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11.04.09 / Warschauer Wunderkind? / Autor Lozinski in Polen geehrt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-09 vom 11. März 2009

Warschauer Wunderkind?
Autor Lozinski in Polen geehrt

Daniel ist Ende 30 und hat seine Stellung aufgegeben, um einen „modernen Roman“ zu schreiben. Ein unerwarteter Anruf mit der Nachricht vom Tode seiner Mutter veranlaßt ihn, New York Hals über Kopf zu verlassen und in seine Heimatstadt Paris zurückzukehren. Seine Reisestätten dort führen ihn zu Menschen, die seiner Mutter Astrid zum Ende ihres Lebens nahestanden: ihre blinde Psychotherapeutin Aude, ihr junger Arzt und ihr Geliebter Spencer. Dieser ist ihr jedoch, wie Daniel von Caroline, der betrogenen Ehefrau, erfährt, zwei Tage später in den Tod gefolgt. Von diesen Menschen und mit Hilfe seiner Tante Luise versucht Daniel, etwas über seine Mutter herauszubekommen. Diese Geschichten decken sich jedoch nicht ganz mit der Vorstellung, die er von ihr hat. Somit bleibt der Versuch, ihr Leben zu rekonstruieren, unvollständig. Am Ende entsteht sein eigenes von ihm gespiegeltes Bild der Mutter.

Während des Verlaufs des Romans „Reisefieber“ von Mikolaj Lozinski klärt sich durch Rückblenden nicht nur das Bild von der verstorbenen Astrid, sondern auch von dem Romanhelden, der unter sensiblen Fingerkuppen leidet und seine Nägel mit einem Knipser immer ganz kurz schneidet. Seine Beziehung mit der Journalistin Anna befindet sich in der Krise; in Paris angekommen, ist er nicht mehr in der Lage, sie anzurufen. In einem parallelen Handlungsstrang erfährt der Leser auch von den Taten und Gedanken Astrids. Nach ihrem Tod und am Ende seiner Reise wird Daniel mit dem großen Tabuthema seiner Kindheit – seiner Herkunft –  konfrontiert. Durch dieses Wissen gereift, findet er zu sich selbst und zu Anna zurück.

Langsam entwickelt der polnische Autor ein Bild von Daniels Kindheit und des komplizierten, aber sehr innigen Verhältnisses zu seiner Mutter. Die Frage, warum der Kontakt zu dieser abbrach, drängt sich dem Leser schon auf den ersten Seiten auf, wird aber erst zum Ende des Romans beantwortet. Das Mutter-Sohn-Verhältnis und die Frage nach Daniels Vater, der im Roman nie genannt wird, erzeugen beim Leser große Spannung. Daniels Wut und seine Eifersucht entfernen ihn von seiner Mutter und bringen ihn erst nach ihrem Tod zu ihr zurück.

Wie Daniel hat der 1980 geborene, in Warschau lebende Autor Lozinski einen „modernen Roman“ entworfen, in welchem er mit dem Leser durch die Zeiten der Gegenwart und Vergangenheit reist, und so stellt sich die Frage, inwiefern er in seinem Debüt selbst Erlebtes verwoben hat. Die Grundidee, so berichtet der Autor auf einer Lesung am Polnischen Institut in Berlin im vergangenen Jahr, beruhe auf einer wahren Begebenheit, die er selbst in Paris erlebt habe. Aufgrund seiner Erzähltechnik – fotografische Szenenbilder aus Gegenwart und Vergangenheit – wurde der Roman bereits mit den Regiearbeiten Ingmar Bergmanns verglichen. Mit seiner Liebe zu detaillierten Beschreibungen verweist Lozinski ästhetisch auf sein zweites Steckenpferd, die Fotografie.

Der Autor wurde für seinen gut konstruierten, spannungsreichen und schlicht erzählten psychologischen Roman mit dem ältesten unabhängigen Literaturpreis in Polen, dem „Koscielski“-Preis, ausgezeichnet. Eine unbedingt empfehlenswerte Lektüre für Anhänger psychologischer Romane.            Vittoria Finzi

Mikolaj Lozinski: „Reisefieber“, Deutsche Verlagsanstalt, München 2008, gebunden, 205 Seiten, 17,95 Euro


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