. Als der fiel, begann sie nach ihrem Halbbruder Hanni zu suchen, weil sie wußte, daß dieser die Flucht aus Ostpreußen überstanden hatte, weil er sich nach Kriegsende bei einer Tante in Lübeck gemeldet hatte. Es hätte, so bedauerte Frau Düring, sich niemals auch nur die geringste Spur ergeben. Und nun sei wohl alles zu spät.

Meine Nichte sah das allerdings anders. Sie, die auch in München in jeder Woche unsere „Ostpreußische Familie“ sehr sorgfältig liest – genau wie ihre Schwester Hannelore in Australien –, berichtete von unseren Erfolgen, von denen Frau Düring noch nie etwas gehört hatte, weil ihr die PAZ/Das Ostpreußenblatt unbekannt war. Christine gab ihr den Rat, an mich zu schreiben, den Frau Düring dann auch befolgte. Aus ihrem langen Brief konnte ich die wichtigsten Daten und Fakten entnehmen:

Hannelore Düring, * 1942 in Schröttersburg, verlor bereits ein Jahr später die Eltern. Ihre Mutter Helene war die zweite Frau von Vater Friedrich Wilhelm Düring. Aus der Ehe mit seiner ersten Frau Utta, die früh verstarb, stammte Hannelores Stiefbruder Hans-Joachim. Der sehr viel Ältere, * 1924, Kaufmann in Goldap, liebte seine kleine Halbschwester, die von der jüngsten Schwester des verstorbenen Vaters in Lyck aufgezogen wurde. Mit ihr und deren drei Kindern flüchtete die dreijährige Hannelore nach Demmin. Nach der Rückkehr des Pflegevaters aus russischer Gefangenschaft 1947 und dessen Tod 1963 brach die Familie auseinander. Ihren Stiefbruder Hans-Joachim hatte Hannelore nach der Flucht nicht mehr gesehen. Deshalb lauteten ihre Fragen: „Lebt der heute 85jährige noch? Hat er Nachkommen?“

Er lebt, und er hat Kinder! Das war das erste, was Frau Düring erfuhr. Sie konnte es kaum glauben und teilte dies meiner Nichte mit. Die informierte mich sofort, wußte aber noch nichts Näheres. Die fassungslose Freude, die Frau Düring dann in vielen Anrufen zeigte, die Einzelheiten, die nach und nach zu Tage traten, führten dann zu der Gewißheit: Hier haben sich nach 65 Jahren zwei Geschwister gefunden, die beide überglücklich sind. Und das bestätigt der Brief von Frau Düring, den ich jetzt erhielt:

„Ich muß Ihnen umgehend mitteilen, daß seit gestern mein Traum, meinen Halbbruder Hanni zu finden, in Erfüllung gegangen ist. Er lebt in Dortmund und ist 85 Jahre alt. Ich hatte gestern abend den ersten telefonischen Kontakt mit ihm, bin aber so überwältigt von so vielen positiven Eindrücken, daß ich kaum in der Lage bin, Worte zu finden und mit zittriger Hand Ihnen diese Erfolgsmeldung erst einmal mitteilen möchte. Es ist wie ein Märchen, aber Wirklichkeit. Ich soll umgehend nach Dortmund kommen, sehen, begutachten, reden, planen (einen Umzug), eine Geschichte wie aus 1000 und einer Nacht. Ihnen, liebe Frau Geede, danke ich für dieses plötzliche Glück. Ich selbst muß erst einmal meine Gedanken und Gefühle ordnen. Ihre Nichte wird mich auch weiterhin ratgebend unterstützen und begleiten. Ich kann nur sagen: Danke, danke und nochmals danke!“

Das ist wohl einer der schönsten Briefe, den ich als „Familienmutter“ je bekommen habe, denn er bezeugt auch, daß die Freude auf beiden Seiten groß ist. Beim ersten Anruf sang der Bruder seiner Schwester das Liedchen vor, mit dem er sie in ihrer Kindheit in den Schlaf gesungen hat: „Aber heidschi bum beitschi bum bum …“ 65 Jahre waren vergessen! Wenn sie diese Zeilen lesen, wird Hannelore Düring bei ihrem Bruder sein. Mit offenen Armen empfangen, auch von der Tochter des 85jährigen. Und es wird ein Osterfest werden, wie die bisher sehr zurückgezogen Lebende es sich nie erträumt hatte. Sie hat mit dem Bruder auch die Heimat wiedergefunden.

