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25.04.09 / BdV braucht eine Agenda 2020 / BdV-Vizepräsident Knauer über das »Zentrum« in Berlin und die weiteren Perspektiven der Vertriebenen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-09 vom 25. April 2009

BdV braucht eine Agenda 2020
BdV-Vizepräsident Knauer über das »Zentrum« in Berlin und die weiteren Perspektiven der Vertriebenen

Christian Knauer ist einer der beiden Vertreter des Bundes der Vertriebenen im Stiftungsrat der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Im Interview mit Konrad Badenheuer erklärt der Landrat des bayerisch-schwäbischen Kreises Aichach-Friedberg mit schlesischen Wurzeln, wie er den Streit um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ erlebt hat und welchen Weg in die Zukunft er für den BdV sieht.

PAZ: Bei den Besuchen der Bundeskanzlerin beim BdV gab es viel Applaus und keine Kritik. Waren Sie davon überrascht?

Knauer: Nein, die Besuche der Kanzlerin waren mehr als nur eine Geste. Ihre Aussagen waren klar und eindeutig. Dennoch hätten sich viele Menschen, nicht nur Betroffene, gewünscht, wenn Frau Dr. Merkel das, was sie auf dem Jahresempfang des BdV gesagt hat, schon 14 Tage vorher geäußert hätte. In der Tat gab es ein Befremden darüber, daß die Bundesregierung schweigt, wenn eine so integre und angesehene Persönlichkeit wie Erika Steinbach in derart unflätiger Weise von polnischen Politikern angegriffen wird. Hier hätten frühere Worte zugunsten der Angegriffenen manche Irritationen verhindern können.

PAZ: Mußte die Ehre von Frau Steinbach wirklich verteidigt werden? Wenn der Vorwurf „blonde Bestie“ lautet, da erübrigt sich doch jeder Widerspruch. Wäre nicht das Festhalten an ihrer Berufung in den Stiftungsrat entscheidend gewesen?

Knauer: So denken verständlicherweise gewiß viele. Die Bundesregierung stand freilich vor der Herausforderung, die Wirkung ihrer Worte auf die polnische Innenpolitik abzuwägen. In Polen stehen sich das Lager von Ministerpräsident Tusk und das der Gebrüder Kaczynski gegen­über. Letzteres will die Bundesregierung aus guten Gründen nicht stärken. Die Sorgen vor der von Kaczynski vertretenen Linie betreffen die ganze EU. Hinzu kommt das Taktieren der SPD, mehrere SPD-Politiker hatten sich offen gegen Erika Steinbach gestellt. Darin liegt zu einem großen Teil die Ursache der deutschen Haltung gegenüber Polen.

PAZ: Haben Sie Verständnis für eine Haltung, die sagt: Wenn wir am Ende Polen um Erlaubnis fragen müssen, ob wir überhaupt nur ein Museum für die Vertreibung bauen dürfen, dann ist der ganze Ansatz falsch?

Knauer: Dafür habe ich Verständnis, wobei das „Zentrum gegen Vertreibungen“ immer mehr sein muß als ein Museum. Es muß auch Gedenk- und Begegnungsstätte sein, als reines Museum ginge es an den Zielvorstellungen vorbei. Daß wir heute solche Dis-kussionen führen müssen, hängt mit der mangelnden Unterstützung weiter Teile der SPD zusammen. Der BdV und Frau Steinbach persönlich haben wirklich viel getan, um die Beziehungen zur SPD wieder auf eine vernünftige Basis zu stellen. Dabei hat auch Otto Schily, der das Zentrum schließlich unterstützte, eine wichtige Rolle gespielt. Umso größer ist jetzt die Enttäuschung über viele SPD-Politiker. Von Grünen und Linken rede ich in diesem Zusammenhang gar nicht.

PAZ: Der Vorgänger von Frau Steinbach an der Spitze des BdV, Fritz Wittmann, warnte in den neunziger Jahren davor, die deutsch-tschechische Erklärung dürfe nicht zur „Grabplatte“ für die Sudetendeutschen werden. Viele haben die Sorge, das Zentrum in Berlin könnte eine Art Mausoleum für die Ost- und Sudetendeutschen werden...

