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11.04.09 / Das Puppenhaus / In der Vergangenheit schwelgen kann auch belebend wirken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-09 vom 11. März 2009

Das Puppenhaus
In der Vergangenheit schwelgen kann auch belebend wirken

Langsam, sehr langsam, bummelten die beiden durch die Altstadtgassen: der gutaussehende Mittfünfziger und die zierliche alte Dame an seiner Seite.

Passanten, die es eilig hatten und das ungleiche Pärchen höflich-respektvoll, selten unwillig, „umschifften“, genügte ein kurzer Seitenblick, um zu erkennen, daß es sich hier um Mutter und Sohn handelte. Schauten sie doch in zwei Augenpaare, die nicht nur die Farbe – ein helles Saphirblau, sondern auch den Ausdruck heiterer Gelassenheit gemein hatten.

Vorbei an schmuckem Fachwerk und liebevoll dekorierten Schaufenstern, wanderten die zwei Richtung Marktplatz. In Höhe des dort ansässigen Cafés blickte Martin lächelnd zu seiner Mutter hinunter:

„Schwarzwälder Kirsch, wie bei deinem letzten Besuch?“ „Hm –„, die alte Dame zögerte, „eigentlich habe ich noch gar keinen Kaffeedurst. Gehen wir doch noch ein Stückchen weit. Ich schau’ mir so gern die schönen Schaufenster an. Bei mir daheim gibt’s ja nur Bäcker und Metzger.“

„Ja, ja!“, schmunzelte Martin im Weitergehen. „Anschauen tust du dir alles. Aber wenn dir mal was gefällt und ich es dir kaufen möchte, dann sagst du immer: ‘Ach, ich habe doch alles, was ich brauche.’“

„Du hast ja recht, mein Junge. Aber im Alter erfreut man sich wohl noch an schönen Dingen, aber man hängt nicht mehr sein Herz daran…“

Martin schwieg. Genügsamkeit hatte nicht unbedingt etwas mit dem Alter zu tun. Seine Mutter hatte ihr Lebtag keine Wünsche geäußert. Ab und an ein neues Kleid oder Kostüm für den sonntäglichen Kirchgang – das war’s dann auch schon gewesen. Vielleicht hatte ihre Anspruchslosigkeit mit ihrer Lebensgeschichte zu tun. Mit dem Verlust des Vaters, der noch in den letzten Kriegstagen gefallen war, dem Verlust von Elternhaus und Heimat.

Später, als junge Frau, hatte sie nach dem Unfalltod ihres Mannes für sich und ihre beiden Kinder sorgen müssen. Durch Fleiß und äußerste Sparsamkeit war es ihr sogar gelungen, ihnen ein Studium zu ermöglichen.

In all den Jahren war nie eine Klage über ihre Lippen gekommen. Keine Klage, aber auch kein Wunsch. Das Wissen um Tod und Vergänglichkeit hatte sie zwar nicht unempfänglich für die schönen Dinge des Lebens werden lassen, aber es hatte sie gelehrt, diesen nicht allzuviel Bedeutung beizumessen.

Während Mutter und Sohn die Gassen entlang spazierten, blickte Martin auf die schmale, stark geäderte Hand in seiner Ellenbogenbeuge hinunter. So oft es ging, luden er und seine Schwester die Mutter zu sich nach Hause ein, um sie ein wenig zu verwöhnen.

Mit der Bitte, doch von früher zu erzählen, schienen sie ihr noch die größte Freude zu machen. Stets belebte sich ihr Gesicht, glänzten ihre Augen, wenn sie von ihrer Kindheit berichtete. Besonders der Vater hatte das kleine Mädchen sehr verwöhnt und von jeder Fahrt in die Kreisstadt herrliches Spielzeug mitgebracht, wobei der große Teddy und das mit unzähligen winzigen Möbeln bestückte Puppenhaus in ihrer Erinnerung einen besonderen Stellenwert besaßen.

„Laß uns noch diese Gasse hinuntergehen“, hörte Martin die Mutter in diesem Moment sagen. „Ich glaube, hier war ich noch nie.“

„Kann schon sein. Viel zu sehen gibt’s da allerdings nicht. Eine Weinhandlung und ein Antiquitätengeschäft.“

„Das hört sich doch gut an.“ Helle Augen lächelten ihn schelmisch an. „Vielleicht suche ich mir ja einen guten Rotwein aus, und du, mein Junge, darfst ihn dann bezahlen.“

Doch es waren nicht Spätburgunder oder Trollinger, die seine Mutter in ihren Bann schlugen, sondern ganz etwas anderes. Im Schaufenster des kleinen Antik-lädchens holte sie die Vergangenheit ein.

„Schau’ nur –“ flüsterte sie und deutete auf das im Hintergrund stehende Puppenhaus. „Ist es nicht bezaubernd?“

Es war eine Augenweide, mit echten Vorhängen und Tapeten, und entzückenden Biedermeier-Möbeln, die so kunstfertig gearbeitet waren, daß selbst Martin Gefallen daran fand.

„Ähnelt es dem Puppenhaus, das Großvater dir damals geschenkt hat?“

Die Mutter nickte, die Hand auf den Mund gepreßt.

„Aber ich glaube, dieses hier ist noch ein wenig schöner“, lächelte sie dann mit schimmernden Augen zu ihm hoch.

Martin zögerte keine Sekunde. Ungeachtet der Proteste seiner Mutter, und ohne den Gedanken, den Preis noch ein wenig zu drücken, überhaupt in Erwägung zu ziehen, ließ er sich das Häuschen einpacken.

„Ach, Junge, wie konntest du nur!“, rief seine Mutter. „Einer alten Frau ein Puppenhaus zu kaufen.“

Sie rügte den Leichtsinn ihres Sohnes. Doch ihre Augen leuchteten.

Für Martin war es der beste Kauf seines Lebens.  R. Dopatka


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