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18.04.09 / »Das ist die Angst der Polen« / Flucht, Vertreibung und Zwangsarbeit mit Kinderaugen gesehen – Ein außergewöhnlicher Brief

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-09 vom 18. April 2009

»Das ist die Angst der Polen«
Flucht, Vertreibung und Zwangsarbeit mit Kinderaugen gesehen – Ein außergewöhnlicher Brief

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erschien am 7. April unter der Überschrift „Eine Geschichte von kleinen und großen Teufeln“ ein eindrucksvoller Leserbrief, der sehr viel über das deutsch-polnische Verhältnis, die Vertreibung aus Pommern und über die aktuelle Debatte um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ zum Ausdruck bringt. Mit freundlicher Genehmigung des Autors dokumentieren wir den Brief im ungekürzten Wortlaut.

Zum Leserbrief „Sind deutsche Vertriebene Opfer zweiter Klasse?“ („FAZ“ vom 19. März): Frau Doris von Sayn-Wittgenstein hat recht. Wir Vertriebenen werden als Opfer zweiter Klasse behandelt. Das hat seine Gründe: Die sogenannten Sieger, die besser sein wollten als Hitler-Deutschland, also England, die Vereinigten Staaten, Polen und Rußland, haben eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte mitgetragen, nämlich die Vertreibung von 15 Millionen Menschen aus ihrer seit tausend Jahren angestammten Heimat. Die Siegermächte möchten an ihr ungeheuerliches Verbrechen nicht erinnert werden; es soll totgeschwiegen werden.

Das Folgende habe ich damals erlebt: „Dat sünnd allens litte Düwel“ (das sind alles kleine Teufel) hörte ich den Großvater sagen. Ich war sehr erschrocken, denn schließlich hatte man mir als Siebenjährigem, der auf einem Gutshof in Pommern aufwuchs, Bilder gezeigt, wo der Teufel mit kleinen Hörnern und Pferdefuß dargestellt wurde. Mein Großvater, ein gütiger und kluger Mann (er sprach Französisch, Russisch und Polnisch), bezeichnete seine stets wiederkommenden polnischen Wanderarbeiter als kleine Teufel. Ich wurde mit dieser Aussage meines geliebten Großvaters nicht fertig und schaute mir die polnischen Landarbeiter immer von oben bis unten genau an, konnte jedoch weder Hörner noch einen Pferdefuß entdecken.

Anfang März 1945 kamen die Russen. Diese holten im Rhythmus von drei Tagen alles ab: Kühe, Schweine, Pferde, Fahrräder und sonstige Gerätschaften. Der Großvater verhandelte immer mit den Russen und zeigte auf die vielen Kinder – 35 Flüchtlinge aus Ostpreußen, die bei uns untergekommen waren. Die Russen zeigten Herz und ließen dem Großvater zwei Kühe im Stall stehen. Das Gleiche geschah mit den Pferden: Man nahm die guten Pferde aus dem Stall und ließ dem Großvater zwei stark abgewirtschaftete Pferde. Mit ihnen konnte er etwas Land bearbeiten. Dies änderte sich etwa drei Wochen später, nachdem die Russen weg waren.

Jetzt kamen die Polen. Sie nahmen dem Großvater die zwei Kühe und Pferde weg. Der Großvater sprach mit den Polen, zeigte auf die vielen Kinder, die versorgt werden mußten – es half nichts. Als die Polen mit den Tieren loszogen, weinte der Großvater und sagte: „Dat sünnd allens litte Düwel.“ Jetzt wußte ich erst, was er damals meinte, als ich das erste Mal hörte, wie er die Polen einschätzte. Den Großvater haben sie wenige Monate später umgebracht. Die Großmutter wurde von den Polen eines Nachts abgeholt, und keiner wußte, wo sie hinkam. Die ostpreußischen Flüchtlinge wurden ebenfalls eines Nachts von den Polen auf die Straße getrieben, und keiner weiß, was mit ihnen geschehen ist. Ihr weniges Hab und Gut wurde ihnen von den Polen abgenommen. Meine Mutter und wir vier Kinder (neun, acht, und Zwillinge von fünf Jahren) wurden bis Oktober 1948 zu Sklavenarbeit verpflichtet – ohne rechtlichen Schutz, ohne medizinische Versorgung, geschweige denn Entlohnung oder Lebensmittel für die Kinder. Wir durften keine Schule besuchen. Wenn man bei uns Kindern Schulbücher entdeckte, dann wurden diese vor unseren Augen zertreten und zerrissen. Die Polen haben wir alle als große Teufel in Erinnerung.

Das ist die Angst der Polen: Daß diese Grausamkeiten und Verbrechen an den unschuldigen Zivilisten, alten Menschen, Frauen und Kindern in einer deutschen Erinnerungsstätte dokumentiert und festgehalten werden.

Karl Neumann, Kaufbeuren

Nachtrag: Herr Neumann hat gegenüber der Preußischen Allgemeinen Zeitung noch eine Frage aufgeklärt, die dieser Brief beim Leser zurücklassen mag: Warum hat eigentlich der als gütig und klug beschriebene Großvater seine polnischen Arbeiter schon vor der Vertreibung so schroff als „litte Düwels“ bezeichnet? Des Rätsels Lösung: Der Großvater mußte bereits nach dem Ersten Weltkrieg seine Heimat in Röskau, Kreis Karthaus verlassen, nachdem dieser Teil Westpreußens (in dem bis 1918 nur Deutsche und Kaschuben, aber keine Polen gelebt hatten) als Teil des sogenannten Korridors Polen zugeschlagen worden war. Seine in diesem Gebiet nahe Danzig bereits seit dem 9. Jahrhundert ansässige Familie v. Münchow habe sich erst daraufhin in Pommern, und zwar in Neurakitt bei Lauenburg im Kreis Stolp, angesiedelt, wo der Leserbrief spielt. Über die weitgehend in Vergessenheit geratene Verdrängung von knapp über einer Million Deutschen aus Westpreußen, Posen und Ost-Oberschlesien zwischen 1919 und 1924 hat diese Zeitung in den vergangenen Monaten mehrfach berichtet. Autor Neumann geht davon aus, daß die Härten der damaligen Zeit seinen Großvater zu dem für ihn als Kind so konsternierenden Urteil über die Polen bewegt haben.

Foto: Stolp in Pommern: Ganz in der Nähe hat „FAZ“-Leser Karl Neumann die Vertreibung erlebt.


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