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02.05.09 / Nach dem Tod der Mutter / Familie versucht zu verdrängen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-09 vom 02. Mai 2009

Nach dem Tod der Mutter
Familie versucht zu verdrängen

„Steht einer am Alexanderplatz und ruft ,Scheiß-Staat, Scheiß-Staat!‘ Kommt ein Polizist zu ihm und sagt: ,Das können Sie aber nicht machen, hier so öffentlich zu protestieren.‘ Sagt der Mann: ,Ich hab ja nicht gesagt, welcher Scheiß-Staat.‘ Der Polizist muß zustimmen. Am nächsten Tag steht der Mann wieder am Alexanderplatz und ruft ,Scheiß-Staat, Scheiß-Staat!‘ Geht der Polizist zu ihm hin und legt ihm Handschellen an. Sagt der Mann: ,Sie wissen doch gar nicht, welchen Staat ich meine.‘ Sagt der Polizist: ,Ich hab mich erkundigt. Es gibt nur einen Scheiß-Staat!‘“ Es sind Stellen wie diese, die Christopher Kloebes Debütroman trotz einiger stilistischen Schwächen zu einem Lesevergnügen machen.

Doch zunächst zum Inhalt: „Unter Einzelgängern“ erzählt zwei ineinander verwobene Familiengeschichten. Schon das Cover – ein kunterbuntes Knäuel aus verschiedenartigen Fäden – deutet nicht nur auf die Verknüpfung der beiden Handlungsstränge hin, sondern auch auf das komplizierte Beziehungsgeflecht der einzelnen Familienmitglieder. Die erste Familie ereilt gleich zu Beginn ein Schicksalsschlag: Mutter Angela, 45, rutscht voll bepackt mit Einkäufen in der Wohnung aus und schlägt tödlich mit dem Kopf auf den harten Boden. So wie die Hinterbliebenen die Blutspuren im Flur mit einem Vorleger verdecken, so einfach ist es allerdings nicht, die Erinnerung an den tragischen Unfall unter den Teppich zu kehren. Vater Erich, 56, führte mit Angela schon länger eine Ehe, deren Kälte dem Kühlschrank Konkurrenz machte, den er ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Er verarbeitet den Tod seiner Frau, indem er zu joggen anfängt und Diät hält – vor allem um seine neue Geliebte zu beeindrucken. Tochter Katrin, 19, studiert in München und hangelt sich von einer unglücklichen Affäre zur nächsten. Sohn Simon, 24, hat schließlich nach mehreren Ausbildungsabbrüchen ein Studium am Leipziger Literaturinstitut aufgenommen. Mit Hilfe des Schreibens versucht er, seine Trauer zu überwinden, und erfindet eine neue Familienchronik. In der zweiten Geschichte geht es um seine Freundin Miriam, in deren Kindheit sich zur Zeit des Mauerfalls wie bei Simon eine Tragödie ereignet. Dabei wäre Kloebes Kunstgriff einer Binnenerzählung gar nicht notwendig gewesen, hätte er doch die Befindlichkeiten der Charaktere weiter ausloten können.

Auf knapp 180 Seiten zieht der mehrfach ausgezeichnete Jungautor alle Register seiner Schreibkunst. Zuweilen treibt er seine technischen Sprachspielereien jedoch auf die Spitze. So zieht er Vokale künstlich in die Länge („Oh neiiin, Verehrteste“). Mehr Mut zu einem eigenen Stil und ein tieferer Blick hinter die bröckelnde Familienfassade hätten dem Buch gut getan.         Sophia E. Gerber

Christopher Kloebe: „Unter Einzelgängern“, dtv, München 2008, kartoniert, 220 Seiten, 14,90 Euro


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