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16.05.09 / Atomindustrie will sich freikaufen / Ausstieg aus dem »Ausstieg«? – Das Wahlergebnis im Herbst bestimmt Höhe und Art des Preises

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-09 vom 16. Mai 2009

Atomindustrie will sich freikaufen
Ausstieg aus dem »Ausstieg«? – Das Wahlergebnis im Herbst bestimmt Höhe und Art des Preises

Deutschlands Kernkraftindustrie geht in die Offensive: Sie will auf jeden Fall den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Sie weiß auch, daß sie den nicht zum Nulltarif bekommt, läßt aber noch offen, welchen Preis sie zu zahlen bereit ist.

Wer immer sich am 27. September kurz nach 18 Uhr als Sieger fühlen darf, dem wird vermutlich zeitgleich mit den ersten Koalitionsangeboten auch ein mehr oder minder üppiges Angebot der deutschen Kernkraftbetreiber auf den Tisch flattern: Biete xyz Euro gegen Verlängerung der Laufzeit unserer Atommeiler. Wie viele Stellen die Zahl vor dem Eurokürzel haben wird, hängt im wesentlichen davon ab, welche Parteienkonstellation der Wähler mit der Regierungsbildung beauftragt.

Natürlich setzen die Kraftwerkbetreiber darauf, daß sich die Umfragewerte der letzten Wochen am Wahltag bestätigen, daß also eine knappe schwarz-gelbe Mehrheit für die nächsten vier Jahre die Geschicke des Landes bestimmen wird. Mit Union und FDP wäre man sich schnell einig über eine Laufzeitverlängerung der nach aktueller Rechtslage zur Verschrottung anstehenden sieben Kernkraftwerke. Die „Nichtverschrottungsprämie“, welche die Industrie an Vater Staat zu entrichten hätte, könnte dementsprechend bescheiden ausfallen. Zudem dürften Merkel, Westerwelle & Co. diesem ersten Schritt in Richtung „Ausstieg aus  dem Ausstieg“ weitere folgen lassen.

Sollte es hingegen zu einer Neuauflage der schwarz-roten, freilich nicht mehr ganz so Großen Koalition oder gar zu einer SPD-geführten linken Volksfront kommen, wäre der politische Preis für eine Aufweichung des strikten Antiatomkurses deutlich höher.

Wie hoch, steht vorerst noch in den Sternen. In welcher Form der Preis entrichtet werden soll, zeichnet sich schon konkreter ab. Zum Auftakt der diesjährigen „Jahrestagung Kerntechnik“ überraschte der Präsident des Deutschen Atomforums, Dr. Walter Hohlefelder, Freund und Feind mit dem Angebot einer Allianz zwischen Kernkraft und alternativen Energieträgern.

Demnach wären die Kernkraftbetreiber bereit, einen Teil der zusätzlichen Gewinne infolge Laufzeitverlängerung für Erforschung, Entwicklung und Anlagenbau zur Gewinnung sogenannter erneuerbarer Energien zur Verfügung zu stellen. Diese beiden Formen der Stromerzeugung, so Hohlefelder am Dienstagabend in Dresden, seien eben nicht, wie es heute aus ideologischen Gründen oft dargestellt werde, ein Gegensatz, sondern könnten einander durchaus ergänzen und hätten „ausreichend Platz in einem Energiemix, ohne sich gegenseitig in die Quere zu kommen“.

Der Präsident des Atomforums erinnerte in diesem Zusammenhang an eine ähnliche Allianz, wie sie in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zwischen Kohle und Kernkraft praktiziert wurde – begleitet übrigens vom tosenden Applaus sozialdemokratischer Parteitage. Lange Zeit sicherte der wohlaustarierte Energiemix nicht nur die Stromversorgung des Landes, sondern auch Zigtausende  Arbeitsplätze im deutschen Bergbau wie in unserer – damals weltweit führenden – nukleartechnischen Industrie.

Das änderte sich erst in den 80er Jahren, als die grüne Ökopax-Bewegung zur politischen Partei mutierte und es im Zuge der 68er-Kulturrevolution schaffte, zunächst die veröffentlichte und damit bald auch die öffentliche Meinung zu dominieren. Die Katastrophe von Tschernobyl im April 1986 tat ein übriges: Fortan war „Atom“ der Name fast allen Übels dieser modernen Welt.

Derweilen wurde der SPD klar, daß sie nur mit den Grünen als Bündnispartner eine Chance hätten, die bürgerliche Bundesregierung abzulösen. 1998 war es so weit; der Preis, den die Sozialdemokratie zu zahlen hatte, war die Verleugnung der eigenen fortschritts- und technologiegläubigen Vergangenheit inklusive der völlig unkritischen Kernkraft-Verherrlichung früherer (Partei-)Tage.

Längst aber hat das sture Festhalten an dem rot-grünen Ausstiegsbeschluß Deutschland in die internationale Isolation getrieben.

Die von allen Seiten oft emotional geführte Diskussion, ob Deutschland mehr, weniger oder gar keine Atomenergie braucht, führte letzten Endes dazu, daß Atomenergie und alternative Formen (wie Wind- oder Sonnenenergie) als sich gegenseitig ausschließende Optionen in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden.

Diesen Teufelskreis versuchte der Sprecher des Atomforums nun zu durchbrechen. Mit guten Erfolgsaussichten, denn die Fakten hat er auf seiner Seite. Die derzeit 17 deutschen Kernkraftwerke produzieren knapp ein Viertel des gesamten Stroms. Wichtiger für die Versorgungssicherheit: Sie decken 48 Prozent der sogenannten Grundlast ab.

Und sie glänzen durch hohe Verfügbarkeit, im nationalen wie im internationalen Vergleich. Auf der von der Internationalen Atomenergiebehörde veröffentlichten „Top-Ten“-Liste für 2008 finden wir – neben drei französischen und zwei US-amerikanischen – fünf deutsche Kernkraftwerke.

Sollte es jedoch nach der Bundestagswahl beim Ausstieg aus dem Atomstrom bleiben, werden in der nächsten Legislaturperiode sieben Kernkraftwerke abgeschaltet. Das bedeutet, daß zehn Prozent der gesamten Elektrizitätserzeugung und sogar 20 Prozent der Grundlastkapazität ausfallen.

Um die Lücke zu schließen, müßte Deutschland deutlich mehr Strom im Ausland kaufen. Aus was für Kraftwerken der kommt, läßt sich leicht ausmalen: Weltweit sind derzeit 42 neue Kernkraftwerke in Bau. (Siehe auch Kommentar auf Seite 8) Hans-Jürgen Mahlitz

Foto: Will den „Ausstieg aus dem Ausstieg“: Der Präsident des Atomforums, Walter Hohlefelder, geht in die Offensive.


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