Wenn Herr Karl-Heinz Jakat aus Coswig dieses wunderbare Ergebnis einer Suchaktion unserer Ostpreußischen Familie liest, wird er mit Sicherheit denken: Gäbe es doch auch solch ein Wiederfinden für mich und meine Halbschwester. Ich konnte ihm schon ein wenig Hoffnung machen, als er mich vor kurzem bei einem Treffen der Haselberger/Lasdehner im Weserbergland ansprach, nachdem ich den Teilnehmern etwas von unserer „Familienarbeit“ erzählt und sie mit meinen Erzählungen und Gedichten in die Heimat zurückgeführt hatte. Auch hier spricht wohl die jahrzehntelange Trennung durch den Eisernen Vorhang mit, vielleicht auch andere Ursachen, aber sie spielen keine Rolle bei unserer Suchaktion. Herr Jakat hatte wenig Verbindung zu der Familie seines Vaters, denn dieser war mit der Mutter seines Sohnes, Frieda Jakat, nicht verheiratet. Sie war bei der Geburt 31 Jahre alt und wohnte in Ebertann, dem früheren Schilleningken. Herr Jakat weiß zwar nicht, wo sein Vater Franz Grigat gelebt hat, es müßte auch in der Nähe von Haselberg/Lasdehnen gewesen sein. Franz Grigat hat Karl-Heinz als seinen Sohn anerkannt. Das Kind kam wohl kaum mit der Familie seines Vaters in Berührung, er erinnert sich aber an eine Halbschwester. Allerdings weiß er weder deren Namen noch ihr Alter, sie müßte heute etwa Mitte/Ende der Siebziger, also etwas älter als Herr Jakat sein. Er würde sich sehr freuen, wenn er einen Hinweis auf den Verbleib seiner Halbschwester, einer geborenen Grigat, erhalten würde. Die Suche wird schwierig sein, aber unsere Ostpreußische Familie ist ja findig – und vielleicht wird sie auch fündig. Das wäre dann eine späte aber glückhafte Überraschung für unseren Lasdehner Landsmann. (Karl-Heinz Jakat, Radeberger Straße 5 c in 01640 Cosweg/Dres­den, Telefon 03523/67652.)

Stimmen wir uns weiter österlich ein, denn es gibt noch mehr Erfreuliches zu berichten, was sich mit Hilfe unserer Leserinnen und Leser ergeben hat. Da bekam ich ein Dankeschön von Herrn Udo Kalina aus Leutkirch gemailt. Er hatte im Internet einen Beitrag in unserer Ostpreußischen Familie entdeckt, der bereits vor zehn Jahren erschienen war. In ihm wurde berichtet, daß sich Suchende aus Königsberg-Rothenstein wiedergefunden hatten. Die Familie Kalina hatte dort am Stieglitzweg 7 gewohnt, diese Straße konnte er aber auf keinem Stadtplan finden und bat nun um Verbindung zu den damals erwähnten Rothensteinern. Das ist aber nach einem Jahrzehnt nur schwer möglich, folglich gingen wir erneut auf Suche. Und siehe da: Herr Kalina erhielt interessante Unterlagen von drei Rothenstei­nerinnen, darunter auch den damals erwähnten gezeichneten Plan. Ich finde das großartig und Herr Kalina auch. Obgleich der 1942 geborene Rothensteiner keine Erinnerungen mehr an seinen Geburtsort hat, möchte er das Interesse an seiner Heimat wachhalten. „Die Menschen, die hier geboren wurden, haben es da einfacher“, meint er. Das mag schon sein, aber wir sind vielleicht enger mit der verlassenen Heimat verbunden und fühlen uns verpflichtet, sie in uns zu bewahren.