Knauer: Zum Konzept des Zentrums gehört nicht nur der Blick zurück, sondern auch die Öffnung neuer Perspektiven. Zur Pflege der ostdeutschen Kultur gehört deren Weiterentwicklung. Das ist auch nicht nur das Anliegen derer, die Haus und Hof verloren haben. Die Vertreibung und ihre Folgen gehen alle Deutschen an, sie sind ein Teil der deutschen Identität. Unbewußt sind sie es wohl jetzt schon, und es ist ein entscheidendes Ziel des „Zentrums“, die Verdrängungen in diesem Bereich zu überwinden. Losgelöst vom Zentrum müssen die Vertriebenen jedoch weiter höllisch aufpassen, daß sie von Seiten des Staates nicht als Stiefkinder angesehen werden. Ein Ärgernis stellt die Abschaffung der Finanzierung der Kulturreferenten der Landsmannschaften sowie der institutionellen Förderung des BdV in vielen Bundesländern dar. Keine andere Nation in ähnlicher Lage würde so etwas tun. Hier gibt es im BdV auch einige Enttäuschung über die CDU-geführten Regierungen etwa in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, welche die von der SPD abgeschaffte Förderung nicht wiederaufgenommen haben, obwohl es um vergleichsweise geringe Beträge geht. Ministerpräsident Roland Koch in Hessen ist hier eine positive Ausnahme. Er löste seine Wahlversprechen ein.

PAZ: Wohl auch kein anderes Land würde Erklärungen abgeben, die so nahe an den rechtsverbindlichen Verzicht auf alle Rechte der Vertriebenen heranreichen, wie die Bundesrepublik das getan hat − zuletzt mit der schroff ablehnenden Haltung der Bundesregierung zu den Klagen der Preußischen Treuhand und anderer Betroffener.

Knauer: Es war Altkanzler Schröder, der die Vertreibung öffentlich und ohne äußeren Anlaß ein „abgeschlossenes Kapitel der Geschichte“ genannt hat. Bundeskanzlerin Merkel hat sich dagegen geweigert, die rechtsverbindliche Verzichtserklärung abzugeben, die Kaczynski so nachdrück-lich von ihr gefordert hat.

PAZ: Hatte Schröder nur das Glück, daß er das so nicht gefragt wurde?

Knauer: Angesichts dessen, was er unaufgefordert von sich gegeben hat, gehe ich in der Tat davon aus, daß er eingeknickt wäre.

PAZ: Der BdV argumentiert seitdem, man möge ihm nicht den „schwarzen Peter“ für die politisch so sperrigen offenen Rechtsfragen zuschieben, es sei allein Sache der Bundesregierung, diese − etwa mit einer innerstaatlichen Entschädigungsregelung − zu schließen.

Knauer: Und weil dies nicht zu erwarten ist, bleiben die Eigentums- und Wiedergutmachungsfragen rechtlich offen. Das hat ja auch Bundeskanzler Helmut Kohl klargestellt, als er 1997 in Prag die deutsch-tschechische Erklärung unterschrieb.

PAZ: Und doch sieht die aktive Vertretung eines Wiedergutmachungsanliegens wohl anders aus als der Hinweis, es stehe nicht in der eigenen Macht, verbindlich zu verzichten. Wann hat der BdV das letzte Mal der polnischen Regierung die Entschädgungsregelungen der baltischen Staaten, Ungarns oder Rumäniens zur Nachahmung em-pfohlen?

Knauer: Der BdV hat bis in die jüngsten Tage in all seinen Beschlüssen auf die ungelöste Eigentums- und Entschädigungsfrage hingewiesen. Ebenso fordern wir seit Jahrzehnten von unseren Nachbarn, in einen Dialog mit den Betroffenen zu diesen Themen einzutreten. Die bis in die 80er Jahre hinein durch die deutsche Politik gewährte verbale Unterstützung unserer Anliegen hat sich seit dem Beitritt der Vertreiberstaaten zur Nato und zur Europäischen Gemeinschaft deutlich abgeschwächt. Auch innerhalb der gesamtdeutschen Gesellschaft werden die einschlägigen Problemfelder lieber verdrängt als diskutiert. Das ist die traurige Wahrheit. So lange Polen und die Tschechische Republik nicht bereit sind, ihre Unrechtsdekrete aufzuheben, wird unser Verweis auf die Entschädigungsregelungen in den anderen Staaten dort nicht auf Gehör stoßen.

PAZ: Welche mittelfristige Perspektive sehen Sie für die Vertriebenen und den BdV in sagen wir fünf bis 15 Jahren?

Knauer: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. In Anbetracht der immer geringer werdenden Zahlen der noch in den Heimatgebieten geborenen Landsleute wird sich zweifellos auch die Ausrichtung der Tätigkeit unserer Landsmannschaften und des BdV verändern. Zwar werden Rechtsfragen Dauerthemen bleiben, kulturelle Aspekte und eine Art „Erinnerungskultur“ aber deutlich an Raum gewinnen. Daher müssen wir baldmöglichst in allen Verbänden eine Grundsatzdiskussion im Hinblick auf eine Art Agenda 2020 führen. Nur mit klar formulierten längerfristigen Zielen können wir junge Menschen für eine aktive Mitarbeit gewinnen.

Foto: Knauer: Von Teilen der CDU enttäuscht.


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