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09.05.09 / Gräben kreuz und quer / Nicht nur der Steuerstreit offenbart tiefe Konflikte in der CDU – Austritte nach Merkels Papstkritik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-09 vom 09. Mai 2009

Gräben kreuz und quer
Nicht nur der Steuerstreit offenbart tiefe Konflikte in der CDU – Austritte nach Merkels Papstkritik

Fünf Monate vor der Bundestagswahl präsentiert sich die CDU gespalten. Einen Wahlparteitag, der zu klareren Festlegungen zwingen würde, fürchten die Strategen in der CDU-Zentrale so sehr, daß er gar nicht erst geplant ist.

Wie aus internen Kreisen der CDU verlautet, sind allein im Frühjahr nach der Papstschelte der Kanzlerin rund 6000 Parteimitglieder ausgetreten. Darunter auch der ehemalige Ministerpräsident Werner Münch. Der Unmut in der eigenen Partei wächst über die Kanzlerin. Fünf Monate vor der Bundestagswahl erreicht die CDU/CSU bei der Sonntagsfrage zwar noch 35 Prozent, dennoch fehlen den Parteimitgliedern prägnante Wahlperspektiven. In der Kritik steht besonders die Parteizentrale unter Generalsekretär Ronald Pofalla, da sie seit Monaten vergeblich versucht, ein Wahlprogramm zu schmieden. Stattdessen erhebt sich ein vielstimmiger Chor aus CDU-Wirtschaftsflügel und -Sozialflügel, Ministerpräsidenten, bayerischer Schwesterpartei und konservativ-christlichen Vereinigungen, eine Linie ist dabei nicht erkennbar.

Wie Merkel als Parteivorsitzende dieses Durcheinander ordnen kann, scheint derzeit offen. Ein Wahlparteitag ist, wie aus der Parteizentrale verlautet, erst gar nicht geplant. Der CDU-Mittelstandpolitiker Michael Fuchs begründete dies kürzlich mit dem bemerkenswert Satz: „Frau Merkel braucht keine Krönungsmesse, sie ist schon gekrönt.“ Obwohl klar ist, daß es derzeit keine Alternative zu Angela Merkel als Kandidatin für das Kanzleramt gibt, gilt eine solche monarchistische Terminologie in der derzeitigen Situation unter Beobachtern als heikel. Die Parteichefin galt bisher auch als Meisterin der Parteitagsregie, der Regionalkonferenzen und des Konsenses. Jetzt kündigte sie per Zeitungsinterview für das Wahlprogram einen „Dreiklang aus Schuldentilgung, Investitionen in Innovationen und Steuersenkungen“ an, ohne allerdings Zahlen zu nennen.

Von monarchistischen Gedan-kenspielen unbeeindruckt äußert sich derweil das Parteivolk. Abge-sehen von Horst Seehofer und den Granden der CSU, die seit Monaten ihre Forderungen nach Wahlgeschenken propagieren, steckt jetzt auch die CDU mitten in der Dis-kussion. Vor zwei Wochen preschte der Wirtschaftsrat der Partei mit einem eigenen Wahlprogramm vor. Mittels „Wahlbausteinen“ will der Wirtschaftsflügel weitreichende Steuerentlastungen für die Leistungsträger, die Abschaffung des Solidaritätszuschlages und der Erbschaftsteuer, zudem einen „schnellstmöglichen Haushaltsausgleich“ im Parteiprogramm verankert sehen.

Prompt wiesen Parteizentrale und CDU-Sozialflügel dieses An-sinnen als „nicht realisierbar“ zu-rück. Sie verwiesen auf das prog-nostizierte Haushaltsloch im Bund von 50 Milliarden Euro in diesem Jahr und 80 Milliarden in 2010. Zudem forderten die Sozialpolitiker der Union eine Ausweitung der Sozialleistungen und wollten wie Arbeitsministers Olaf Scholz (SPD) die Rentner vor möglichen Kürzungen gesetzlich schützen, womit sich das Steuerloch weiter vergrößern dürfte. Massive Bedenken gegen Steuersenkungen meldeten auch die CDU-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt an. Man könne Steuersenkungen „nicht bezahlen“, hieß es aus den beiden hoch verschuldeten Ländern.

Die Lage ist verzwickt. Steuerentlastungen führen ebenso wie Subventionen oder verhinderte Rentenkürzungen zu mehr Staatsschulden. Die Steuereinnahmen sinken massiv, der prognostizierte Steuerausfall bis 2013 wird von der Steuerschätzung wohl auf 300 bis 400 Milliarden geschätzt − das ist fast zehnmal soviel wie bis vor kurzem erwartet. Viel Raum für Wahlgeschenke bleibt also nicht.

Solche Situationen hat es in der Geschichte von Demokratien allerdings schon öfter gegeben. Konservative Politiker sind dann auf ideelle Motive ausgewichen, indem sie aus einem konservativen Werte-Fundus schöpften. Erinnert sei an Winston Churchill, der die Briten bei Kriegsbeginn mit seiner Blut-Schweiß-Tränen-Rede auf die bevorstehenden Opfer einschwor und damit die Wahl gewann. Ebenso seine spätere Nachfolgerin im Amt des englischen Premiers, Margret Thatcher. In der Wirtschaftkrise vor 30 Jahren stimmte sie ihre Wähler auf eine Roßkur ein, um ihr Land aus den Händen von Subventions- und Gewerkschaftspolitikern zu befreien. Ihr Plädoyer gegen den omnipotenten Staat und für den freien Bürger ebnete Großbritannien den Weg in einen jahrelangen Aufschwung.

Den Schutz des freien Bürgers vor dem Staat erwarten derzeit viele Wähler allerdings eher von der FDP. Die Schnittmenge zu den Forderungen des christdemokratischen Wirtschaftsflügels ist groß. Anders sieht die Lage für die konservative Stammklientel der CDU aus. Als sich die Christdemokraten für das Leben (CDL) vor zwei Wochen zu ihrer Bundesversammlung in Bonn trafen, rührte sich nach dem verlesenen Grußwort der Kanzlerin keine einzige Hand zum Applaus. Sie hatte es versäumt, die für diese christlich-konservative Parteigruppierung, in der auch viele junge Menschen Mitglieder sind, zentralen Themen – Abtreibung, Sterbehilfe, Stammzellenforschung – angemessen anzusprechen. Anders der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, der für sein Grußwort Beifall erhielt.

Vielleicht liegt Merkels Zögern bezüglich eines Wahlprogramms auch darin begründet, daß sie von der Erfahrung des Jahres 2005 eingeholt wird. Damals habe sie, so hieß es, ihren sicheren Wahlsieg durch zuviel Ehrlichkeit „verschenkt“. Versucht sie es dieses Mal genau umgekehrt? Anders ist die Avance an 20 Millionen Rentner kaum zu erklären, deren Bezüge von Kürzungen wegen der Wirtschaftskrise ausgenommen werden sollen. Auf das Wahlprogramm, das bis Ende Juni fertiggestellt sein soll, darf man gespannt sein.               Hinrich E. Bues

Foto: Merkel tastet sich ran: Hier an ein Molekül-Modell bei der Ausstellung „Expedition Zukunft“, sonst in erster Linie an den vermeintlichen oder tatsächlichen Wählerwillen.


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