Und sind glücklich, wenn wir etwas entdeckt haben, das bisher so gut wie unbekannt war – wie Herr Csallner, der ein Bild des größten Sohnes Ostpreußens fand, das so gänzlich aus dem Rahmen fällt: Immanuel Kant in seiner Heimatstadt, so ungezwungen, heiter, farbenfroh, wie man den großen Philosophen kaum auf einer Abbildung gesehen hat. Das Bild stammt aus dem Jahre 1930, wo es erschien, ist nicht bekannt. Unsere ostpreußische Familie ist eben auch eine Fundgrube, immer wieder tauchen Schätze auf, die irgendwo entdeckt wurden, vor allem Zeugnisse unserer hohen Kultur. Wir freuen uns immer, wenn uns davon mitgeteilt oder Abbildungen zur Veröffentlichung überlassen werden. Wie eben in diesem Fall. Ich habe es schon etwas länger gehortet, denn ich wollte es für die Osterausgabe aufsparen, weil es so farbenfroh ist, eben österlich. Auf Wunsch von Herrn Csallner, dem wir für die Überlassung dieses seltenen Bildes herzlich danken, werden wir es der Kant-Gesellschaft übergeben.

Und etwas ganz Besonderes habe ich erhalten, worüber ich mich sehr, sehr gefreut habe und wo es mir genau so ging, wie dem Absender, Herrn Lothar Wiese aus Berlin: ich bekam feuchte Augen. Denn bei dem Fund, den er mir übermittelte, handelt es sich um eine von ihm aufgenommene CD mit dem Ostpreußenlied „Land der dunklen Wälder“, gesungen vom Kinderchor Erich Bender. Seit langem sammelt Herr Wiese alte Schellack-Schallplatten. Kürzlich entdeckte er in einem kleinen Berliner Antiquariat eine Polydor-Platte von 1952, auf dem der damals sehr bekannte Kinderchor das Ostpreußenlied und das Pommernlied singt, begleitet von einem Streichquartett. Als Herr Wiese sie abhörte, war er zu Tränen gerührt. Er schreibt: „Ich bin ein gestandener Mann von 46 Jahren, aber als ich diese beiden Lieder hörte, kamen mir die Tränen. Ich habe so etwas noch nie erlebt, der Klang dieses Kinderchores hat etwas völlig Einmaliges und zutiefst Ergreifendes, etwas, was es heute in dieser Form nicht mehr gibt.“ Und da muß ich ihm zustimmen. Anregungen von Herrn Wiese zu einer weiteren Verbreitung will ich gerne nachgehen, und ich werde in unserer Kolumne darüber berichten, wenn sie realisiert werden konnten. Zuerst danke ich Herrn Wiese für die CD und auch dafür, daß er eifriger Leser unserer PAZ/Das Ostpreußenblatt ist und sie nicht mehr missen möchte. Und er findet viele gute und anerkennende Worte für unsere Ostpreußische Familie. Er selber ist gebürtiger Dortmunder, sein Vater stammt aus Hinterpommern, konnte noch zwei Jahre nach Kriegsende auf seinem eigenen Gutshof bleiben, mußte allerdings harte Zwangsarbeit leisten, die Familie hat sehr viel Schlimmes erlebt. Ein Großonkel, Richard Gutzeit, stammte aus Ostpreußen ebenso wie der Großvater seiner Mutter Gustav Chedor, also ist Herrn Wieses Familiengeschichte auch etwas ostpreußisch durchwachsen. Zuerst einmal herzlichen Dank für die CD, lieber Herr Wiese, und einen herzlichen Ostergruß nach Berlin.

Ach, lewe Landslied und Freunde, das ist noch längst nicht alles, was sich an Erfreulichem getan hat. Doch das paßte nicht mehr in unser Osterkörbchen hinein, aber in meinen Krepsch für die nächsten Folgen. Und so möchte ich Ihnen ein frohes, frühlingsbuntes Osterfest wünschen.

Eure Ruth Geede

Foto: Bild 26 der Weltbilder der „Berliner Morgenpost“: Immanuel Kant grübelt in der Stille seines Gartens über das Werden der Welt.


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