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18.04.09 / Gealterte 68er / Fortsetzung über Trotzkisten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-09 vom 18. April 2009

Gealterte 68er
Fortsetzung über Trotzkisten

„Wer mit 20 nicht links wählt, hat kein Herz; wer es mit 40 immer noch tut, keinen Verstand“, behauptet eine Redensart. Das trifft auch für die gealterten Protagonisten des vierten und letzten Bandes, „Winterdämmerung“ aus Erasmus Schöfers opus magnum „Die Kinder des Sisyfos“ zu. 2001 erschien der erste Teil „Ein Frühling irrer Hoffnung“, der die Geschichte der 68er aus der Perspektive des Studenten und späteren Geschichtslehrers Viktor Bliss, seiner Freundin Lena und des trotzkistischen Betriebsrats Manfred Anklam erzählt. Sie alle schwärmen für linke Ideale, lesen Marx, protestieren gegen den Vietnamkrieg und Springer und bewegen sich zwischen sexueller Befreiung und Eifersuchtsgefühlen. Der zweite Band „Zwielicht“ schließt mit den Friedensdemonstrationen und der Anti-Atomkraft-Bewegung in den 70er Jahren an. Einen Blick über den deutschen Tellerrand gewährt der dritte Band „Sonnenflucht“, der über die Kämpfe der Arbeiterschaft die Geschichte Griechenlands seit 1945 und die Rolle der dortigen Linken illustriert.

„Winterdämmerung“ führt die mittlerweile Mitfünfziger durch die 1980er Jahre bis zum Fall der Mauer. Viktor Bliss hat verschiedene Probleme: von seinen schweren Brandverletzungen, die er sich bei einer Rettungsaktion in Athen zugezogen hatte, über sein Berufsverbot bis hin zu Flügelkämpfen innerhalb der DKP. Nachdem Lena ihn im Drang nach Emanzipation verlassen hat, erfährt er nur noch Unterstützung von seiner Enkelin Ann, die ihn aus den USA zum ersten Mal besucht. Manfred Anklam wandelt sich vom Saulus zum Paulus und steigt zum Werkleiter beim Krupp-Stahlwerk Rheinhausen auf. Als dieses jedoch Mitte der 1980er Jahre geschlossen werden soll und der Verlust Tausender Arbeitsplätze droht, wird Anklam zum führenden Kopf im Kampf um den Erhalt des Werks. Gemeinsam mit den Kollegen besetzt er die Hauptverwaltung in der Essener Villa Hügel. Auch ein Hauch von Drama fehlt dem Roman nicht. Beispielsweise Gewerkschafter und Journalist Sonnefeld, der kurz bevor er mit seiner Partnerin und ihren zwei Kindern zusammenziehen will, erst deren Tochter und dann sich selbst umbringt.

Schöfer verdichtet auf faszinierende Weise private Beziehungsgeschichten und politische Ereignisse, etwa den Widerstand gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens und die Raketenstationierung, Tschernobyl oder Glasnost und Perestroika. Erfundene Figuren begegnen historischen Persönlichkeiten, wie der Umwelt- und Friedensaktivisten Robert Jungk, dem Schriftsteller Peter Härtling, dem Grünen-Gründungsmitglied Petra Kelly oder dem Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter. Der Autor jongliert mit Protokollen, Tagebucheinträgen, Briefpassagen, Referaten. Er zeigt das Innenleben seiner Hauptpersonen in Alltagsdialogen, die durch Sprachkraft statt durch Gefühlsduselei überzeugen. Nur manchmal nerven Schöfers absatz- oder sogar seitenlangen Sätze gespickt mit rheinischen Dialektausdrücken oder seine hohlen Phrasen sexueller Altmännerphantasien.             Sophia E. Gerber

Erasmus Schöfer: „Winterdämmerung − Die Kinder des Sisyfos“, Dittrich Verlag, geb., 632 Seiten, 24,80 Euro


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